Boris Groys

Unter Verdacht

Eine Phänomenologie der Medien
Cover: Unter Verdacht
Carl Hanser Verlag, München 2000
ISBN 9783446198708
Gebunden, 231 Seiten, 18,41 EUR

Klappentext

Die Kunst unserer Gegenwart lebt vom Prinzip des Verdachts: Objekte des Alltags oder monochrome Bilder interessieren uns als Kunstwerke nur, weil wir hinter ihrer scheinbar belanglosen Oberfläche ein Geheimnis vermuten. Schneeschaufeln und Fettecken im Museum erregen Verdacht, und das Publikum wird dazu animiert, an einer Debatte über diese Objekte teilzunehmen. Boris Groys zeigt, wie das Prinzip des Verdachts immer neue Kunstwerke hervorbringt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.07.2000

"Nicht so ganz einfach" findet Rezensent Schamma Schahadat die von Boris Groys, Experte der russischen Avantgarde-Kunst ("Gesamtkunstwerk Stalin" 1992), vorgetragenen Thesen zu einer Phänomänologie der Medien. Leider ist das auch der Rezension anzumerken, denn Schahadat mischt in ihr die Groysschen Thesen mit der Kritik an ihnen auf eine Weise, die dem Leser wenig Überblick über das Buch verschafft. Es geht um die Medien - aber Groys sagt nach Schahadat nie genau, was "das Medium" eigentlich ist: "Avantgarde-Kunst, die Medien, das Zeichen und auch der Körper als mediale Oberfläche" werden gleichermaßen unter diesen Begriff subsumiert. Dann gibt es Medientheoretiker, unter ihnen McLuhan, dem wir den "epochemachenden Satz", so Schahadat (und Groys?) vom Medium, das die Botschaft ist, verdanken. Ein Satz, der einen Verdacht ausspricht, nämlich dass hinter der Oberfläche der Medien etwas anderes verborgen sei, ein Subjekt, das "detektivisch aufgespürt" werden muss. Die Dekonstruktivisten haben lieber das Subjekt negiert, als diese "ontologische Unruhe" zuzulassen, die so ein Verdacht auslöst. Dadurch produzieren sie nur "Effekte der Aufrichtigkeit", - aber Groys setzt dagegen den "Wunsch nach Wirklichkeit" und nennt in seinem "neuen, originellen Ansatz", so Schahadat, dies die "alte ontologische Frage nach der Substanz". Durch die Figur der "Verschwendung", des "Potlatsch", die Groys zunächst als "zentrales Thema postmoderner Theorien" herausarbeitet, gewinnt er die gewünschte "Aufrichtigkeit" zurück und landet so, meint Schahadat, wieder bei seinem Ausgangspunkt der (russischen) Avantgarde, die sich durch Reduzierung der Mittel verschwendete. Einigermaßen verwirrend und ohne jede abschließende Wertung zitiert Schahadat dann Groys: ?Wir können nicht betrachten, ohne zu verdächtigen?. Ist da wieder mal ein phänomenologisches Werk (oder nur seine Besprechung?) hart an der Trivialität vorbeigeschrammt?
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.06.2000

Als den "Helge Schneider der Medientheorie" bezeichnet Martin Seel den in Karlsruhe lehrenden Medientheoretiker Groys, der sich mit seinem neuesten Buch dem Bereich der "negativen Theologie" zuwende. Zu jedem Medium gehört auch ein `submedialer Raum`, behaupte Groys, was meint, `dass sich hinter allem Sichtbaren etwas Unsichtbares verbirgt`, zitiert Seel den Autor weiter. Damit gehört Groys` Medienanalyse für Seel mehr in den Bereich des Mystisch-Spekulativen als des Wissenschaftlich-Analytischen. Der Rezensent hält mit Richard Wollheim dagegen, dass das, was sich hinter einem Medium verberge, kein mysteriöses Wesen, sondern schlicht und einfach selbst Erscheinung sei. Ein Phänomenologe, so Seel über Groys, der es mit der Betrachtung des Phänomens nicht sehr genau nimmt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.06.2000

Hans-Jürgen Heinrich bespricht das Buch zusammen mit Paul Virilios "Information und Apokalypse - die Strategie der Täuschung" (Carl Hanser Verlag).
1) Boris Groys: "Unter Verdacht"
Soweit man die etwas geschraubte und abstrakte Besprechung des Rezensenten versteht, entwickelt Groys in seinem Buch eine Psychologie des Verdachts, die von den Medien vorangetrieben und durch einen Austausch der Zeichen immer neu in Szene gesetzt werde. Heinrichs bemängelt dabei, dass Groys so sehr mit der Übertragung einer ethnologischen Begrifflichkeit auf die Medienwelt beschäftigt sei, dass er es vergesse, bestimmte Phänomene wie etwa die "Event-Kultur" zu analysieren. Dabei findet Heinrichs gerade den Begriff des Verdachts für eine solche Analyse geeignet.
2) Paul Virilio: "Information und Apokalypse"
Virilios Buch deutet Heinrichs eher als eine etwas einzelgängerische Polemik gegen "wissenschaftliche Spitzenleistungen", die das eigentliche Kriterium der Wissenschaft - nämlich den "Auftrag, dem Menschen und dem Leben zu dienen" - längst aus den Augen verloren hätte. Unter anderem macht Virilio nach Heinrichs` Skizze seiner Gedankengänge dafür die unrettbare Verquickung moderner Wissenschaft mit der "Todes-", also der Kriegswissenschaft verantwortlich.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.05.2000

"Vornehme Philosophie" würde Kant dieses Theoretisieren nennen, mutmaßt Niels Werber in seiner recht abfälligen Rezension über das Buch von Groys. Die Thesen des Medientheoretikers würden - um mit Kant zu sprechen - nicht auf "falsifizierbaren Argumenten, sondern auf Intuitionen beruhen". In seinem medienkritischen Werk setzt sich Autor Groys offenbar zum Ziel, die große Verschwörung hinter den medialen Kulissen zu lüften. Er spricht vom "dunklen submedialen Raum", der in "dunkel, undurchsichtige Tiefen" führt. Werber kritisiert, dass Groys den beschworenen globalen Verdacht an nichts konkretem festmachen kann, dennoch aber Schlüsse zieht, die Allgemeingültigkeit beanspruchen. Ein Manko dieses Werkes sei zudem der Verzicht auf jegliche Auseinandersetzung mit der aktuellen Medientheorie.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.04.2000

Bernhard Dotzler ist in Bezug auf das neueste Werk des Medientheoretikers Boris Groys gespalten. Groys konstatiere ein paranoides Verhältnis seiner Zeitgenossen zu den Medien, wo grundsätzlich alles "unter Verdacht" der Manipulation erscheine, weshalb nicht rein zufällig der Privatdetektiv zum heimlichen Helden unseres Kulturbetriebs geworden sei. Dieser Verdachtsmoment erscheint Groys berechtigt, und er bescheinigt laut Dotzler insbesondere den französischen Medientheoretikern und Dekonstruktivisten eine "Verharmlosung der Mediengefahr". Um so enttäuschender findet es Dotzler, daß sich Groys im zweiten Teil seiner Analyse wie im Oberseminar ausschließlich an diese Theoretiker wendet, die doch bei seiner kriminalistischen Ermittlung im Medienbetrieb "vielleicht nicht die richtige Adresse sind".