Götz Aly

Europa gegen die Juden

1880 - 1945
Cover: Europa gegen die Juden
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017
ISBN 9783100004284
Gebunden, 432 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

In seiner neuen, großen Gesamtdarstellung "Europa gegen die Juden 1880-1945" zeigt der Historiker Götz Aly, dass der Holocaust nicht allein aus der deutschen Geschichte heraus erklärbar ist. Sowohl in West- als auch in Osteuropa hatten Antisemitismus und Judenfeindschaft seit 1880 sprunghaft zugenommen - angetrieben von Nationalismus und sozialen Krisen. Erstmals stellt Götz Aly hier den modernen Antisemitismus als grenzüberschreitendes Phänomen dar. Ohne die Schuld der deutschen Täter zu mindern, zeigt er, wie Rivalität und Neid, Diskriminierung und Pogrome seit Ende des 19. Jahrhunderts vielerorts dazu beigetragen haben, den Boden für Deportationen und Völkermord zu bereiten. Während des Zweiten Weltkriegs ermordeten die nationalsozialistischen Besatzer schließlich sechs Millionen Juden, die meisten in Osteuropa, teils unter Mithilfe lokaler Polizei und Behörden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.06.2017

Götz Aly, "Schwergewicht der Holocaust-Forschung", ist bekannt für seine gewagten Thesen und prekären Schlussfolgerungen, meint Rezensent Christoph Jahr und erinnert an Alys Buch "Warum die Deutschen? Warum die Juden?" aus dem Jahr 2011, in dem der Historiker bereits die Zusammenhänge zwischen sozialistischer Ideologie, Sozialneid und Rassismus untersuchte. In seinem neuen Buch weitet er den Blick auf ganz Europa aus und sieht überall "Neid und Habsucht", die er als die Katalysatoren der Judenverfolgung nach dem Ende der Feudalgesellschaft bis zum Abschluss des zweiten Weltkriegs erkennt und veranschaulicht, lesen wir. Obwohl Jahr schwer verzeihen kann, dass der Autor bei all dem die Opferperspektive weitgehend ausblendet, findet er Alys Grundthesen wenn nicht überzeugend so doch unbedingt bedenkenswert. Dass das Böse auch aus dem grundsätzlich Guten geboren werden kann, ist eine bedrohliche, eine ungemütliche, aber auch interessante und wichtige Idee, so der abwägende Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.06.2017

Die hier rezensierende Historikerin Sybille Steinbacher ist beeindruckt, aber nicht ganz überzeugt von Götz Alys Buch "Europa gegen die Juden". Dabei findet sie erhellend, wie Aly die Interessen der einzelner Staaten und gesellschaftlichen Eliten an der Ermordung der Juden beleuchtet. Und ihr erscheint auch plausibel, wie Aly die sozialen Umbrüche am Ende des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringt mit dem Sozialneid, der den Juden bald darauf in ganz Europa entgegenschlug. Als Erklärung für den Holocaust reicht ihr das allerdings nicht aus. Und auch dass Aly einen gewalttätigen Exzess an den anderen reicht, macht die Lektüre für sie manchmal schwer erträglich. Wenn Aly schließlich in den Ideen von sozialer Gerechtigkeit einen Ursprung für den Holocaust ausmacht, dann erkennt Steinbacher darin den alten Impuls eines ehemaligen Maoisten, die Sozialdemokraten zu blamieren. Doch ob nun aus Antisemitismus oder Neid - wie europäisch einvernehmlich die Vertreibung und Tötung der Juden geschah, zeigt sich für Steinbacher in Alys Buch ebenso wie dem seines Kollegen Christian Gerlach ("Der Mord an den europäischen Juden) auch darin, dass nach dem Zweiten Weltkrieg "nahezu überall in Europa" die Rückkehr der Juden unerwünscht war.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.05.2017

Für Andrea Hopp geht Götz Aly allzu vereinfachend an sein Thema heran. Die Chance, empirischer Erarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Antisemitismus in Europa nutzt der Autor laut Hopp leider nicht. Wenn Aly seine bereits bekannten Thesen von Sozialneid und Gleichheitssucht nun ganz Europa "überstülpt", wird er der Komplexität der Welt im 19. Jahrhundert und danach nicht gerecht, findet Hopp, sondern vernachlässigt die unterschiedlichen politischen, ökonomischen und sozialen Impulse für den Judenhass.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.02.2017

