Norbert Gstrein

Das Handwerk des Tötens

Roman
Cover: Das Handwerk des Tötens
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518414590
Gebunden, 381 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Im Sommer 1999 kommt der österreichische Journalist Christian Allmayer, der seit den ersten Schüssen über den Zerfall Jugoslawiens berichtet hat, bei einem Hinterhalt im Kosovo um. Paul, ein verhinderter Schriftsteller und Verfasser von Reiseberichten, der ihn aus seiner Studienzeit kennt, nimmt das zum Anlass, einen Roman über Leben und gewaltsamen Tod dieses zum Fall gewordenen Mannes zu schreiben. Auf dessen Spuren fährt er gemeinsam mit seiner Freundin Helena, deren Eltern aus Dalmatien stammen, und dem namenlosen Ich-Erzähler durch frühere Kampfgebiete in Kroatien und in Bosnien, um sich inmitten der immer noch sichtbaren Verwüstungen ein Bild von der Arbeit eines Kriegsberichterstatters zu machen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.12.2003

Iris Radisch is not amused über Norbert Gstreins "umfänglichen" Roman über einen toten Journalisten, der aus der Perspektive von Beobachtern zweiter und dritter Ordnung beschrieben wird, oder anders: die Geschichte über einen toten Freund, der die Geschichte seines toten Freundes schreiben will und daran scheitert. Diese erprobte literarische Spielfigur erscheine hier aufgrund der fehlenden Virtuosität des Autors angestaubt, ja "pflichtmäßig und mechanisch" werde sie in Szene gesetzt. Das Spiel mit den Erzählformen, das Gstrein bei früheren Büchern perfektioniert habe, wirke bei einem so ernsten Thema "ausweichend und banal", "ton- und spannungslos", weil mit der mehrfachen Spiegelung "kein Satz wirklich zählt". Zudem werde das Leben des realen, "ungemein sympathischen Kollegen" verunglimpft, seine Lebensgefährtin mit "ungezügelter Häme" attackiert, der Krieg auf dem Balkan zum "Kasperlekrieg" verniedlicht. Radisch diagnostiziert "Missgunst" und "üble Nachrede" - und weit und breit keine Literatur.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Heribert Kuhn sieht mit dem neuen Roman des österreichischen Autors einmal mehr dessen guten Ruf bei der Literaturkritik bestätigt. Ausgangspunkt des Buches ist der Tod eines Kriegsreporters auf dem Balkan. Der Schriftsteller Paul recherchiert über diesen Tod für einen Roman. Gleichzeitig interessiert sich ein Ich-Erzähler für die Entstehungshintergründe dieses Romans, über den er selbst einen Roman verfassen will, erklärt der Rezensent die komplizierte, dreifach vermittelte Perspektive des Buches. Diese Schachtelung ermöglicht trotz der dadurch entstehenden Distanzierung eine "eindringliche" Schilderung von "Entwirklichung, Mord und Krieg", so der Rezensent beeindruckt, der als Hauptgegenstand des Romans jedoch nicht das kriegerische Geschehen, sondern die "Einbettung" des Reporters in seine soziale Umgebung ausmacht. Kuhn sieht in dem Ich-Erzähler einen "Meister im Aufspüren von Mikroattitüden" bei der Betrachtung des mitmenschlichen Miteinanders, wobei er findet, das diese Fähigkeit sich mitunter bis zur "überspannt wirkende Empfindlichkeit" steigert. Der Autor macht nach Ansicht des Rezensenten mit diesem Buch deutlich, dass nicht nur die an den kriegerischen Auseinandersetzungen unmittelbar Beteiligten am "Handwerk des Tötens" mitwirken, sondern auch - durch die "Dynamik von Klischee, Pose und Kitsch" - der Romancier selbst. Das Buch läuft Gefahr, lediglich als erneuter Beweis für die "enormen Qualitäten" Gstreins angesehen zu werden, fürchtet unser Rezensent. Dabei jedoch würde übersehen, welches "Risiko" der Autor in seinem Roman eingeht und wie lange sich diese "Form des Schreibens" bereits in dessen vorhergehenden Büchern vorbereitet hat, meint Kuhn respektvoll.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.08.2003

