Heinrich Detering

Der Antichrist und der Gekreuzigte

Friedrich Nietzsches letzte Texte
Cover: Der Antichrist und der Gekreuzigte
Wallstein Verlag, Göttingen 2010
ISBN 9783835306356
Gebunden, 230 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Wenige Monate vor seinem Zusammenbruch 1888/89 beginnt Friedrich Nietzsche die Geschichte Jesu von Nazareth auf verstörende Weise neu zu erzählen ausgerechnet unter der Überschrift "Der Antichrist". Gleich darauf entwirft er seine Selbstdarstellung "Ecce homo" in enger Auseinandersetzung mit diesem Bild Jesu. Und in seinen letzten Briefen tritt er schließlich selbst in diese Erlöserrolle ein. Der Dichter-Philosoph, der einst den "Tod Gottes" proklamiert hatte, verkündet nun triumphierend: "Gott ist auf der Erde". Und er unterschreibt diesen Satz als "Der Gekreuzigte". Die Wandlungen, die sich zwischen diesen Texten vollzogen haben, sind immer wieder als Symptome des ausbrechenden Wahnsinns verstanden worden. Detering analysiert Nietzsches letzte Texte jenseits der alten Streitigkeiten um Philosophie und Krankheit: als Teile einer sich vor den Augen der Leser entwickelnden großen Erzählung, als Arbeit am Mythos, die ihrer eigenen literarischen Logik folgt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.08.2010

Fasziniert, wenngleich nicht restlos überzeugt zeigt sich Rezensent Ludger Lütkehaus von diesem originellen Versuch der Nietzsche-Deutung. Es geht dabei um eine Relektüre der bislang meist für schon ganz und gar wahnsinnig erachteten Briefe, die Nietzsche in wenigen Tagen rund um seinen Zusammenbruch in Turin schrieb. Heinrich Detering unternimmt es nun, darin Thesen zu rekonstruieren, die sie sehr wohl in den Werkzusammenhang stellen. Und das heißt vor allem: die gleichzeitige Selbst-Identifikation ihres Autors mit "Dionysos" und dem "Gekreuzigten" und "Anti-Christ" nicht als Widerspruch eines Irrsinnigen, sondern im Rahmen einer auch zuvor schon auszumachenden Dialektik zu begreifen. Lütkehaus findet vieles daran subtil und überzeugend entwickelt, beharrt dann andererseits aber doch darauf, dass sich das Wahnsinnige und damit auch Inkommensurable der Briefe nicht wegdiskutieren lasse.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.08.2010

Nietzsche verrückt? Von wegen! Nach der Lektüre von Heinrich Deterings streng hermeneutischen Untersuchungen zu Nietzsches Werk des Jahres 1888 und seinen Nachweisen, wie Nietzsche seine dortigen Maskenspiele und Selbstverwandlungen in den sogenannten "Wahnsinnszetteln", in denen er sich zum Gekreuzigten stilisierte, fortführte, glaubt Manfred Geier der psychopathologischen Lesart kein Wort mehr. Geier schätzt nicht nur Deterings literaturwissenschaftliche Genauigkeit und Geduld. Vor allem gefällt ihm des Autors Verzicht auf jegliche Pathologisierung. Stattdessen erhellt der Autor dem Rezensenten die vielgestaltigen intertextuellen Sprachspiele und mythologischen, biblischen wie literarischen Bezüge in Nietzsches zwar nicht identischem, doch keineswegs verrücktem Ich.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.08.2010

Keine Frage, Helmut Mayer hält große Stücke auf Heinrich Detering. Als so umsichtigen wie hellhörigen Interpreten des späten Nietzsche schätzt er ihn, als Kenner der Forschung wie der unangestrengten, bündigen Schreibweise. Wenn Detering nun also Nietzsches späte, zu seinen Lebzeiten unveröffentlichte Texte nimmt und sie interpretatorisch neben die "Wahnsinnszettel" des schon Umnachteten stellt, spitzt Mayer die Ohren. Detering erfüllt etwa die Forderung, die Nietzsche (zum Beispiel in der Rolle des Erlösers) an den Leser stellt, nämlich genaueste Lektüre, laut Mayer aufs Beste, spürt Anklänge, Tonlagen, Bildfelder auf entschlüsselt Motive und Namen und unterläuft damit das religiöse Pathos eines Teils der Rezeptionsgeschichte. Dass die Texte dabei über den Übermenschen hinauswachsen, freut den Rezensenten diebisch.
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