Post aus Borneo

Pure westliche Paranoia?

Von Doris Klein
29.10.2002. Nach den Bombenattentaten auf Bali stehen die radikalen Moslemführer unter Druck. Auch die Regierung wagt nicht mehr zu behaupten, es gebe keine Terroristen in Indonesien.
In einer Nacht- und Nebelaktion hat sich nur drei Tage nach den Terroranschlägen in Bali die radikalmoslemische Organisation Laskar Jihad aufgelöst (siehe auch CNN). Die Hardliner, die in den vergangenen Jahren Gewalt und Terror gegen die christliche Bevölkerung der Molukken verbreiteten, zogen ihre über 700 Mitglieder aus Ambon ab; die noch verbleibenden 300 sollen in der kommenden Woche folgen. Das Hauptquartier auf Java war unmittelbar nach den Anschlägen geschlossen worden. Der Jihad wurde für beendet erklärt. (Mehr über Laskar Jihad bei der BBC und beim Center for Defense Information, USA)

Den Bewohnern von Ambon muss das wie ein Wunder erscheinen, galten die Molukken in den vergangenen Jahren doch als einer der Unruheherde in der Region. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. (Mehr dazu bei Human Rights Watch)

Ein Zusammenhang mit dem Bombenanschlag von Bali wird von der Laskar Jihad freilich geleugnet, stattdessen mussten fadenscheinige Erklärungen herhalten, ihre mehr als überraschende Auflösung zu erklären: So hieß es, dass einige Mitglieder in die legale Politik "übergelaufen" seien (Verbindungen zum Vizepräsidenten Hamzah Haz gelten als sicher) oder dass zu viele ihrer Mitkämpfer die moralischen Grundsätze verletzt hätten, als sie mit weiblichen Journalisten sprachen. Einige Mitglieder hatten gar behauptet, ein saudiarabischer Scheich, dessen Name bislang unbekannt ist, habe die Beendigung des Jihad angeordnet, was natürlich die Frage aufwirft, wer jener denn sei, denn wer den Jihad für beendet erklärt, so sollte man annehmen, müsste ihn ja auch ausgerufen haben.

Zwar glaubt niemand, dass Laskar Jihad unmittelbar für den Anschlag verantwortlich ist. Doch dass sie schon unter Präsident Wahid und auch unter der gegenwärtigen Regierung von Präsidentin Megawati sehr wohl geduldet wurde, steht außer Zweifel. Wahrscheinlicher als die fragwürdigen Auflösungserklärungen ist daher, dass hier mit viel Einfluss die Handbremse gezogen wurde, denn kaum jemand war schockierter über den Terrorschlag als die Regierung selbst.

Der Anschlag auf Bali hat die Nation mitten ins Herz getroffen. Und nicht nur ins wirtschaftliche. Es scheint, als sei diese Sache sogar den ganz hartgesottenen unter den Hardlinern im Land zu weit gegangen, mit etwas derartigem hatte niemand gerechnet. Angesichts der Aufmerksamkeit und Empörung, die der Anschlag weltweit erregt hat, ist es unmöglich, so zu tun, als seien die Warnungen der Amerikaner und Briten, die schon lange moslemische Extremisten und Anhänger der größeren Terrororganisationen wie Al Qaida in Indonesien vermuten, nichts als pure westliche Paranoia.

Noch am Sonntag nach den Anschlägen hatten Präsidentin Megawati und ihr Vize Hamzah Haz im Chor beteuert, dass es in Indonesien keine Terroristen gebe. Nie und nimmer, hieß es da noch. Vorsorglich und wie um zu unterstreichen, dass der Terroranschlag unmöglich das Werk von Indonesiern gewesen sein kann, hat man zehn Pakistani verhaftet. Das übliche Programm also. (Porträts von Megawati und Hamzah Haz bei der BBC hier und hier)

Aber nicht nur die Regierung verschließt die Augen vor dem Naheliegenden. Auch die indonesischen Medien und die Bevölkerung wollen einfach nicht wahrhaben, dass so etwas Schreckliches auf der 'Insel der Götter' passieren konnte und, mindestens ebenso schwerwiegend, dass es so viele Indonesier, wenngleich "nur" Hindus, getroffen hat. Die ganze Nation steht unter Schock und versinkt in Scham. Fragt man Leute auf der Straße, was sie von dem Anschlag halten, reicht die Palette der Reaktionen von spontanen Tränenausbrüchen über "bitte fragen Sie mich nicht danach" bis zu hilflos verlegenem Lachen.

Anders die Balinesen, die auf mehrfache Weise betroffen sind: zum einen sind sich die Balinesen als Hindus nicht sicher, ob der Anschlag nicht am Ende ihnen selbst gegolten hat. Zum anderen trifft es die Menschen auf Bali natürlich unmittelbarer. Ihre Insel ist in aller Munde und nachdem man sich gerade von den Ereignissen in der Folge von 9-11 erholt hatte, dürfte der Terroranschlag auf Bali nun für viele Geschäftsleute, vom Nudelsuppenverkäufer bis zum Hotelier, das wirtschaftliche Aus bedeuten. Keiner wagt zu spekulieren, wie lange es dauern wird, bis die Urlaubsinsel nicht mehr mit der Bombenexplosion und zerfetzten Urlaubern assoziiert wird.