Gerrit Bartels konzentriert sich in seiner Besprechung auf die "umständliche, mitunter statische" Erzählkonstruktion von Gstreins "überaus gelungenem Roman" über "das Nichtzustandekommen eines Romans über einen Kriegsreporter", auf den Umstand also, dass da beispielsweise zwei Personen im Leben und Sterben des Kriegsreporters Allmayer den Stoff für einen Roman suchen, und der eine, der Journalist, dabei dem anderen, Paul, gegenüber immer wieder Zweifel am Gehörten äußere, nicht zuletzt, weil dieser Journalist dann auch noch die Freundin des anderen liebt. Für Bartels erfüllt diese Konstruktion aber durchaus ihre Funktion: Durch die verschiedenen Interessen an und Perspektiven auf die Geschichte Allmayers werde deutlich, wie sehr Gstrein daran gelegen sei, "Distanz aufzubauen zu den Grausamkeiten des Krieges, wie er bewusst versucht, Klischees zu vermeiden, wie er den Wörtern misstraut und ihrer Fähigkeit, den Krieg angemessen zu beschreiben." Das alles lässt sich darum, schreibt Bartels, ebenso "gut lesen als Kritik an der routinierten Kriegsberichterstattung" wie "als Kritik an Kollegen von Gstrein wie eben Peter Handke oder Juli Zeh". Diese Kritik spitzt sich in einem Gedanken des fiktiven Kriegsreporters Allmayer zu, wonach es "zwischen der vorherigen Hetze und dem nachträglichen Kitsch" eigentlich gar keinen Unterschied gebe. Nur bei der Schilderung des Selbstmordes des gescheiterten Autors Paul, findet der Rezensent, habe Gstrein dann doch einmal "totalen Kitsch" produziert, indem er diesen "allein schon genug aussagenden Selbstmord" durch den Einsatz eines Zitats aus Cesare Paveses Tagebuch "unnötig symbolisch" aufgeladen habe.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.07.2003

Begeistert ist der Rezensent Andreas Breitenstein von diesem Roman Norbert Gstreins über einige Journalisten, die auf unterschiedliche Weise versuchen, über den Krieg in Jugoslawien zu schreiben. Zwar stellt dieser Roman für den Rezensenten keinen "Schlüsselroman" dar. Aber die "Wucht von Gstreins Bildern" über den Kriegsschauplatz und "der stete Kontrast zwischen der kühlen Hafenmetropole Hamburg und dem Weltenbrand im dalmatinischen Karst" würden beim Leser das "Gefühl der Irrealität" hervorrufen. Der Rezensent bescheinigt dem Buch alles, "was große Literatur ausmacht". So schwärmt er unter anderem von den "Figuren, die sich einbrennen und gleichzeitig entziehen". Er verweist "auf die Virtuosität der Sprache" des Autors, "einer Parforcetour indirekter Rede am Rand des Sagens". Der Roman vereine "Entwicklungsroman und Verkümmerungsroman". Der Rezensent nennt ihn weiterhin eine "geglückte Erzählung über die Unmöglichkeit des Erzählens" und "ein lustvolles Spiel mit den Zwängen heutigen Schreibens".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.07.2003

Eine "erregende, bisweilen quälende Lektüre" hat Norbert Gstreins Roman "Das Handwerk des Tötens" Rezensent Lothar Müller beschert. Wie Müller ausführt, lässt Gstrein darin das Jahrzehnt der Balkankriege von 1990 bis 1999 aus dem Nachlass des 1999 im Kosovo getöteten Reporters Christian Allmayer aufsteigen, aus den Berichten von seiner Beerdigung, den Erinnerungen seines Freundes Paul, aus Gesprächen von Hamburger Journalisten mit der Witwe und anderen Quellen. Entstanden sei ein "literarischer Grabstein" für Gabriel Grüner, den Stern-Reporter, der 1999 im Kosovo aus dem Hinterhalt erschossen wurde. Müller hebt hervor, dass Gstrein dabei die "Formangebote der Reportage" ausschlägt. Nicht als Nachforschung am Todesort und Recherche über den Toten habe Gstrein seinen Roman konzipiert, erklärt Müller, sondern als "Konstruktion einer Parallelwelt", in der die Rechercheure und Nachforscher herumirrten wie das literarische Urbild des modernen Kriegsteilnehmers, Stendhals Held aus "Kartause in Parma". Bei Gstrein fordere einmal nicht die Reportage den Roman heraus, sondern umgekehrt der Roman die Reportage. Dahinter entdeckt Müller Gstreins "tief sitzendes Misstrauen" gegen über einen "direkten Zugriff" auf das Leben und den Tod.
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