Im Kino

Ungezügelter Bewegungsdrang

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky
01.04.2015. Einen todessehnsüchtigen Blockbuster inklusive 9/11-Rachefantasien hat James Wan mit "Fast & Furious 7" abgeliefert. Originelle Raumerkundungen in der philippinischen Unterwelt unternimmt Khavn de la Cruz in seinem neuesten Streich "Ruined Heart: Another Lovestory Between a Criminal and a Whore".


Was verwundert mehr? Dass es das ursprünglich auf altmodischen B-Movie-Tropen begründete "Fast & Furious"-Franchise auf inzwischen sieben Serienbeiträge gebracht hat? Oder dass es der Reihe gelingt, mit jeder Fortsetzung tatsächlich noch ein wenig prolliger zu werden? Auf den Punkt gebracht wird der Reiz der Filme, wenn es über den zwischenzeitlich pensionierten Brian O"Connor, eine ihrer Hauptfiguren, heißt: "Er vermisst nicht die Frauen und auch nicht die Autos - sondern das Geballer!" Tatsächlich hakt auch der Film die ersten beiden Elemente seines recht beschränkten Arsenals visueller Attraktionen eher beiläufig ab, mit Vorliebe in rapvideoartigen, lenseflaregesättigten Montagesequenzen.

Der Rest ist Geballer: Die Crew um O"Connor und Toretto (Vin Diesel) hat mit ölverschmierten Garagen und illegalen muscle-car-Rennen nicht mehr viel am Hut, hat sich statt dessen in eine Art Schnelleingreiftruppe für den amerikanischen Geheimdienst transformiert ("wir haben ähnliche Interessen" meint Toretto einmal, als er nach dem Verhältnis zur Staatsmacht gefragt wird) und muss diesmal gleich zwei Superschurken das Handwerk legen. Mit den Jungs (und einem Mädchen) jettet "Fast & Furious 7" in James-Bond-Manier um den Erdball, nach Georgien, nach Abu Dhabi, schließlich zurück nach Los Angeles.

Da mag der Film noch so sehr in Testosteronexzessen schwelgen: Der Arbeiterklasse-Charme, den Justin Lins verhältnismäßig bedächtige, manchmal fast klassizistische Regie der Serie selbst noch in den beiden ebenfalls schon reichlich aufgeplusterten Vorgängern bewahrt hatte, ist im neuen, von Horrorspezialist James Wan eher nervös und effekthascherisch als wirklich kompetent inszenierten Abenteuer komplett dahin. Das Prollige ist, könnte man sagen, nur noch Schauwert, ihren inneren Proll hat die Serie endgültig gegen eine weitgehend beliebige Blockbustermechanik ausgetauscht.

Die Produktionsgeschichte hat allerdings dafür gesorgt, dass es doch etwas gibt, was "Fast & Furious 7" ziemlich einzigartig macht: O"Connor wird von Paul Walker gespielt, der vor mittlerweile über einem Jahr während der Dreharbeiten ums Leben kam und zunächst rabiat aus dem Film herausgeschrieben werden sollte. Das haben sich die Produzenten nun anders überlegt: Bevor sie in einer angemessen kitschigen Schlusssequenz in die ewige Kleinfamilie eingehen darf, ballert sich Walkers bekannteste Filmfigur dank aufwändiger analoger (body doubles) und digitaler (CGI) Tricks nun doch noch einmal durch einen diesmal besonders kruden Plot. Die Folge ist eine eigenartige Instantmelancholisierung des Bewegungsbilds. Als eine einzige, lange Grabrede offenbart sich der Film zwar erst am Ende, aber schon vorher kann man sich - zumindest beim einmaligen Sehen - nie so recht sicher sein, ob man jetzt den echten Walker oder eines seiner Surrogate vor sich hat.



Tatsächlich unterhält der Film auch abseits des ontologisch prekären Walker ein eigenartiges Verhältnis zum Tod. Einmal steht die von Michelle Rodriguez gespielte Letty (die interessanteste Figur der Filmserie) vor ihrem eigenen Grabstein und denkt laut darüber nach, ob dessen Inschrift denn tatsächlich Unrecht habe, ob also sie selbst sich tatsächlich noch unter den Lebenden befinde oder nicht eigentlich schon vor Jahren bei einem (natürlich) Autounfall das Zeitliche gesegnet habe. Plötzlich wird eine Todessehnsucht explizit, die den Film untergründig ziemlich durchgängig prägt - und zwar ganz besonders dann, wenn er ganz unbedingt lebendig tut, in den Action-, beziehungsweise Autoszenen.

