Domenico Losurdo

Nietzsche, der aristokratische Rebell

Intellektuelle Biografie und kritische Bilanz
Cover: Nietzsche, der aristokratische Rebell
Argument Verlag, Hamburg 2009
ISBN 9783886193387
Gebunden, 1061 Seiten, 98,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben und mit einer Einführung von Jan Rehmann. Aus dem Italienischen von Erdmute Brielmayer. 2 Bände: "Die Kritik der Revolution von den jüdischen Propheten bis zum Sozialismus" und "Nietzsche und die antidemokratische Reaktion, Politik und theoretischer Überschuss". Domenico Losurdo entwickelt entlang der Formel des "radikalen Aristokratismus" einen Leitfaden zur detaillierten Recherche durch Friedrich Nietzsches Werk, Leben und Umfeld. Am Ende der Analyse sämtlicher Bücher, Briefe und Traktate steht ein neues Nietzsche-Bild: der Philosoph, eingewoben in die Diskurse seiner Zeit, als Verfechter einer aristokratischen Reaktion, als Kämpfer gegen Demokratie, Sozialismus und Gleichheitsbestrebungen.
Losurdos Untersuchung durchbricht eine unfruchtbare Frontstellung, die die Nietzsche-Forschung beherrscht: auf der einen Seite eine "Hermeneutik der Unschuld", die die brutalsten Stellungnahmen des Philosophen als kunstvolle, tiefsinnige Metaphern verstehen will, auf der anderen Seite ein von Lukacs geprägtes Paradigma, das Nietzsche dem "Irrationalismus" zuordnet und als unmittelbaren geistigen Vorläufer des NS-Staats behandelt. Der Bann einer solchen Entgegensetzung wird mithilfe einer komparativen Analyse ideologischer Prozesse gebrochen. Indem Losurdo die Philosophie Nietzsches im historischen Kontext des späten 19. Jahrhunderts untersucht, wird ein ideologisches Geflecht sichtbar, das Nietzsche als Teil einer gesamteuropäischen Bewegung zur Abwehr und Überwindung der Französischen Revolution und des von ihr eingeleiteten Revolutionszyklus zeigt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.07.2010

"Standardwerk", "intellektuelles Ereignis sondergleichen" ruft begeistert Rezensent Hans-Martin Lohmann nach Lektüre dieser tausendseitigen Nietzsche-Biografie des italienischen Philosophieprofessors Domenico Losurdo. Dagegen sehen deutsche Nietzsche-Produktionen, zuletzt Henning Ottmanns Nietzsche-Handbuch, "ziemlich alt" aus. An Losurdos ebenso kohärenter wie glanzvoller Interpretation wird sich nach Ansicht Lohmanns auch künftige Nietzsche-Forschung messen lassen müssen. Mit verblüffender Genauigkeit lese der italienische Philosophieprofessor die Texte Nietzsches, füge wieder zsammen, was die Postmodernen auseinandergepflückt haben, und rücke Nietzsches Werk nachvollziehbar in den zeitgenössischen Kontext. Genüsslich sieht der Kritiker auch, wie ideologische Nietzsche-Lesarten auseinandergenommen werden. Am Interessantesten findet er Losurdos Herausarbeitung von Nietzsches Zentralmotiv: dass nämlich die gesamte Geschichte als Kampf der Kultur hervorbringenden Herren gegen die kulturlosen Knechte gelesen werden könne. Zu den "großartigsten Passagen" gehört für den Rezensenten Losurdos Parallellektüre von Nietzsche und Marx: bei allen Unterschieden sind sich die beiden offenbar erstaunlich ähnlich.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.02.2003

Kurt Flasch hat am 21. Februar 2003 die italienische Ausgabe des Buchs besprochen. Wir tragen die Notiz zu seinem sehr ausführlichen Artikel am 1. Juli 2010 nach und stellen sie bei seiner deutschen Übersetzung ein (D. Red.). Bevor der bekannte Philosophiehistoriker und Mediävist in aller Ausführlichkeit auf den monumentalen Band Losurdos eingeht, zeichnet er einige Stationen der Nietzsche-Rezeption seit dem Krieg nach - von einer einhelligen Verdammung Nietzsches als Vorläufer der Nazis, die im Nietzsche-Text Lukacs' kulminierte, bis hin zu postmodernen Auslegungen, die Nietzsche manche politisch giftigen Zähne zogen. Bei Losurdo, so Flasch, geht es ganz eindeutig zurück in die politische Kritik Nietzsches, allerdings in fulminanter Weise, denn Flasch schildert Losurdo als profunden Kenner des philosophischen und politischen Denkens im 19. Jahrhundert, der jede seiner Interpretationen reich belegen kann. Nietzsche vertrat demnach die Position eines "aristokratischen Radikalismus" und er muss nach der Lektüre von Flaschs Besprechung als zutiefst reaktionär, antidemokratisch, antisozialistisch und wohl auch sexistisch und rassistisch gelten. Flasch macht darauf aufmerksam, dass Losurdo als linker, ja kommunistisch geprägter Autor argumentiert, aber er hat "keinen Parteitraktat geschrieben", versichert der Rezensent glaubhaft.
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