Oliver Nachtwey

Die Abstiegsgesellschaft

Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne
Cover: Die Abstiegsgesellschaft
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783518126820
Kartoniert, 264 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs war eines der zentralen Versprechen der "alten" BRD - und tatsächlich wurde es meistens eingelöst: Aus dem Käfer wurde ein Audi, aus Facharbeiterkindern Akademiker. Mittlerweile ist der gesellschaftliche Fahrstuhl stecken geblieben: Uniabschlüsse bedeuten nicht mehr automatisch Status und Sicherheit, Arbeitnehmer bekommen immer weniger ab vom großen Kuchen. Oliver Nachtwey analysiert die Ursachen dieses Bruchs und befasst sich mit dem Konfliktpotenzial, das dadurch entsteht: Selbst wenn Deutschland bislang relativ glimpflich durch die Krise gekommen sein mag, könnten auch hierzulande bald soziale Auseinandersetzungen auf uns zukommen, die heute bereits die Gesellschaften Südeuropas erschüttern.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.04.2017

Mit einiger Verspätung bespricht auch Rezensent Urs Hafner Oliver Nachtweys "Abstiegsgesellschaft". Über den Erfolg dieser daten- und faktengesättigten Zeitdiagnose wundert sich der Kritiker nach der Lektüre nicht mehr: Klug und mit überraschenden Einblicken erläutert ihm der Wirtschaftssoziologe seine "originelle" These einer "regressiven Moderne", die besage, dass Fortschritt und Rückschritt einander behindern, so Hafner. Der Zugang zu Bildung sei zwar erweitert worden, die Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt sei gewachsen und die Diskriminierung von AusländerInnen habe sich teilweise verringert, liest der Rezensent. Gleichzeitig hätten Bildungstitel an Wert verloren und materielle Ungleichheit breite sich aus, erfährt der Kritiker. Nachtweys sozialpsychologisch unterfütterte Beobachtung eines "Erstarkens des Autoritären" in der Gesellschaft findet Hafner überzeugend. Auch wenn der Rezensent eine Analyse der Stimmen der "Aufbegehrenden" vermisst, hat er hier eine treffende Deutung der Gegenwart gelesen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.09.2016

Ein durchaus interessantes, aber doch auch "irritierend deutsches" Buch hat Stephan Lessenich mit Oliver Nachtweys "Abstiegsgesellschaft" gelesen. Ganz so düster, wie es der Titel nahelegt, erscheint dem Kritiker die Diagnose Nachtweys während der Lektüre nicht: Noch immer gebe es "große Zonen der sozialen Stabilität", liest der Rezensent, der hier eher die "Zweidrittelgesellschaft" der alten Bundesrepublik wiedererkennt. Als Schuldigen macht Lessenich bei Nachtwey das gesellschaftliche Autonomiebegehren der 68er aus, die die bis dahin herrschende "Sozialkritik" abgelöst hätten. Mit Skepsis liest der Kritiker allerdings, dass Nachtwey den "Postmaterialismus", der kulturelle Identität und entfremdete Lebensführung in den Mittelpunkt der Kapitalismuskritik stelle, als Quell "neoliberaler Komplizenschaft" identifiziere und vielleicht auch in seiner "gesellschaftsstrukturierenden Kraft" überschätze. Insbesondere aber vermisst Lessenich bei Nachtwey eine Berücksichtigung der Bedeutung migrantischer Milieus für die Bundesrepublik.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.07.2016

Rezensent Stefan Reinecke freut sich zunächst, dass Oliver Nachtwey ohne Umschweife als Linker argumentiert und vor den Begriffen Klasse und Kapitalismus keine Angst hat, aber er freut sich auch, dass Nachtwey ein durchaus differenziertes Bild zeichnet. Ja, die Mittelschicht steigt ab. Es gibt aber auch Gewinner - und Gewinnerinnen! - der neuen Arbeitsgesellschaft: Frauen sind zwar nach wie vor schlechter gestellt, aber ihre Lage hat sich historisch wesentlich verbessert. Die Dienstleistungsgesellschaft habe für viele einzelne bessere Bedingungen geschaffen. Übrigens sehe Nachtwey den eigentlichen Konflikt heute nicht zwischen Arbeitnehmern und -gebern, sondern in der "Spaltung in Innen und Außen". Wer "drin" ist - wie etwa ein Facharbeiter bei VW, dem geht's prächtig. Wer draußen ist, etwa in einer Zeitarbeitsfirma, könne sich kaum organisieren. Insgesamt liefert Nachtwey eine kluge Reflexion dieser Lage, lobt Reinicke, für die es - nach den Worten des Autors - noch "kein Telos und kein großes Narrativ" gebe.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.06.2016

Rezensent Jens Bisky lobt die Gegenwartsdiagnose des Soziologen Oliver Nachtwey. Erstens, weil der Autor Diskussionen zum Thema klug zusammenführt, Beobachtungen zur Postdemokratie, zur Unterschicht, zu prekären Arbeitsverhältnissen, zum stagnierenden Kapitalismus. Zweitens, da er heutige Diagnosen mit denen der alten Bundesrepublik, von Dahrendorf bis Habermas und Ulrich Beck sowie mit Protestkollektiven wie Occupy und Pegida abgleicht. Drittens, weil er damit eine - wenngleich nicht immer empirisch belegbare - "Krisenerzählung" vorlegt, die Bisky so noch nicht gelesen hat, voll mit klugen Fragen und Beispielen zum Neoliberalismus und einer "regressiven Moderne", beunruhigend und als dezidiert linke, aber endlich mal nicht vorgestrige Kritik so schnell nicht zu toppen, wie Bisky meint.
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