Klassische Autorennen oder -verfolgungsjagden tauchen so gut wie gar nicht mehr auf. Wenn in "Fast & Furious 7" jemand einen Wagen besteigt, kann man sich sicher sein, dass das Fahrzeug im nächsten Moment mit Vollgas in ein anderes Auto krachen, einen steilen, felsigen Abhang herunterstürzen, aus dem Bauch eines mehrere hundert Meter über dem Boden sich bewegenden Flugzeugs herausschießen wird. Klar, wie im Comic kommen die Figuren dabei lebendig, meist noch nicht einmal besonders verschrammt davon (schade, dass der Film mit so großartigen Actionfilmkörpern wie dem Vin Diesels oder des ohnehin ziemlich unterbeschäftigen Dwayne Johnson so wenig anzufangen weiß). Aber das Ganze ist diesmal dermaßen bizarr, dass man schon auf die Idee kommen kann, dass es nicht mehr um die phobische Verdrängung von, sondern um eine allerdings auch ziemlich neurotische Fixierung auf Sterblichkeit geht.

Besonders deutlich, aber auch besonders neurotisch, nämlich fast schon nationalneurotisch wird das in Abu Dhabi (dessen Tourismusbüro zu den Sponsoren des Films zu gehören scheint): Da finden Toretto und O"Connor ein besonders wichtiges Auto - hoch oben in einem Wolkenkratzer. Und sie haben natürlich nichts besseres zu tun, als den Wagen mit Vollgas durch die Glasfassade zu befördern, nur um ihn nach einigen spektakulär zerdehnten Sekunden Freiflug einige Stockwerke tiefer in einem benachbarten Hochhaus wieder einschlagen zu lassen. Und weil neben diesem zweiten noch ein drittes Hochhaus steht, wiederholt sich das Spiel ein weiteres Mal. Zweimal kracht ein von größenwahnsinnigen und zumindest unterbewusst selbstmörderischen amerikanischen Spinnern gelenkter Luxussportwagen aus der Luft in ein arabisches Hochhaus - unter all den 9/11-Rachefantasien, die Hollywood in den letzten Jahren produziert hat, dürfte das die ultimativ beknackteste sein.

Lukas Foerster


Fast & Furious 7 - USA 2015 - Originaltitel: Furious 7 - Regie: James Wan - Darsteller: Vin Diesel, Paul Walker, Michelle Rodriguez, Dwayne Johnson, Jordana Brewster, Ludacris - Laufzeit: 137 Minuten.


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This is not a film by Khavn. Mit dieser Ansage, tätowiert auf einen Torso, der sich wenig später als der eines frisch gemeuchelten Mordopfers erweisen wird, beginnt "Ruined Heart", der neue Film des philippinischen Faktotum Khavn (de la Cruz), der für Buch, Regie und Originalkompositionen verantwortlich zeichnet. Auch Khavns früheren Arbeiten ist dieser quasi Bartleby"sche Wahlspruch vorangestellt, zum Zeichen dass sich hier einer verweigert, den Bruch sucht, nicht lediglich mit den Konventionen des narrativen Films, sondern mit dem Medium Film selbst. Was immer das im Medium Film heißen mag. Vor "Ruined Heart" war Khavns Schaffen eine schlecht abgemischte und gerade darum rauschende Dekonstruktion filmischer Parameter, die zur professionalisierten Produktion schöner Bewegtbilder auf maximale Distanz ging - nur halbwegs zusammenhängende Punk-Gesten, angetrieben von einem ungezügelten Bewegungsdrang, der nichts bezweckt als sich selbst, im Endeffekt also doch wieder eine Form von (reinem) Kino, aber derart ungeschliffen, ins Unreine gefilmt, dass Khavn sagen konnte: not a film.
 