Barbara Distel stellt fest, dass Götz Aly in seiner Studie über den Judenhass in Ländern Mittel- und Osteuropas vor dem Zweiten Weltkrieg nahezu ausschließlich auf zeitgenössische Quellen baut und den aktuellen Diskurs der Zeitgeschichtsforschung außen vor lässt. Alys These, wonach sich der Holocaust ohne aktive Hilfe von Regierungen und Bevölkerungen anderer Länder nie hätte so schnell verwirklichen lassen, fehlt laut Distel allerdings der Blick auf die Ukraine und Weissrussland. Die Einzelbeispiele anhand deren der Autor das Schicksal jüdischer Heimkehrer darstellt, sowie Alys Beschreibung der Entstehung des modernen Antisemitismus lassen Distel an die aktuelle Flüchtlingsdebatte denken. Für Distel ist das Buch ein Parforceritt durch die Geschichte.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 25.02.2017

Sven Felix Kellerhoff schätzt den Berliner Politologen und Publizisten Götz Aly als "innovativen Querdenker". Allerdings muss der Kritiker gestehen, dass er mit Alys neuestem Buch, das die europäische Vorgeschichte des Holocaust untersucht, einige Probleme hat. Dass die Idee nicht ganz neu ist, vielmehr bereits teilweise "identische" Ausführungen bereits vor einem Vierteljahrhundert von dem Ideenhistoriker Ernst Nolte angestellt wurden, will der Rezensent gar nicht ankreiden: Als damaliger taz-Redakteur dürfte Aly die Vorlesungen Noltes an der FU nicht mitbekommen haben, glaubt Kellerhoff. Dass der linke Historiker in seinem Buch zu einem ähnlichen Resultat kommt wie der rechtsintellektuelle Ideologieexperte findet der Kritiker jedoch erstaunlich. Noch mehr wundert sich der Rezensent allerdings darüber, dass Aly ungeachtet aller klugen und sorgfältig recherchierten Ausführungen in diesem Buch ganz andere Thesen aufstellt als in seinen früheren Werken. Jenseits der Apodiktik kann Kellerhoff allerdings ein lesenswertes Buch voller "anregender Gedankenblitze" empfehlen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.02.2017

In einem ausführlichen Resümee erklärt und veranschaulicht Rezensent Stefan Reinecke Götz Alys Kernthese und stellt diese als durchaus originell und einleuchtend dar. In "Europa gegen die Juden" betrachtet der Historiker den Antisemitismus als europäisches Phänomen, das mit dem modernen Kapitalismus auftrat und im Holocaust seinen Höhepunkt fand, lesen wir. Gekonnt, unterhaltsam und gut zu lesen, montiert er Quellen und Szenerien, sodass sie seine These unterstützen: Die Basis des Antisemitismus ist für Aly ein im Grunde antikapitalistischer Affekt, der Neid auf den Erfolg der Juden im modernen Europa, ein interessanter Gedanke, dem in Teilen sicher zuzustimmen ist, meint der Rezensent, der sich jedoch daran stört, wie Aly auf "Biegen und Brechen" alles umgeht oder auslässt, was seine Behauptung infrage stellen oder einschränken würde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.02.2017

Arno Widmann kriegt es mit der Angst beim Lesen von Götz Alys Buch. Davon kann er immer nur kleine Abschnitte lesen - es ist ihm zu schrecklich. Die Wirklichkeit des Holocaust und seiner Entstehung kann ihm der Autor anhand von Details schildern, Verschiebungen, Erniedrigungen und Beleidigungen, nicht der Juden, sondern der Täter, die sich von ihren Opfern übervorteilt fühlen, wie Widmann feststellt. Die Infamie der Judenverfolgung wird dem Rezensenten so offenbar. Und auch, wie kontinuierlich sich all das in die jüngere deutsche und europäische Geschichte fügt, wie nah alles wieder ist.