Viel ist in "Ruined Heart" noch vorhanden von der rüden Anmutung Khavns früherer Nichtfilme: Weitwinkelkameras jagen durch enge Gassengefüge oder blicken durch eine Schicht Wasser auf die Welt; eine Magensonde stürzt uns in organische Untiefen, während die Zeitlichkeit des Films mehr mit einer wilden Prozession gemein hat denn mit planvoller narrativer Entfaltung. Die minimale Geschichte, die "Ruined Heart" dabei erzählt, ist im angemessen wegwerfenden Untertitel des Films bereits vollständig aufgehoben: Another Lovestory Between a Criminal & a Whore [sic]. Nicht nur die Rollennamen - eingeführt in einer Szene am Anfang des Films, die Brecht mit Wong Kar-wai kreuzt - verzichten auf Individuierung. Der Ganove, die Geliebte, die Hure, der Gangsterboss kommen fast ganz ohne Dialog aus (sie sprechen auch gar nicht dieselbe Sprache). Zwischenmenschlichkeit ereignet sich rein pantomimisch, auf sehr schmalem Ausdrucksspektrum.
 


Die Chronologie ist auf eine Weise durcheinander gebracht, die ich bis zuletzt nur im Ansatz rekonstruieren konnte. Aber das macht nichts: Die Genre-Situationen, die "Ruined Heart" nebenhin durchexerziert, mögen (ohne festen Platz auf der Zeitachse) frei im Raum schweben, sind in diesem sonderbar dekontextualisierten Zustand dennoch sofort wiedererkennbar. Der Ganove muss irgendwie dem Gangsterboss ins Gehege kommen, die Hure irgendwie den Opfertod sterben. "Irgendwie", weil Khavn sich für den genauen Tathergang überhaupt nicht interessiert. Was bleibt, sind isolierte Genre-Affekte ohne verbindenden Bogen, was unsere Aufmerksamkeit freistellt für Khavns immer originelle Raumerkundungen.
 
Mit "Ruined Heart" orientiert Khavn seine Praxis in neuer Weise aufs World Cinema: seine beiden Leads sind aus dem Festivalbetrieb vertraute Gesichter (die Mexikanerin Nathalia Acevedo war zuletzt in Carlos Reygadas" "Post Tenebras Lux" zu sehen, der Japaner Tadanobu Asano ist ein altgedienter Genre-Darsteller, den man z.B. aus Takashi Miikes "Ichi the Killer" kennen könnte), und für die Kameraarbeit hat Khavn den stilprägenden DP Christopher Doyle (notorisch in Kollaboration mit Wong Kar-wai) gewonnen. Rapid Eye Movies tritt als Koproduzent auf, den eklektischen Soundtrack, der unter anderem "Ich lieb sie" von Grauzone beinhaltet, hat Brezel Göring von Stereo Total mitausgesucht.
 
Eine Konsequenz von Khavns Globalisierung des philippinischen Independentkinos in "Ruined Heart" ist die schleichende Konsolidierung eines professionellen Looks - eine Politur, welche die sehr heterogenen Bestandteile umschließt und tendenziell vereinheitlicht. Der vergleichsweise konzentrierte Schnitt, die präzise Tonmischung und vor allem Doyles schwärmerische Kamerabewegungen und Primärfarbdramaturgie geben "Ruined Heart" genau den Schliff, den Khavns Nichtfilme bisher gemieden hatten. Der Produktionslärm, der früher aus den Nahtstellen zwischen den Bildern drang, aber auch in den Bildern selbst lag (in ihrer erratischen Führung, ihrer niedrigen Auflösung, ihrem reiterativen, geloopten Gebrauch), ist zum intratextuellen Störsignal sublimiert. Rasch nerven die gesuchten Surrealismen, abgestandenen V-Effekte und Wong-Kar-wai-ismen in Zeitlupe; was eine ästhetische Bereicherung sein sollte, entpuppt sich als deren Gegenteil. Das hätte alles nicht sein müssen. Energie genug, um die kurze Laufzeit von einer guten Stunde wie wild am Rad zu drehen, weiß Khavn auch so zu mobilisieren.

Nikolaus Perneczky

Ruined Heart: Another Lovestory Between a Criminal and a Whore - Philippinen 2014 - Regie: Khavn de la Cruz - Darsteller: Tadanobu Asano, Nathalia Acevedo, Elena Kazan, Mico Madrid, Brenda Mage, Long - Laufzeit: 73 Minuten.


Außerdem diese Woche neu:

"Le chambre bleu" von Mathieu Amalric (hier unsere Kritik vom Filmfest München) und "Everything Will Be Fine" von Wim Wenders (hier unsere Kritik von der Berlinale).