Auf Bali ist man aber auch jenseits wirtschaftlicher Aspekte schlicht fassungslos und wütend. Die Balinesen tun, was sie können, um das Leid der Betroffenen, der Verletzten und Angehörigen aus aller Welt zu lindern. Hausfrauen, Studenten und Schüler habe sich organisiert, um bei Behörden und Kliniken für die Fremden zu übersetzen, die Verletzten in den Krankenhäusern zu besuchen und zu betreuen, Restaurant- und Budenbesitzer beliefern die Hilfskräfte und Angehörige der Opfer mit Suppe und Pizza, hunderte Freiwilliger standen stundenlang Schlange, um Blut zu spenden, andere Freiwillige übernahmen die grauenhafte Arbeit, in den Trümmern nach verkohlten Leichen zu suchen und diese zu bergen. Dawa Beratha, der Gouverneur von Bali hat schon am Tag nach der Katastrophe erklärt, man werde sämtliche Krankenhauskosten und auch die Übernachtungskosten der Angehörigen der Opfer übernehmen.

Wütend macht die Menschen vor allem die Untätigkeit, ja der Unwille der Regierung, die möglichen Täter dort zu suchen, wo sie am wahrscheinlichsten zu finden sind, statt sorgfältig um die Hauptverdächtigen herumzuermitteln. Der Druck auf Präsidentin Megawati, die Drahtzieher dingfest zu machen, wächst täglich - im Ausland, aber auch zu Hause. Nicht nur auf Bali nimmt man es ihr besonders übel, dass sie sich nicht an Abu Bakar Ba'asyir (Porträt), Chef der radikalmoslemischen Organisation Jamaah Islamya und mutmaßlicher Al Qaida-Chef Südostasiens, heran traut. Jamaah Islamya wird in weiten Kreisen für die jüngsten Anschläge verantwortlich gemacht.

Scharfe Kritik kam auch von Jose Ramos-Horta, Friedensnobelpreisträger und Außenminister von Ost-Timor. Er hoffe, Indonesien werde nun endlich alarmiert sein und die Bedrohung durch den Terror ernst nehmen. Sogar die großen Moslemführer im Land haben Megawati unmissverständlich aufgefordert, endlich zu handeln, statt allen gefallen zu wollen. So hat Hasyim Muzadi, Sprecher des National Moral Movement, GMN und Vorsitzender von Nahdlatul 'Ulama, der größten Moslem-Organisation des Landes, die Präsidentin aufgefordert, endlich etwas zu unternehmen, statt Traueranzeigen zu veröffentlichen.

Seit ihrer Machtübernahme ist dies die bislang schwierigste Situation für Megawati. Wenn sie jetzt nicht angemessen und vor allem schnell reagiert, könnten ihre Tage bald gezählt sein. So langmütig die Indonesier auch sein mögen, die Zeiten, in denen sie alles brav geschluckt haben, sind vorbei.

Auch radikale Politiker sind eingeknickt. Noch in der vergangenen Woche hatte Amien Rais (Porträt), der Sprecher der People's Consultative Assembly (Beratende Volksversammlung), auf Vorwürfe der Amerikaner wie auch der Regierungen von Singapur und Malaysia, Indonesien beherberge Terroristen und unternehme nichts, um sie festzusetzen, vollmundig erklärt, man werde auf keinen Fall nach der Pfeife der Amerikaner tanzen und geunkt: "The more we react, the happier the U.S. will be seeing our foolishness." (Jakarta Post, Sept. 24, 2002). Vizepräsident Hamzah Haz hatte gar erklärt, die radikalen Gruppen würden quasi "nur über seine Leiche" angetastet werden.

Heute verrenken sich beide Politiker ganz beachtlich, diese Statements wieder auszubügeln. Der Vizepräsident zeigte sich bei der Begehung des Bombenschauplatzes betroffen und erklärte, man werde die Schuldigen verhaften, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit. Und Amien Rais beeilte sich gestern, beinahe im gleichen Wortlaut wie Haz zu versichern, dass man die Verfolgung und Verhaftung der Täter, gleich welcher Religion und Ideologie sie auch seien, mit allen demokratischen Mitteln betreiben werde. Freilich nicht ohne Seitenhiebe auf die Präsidentin, der er im gleichen Atemzug Unfähigkeit und Ineffizienz in Punkto Sicherheit vorhielt.

Es scheint, als habe man in Indonesien eine Lektion gelernt. Wie die neu verordneten Terror-Gesetze, die sogar die Todesstrafe vorsehen, aufgenommen werden und vor allem, wie man es aufnehmen wird, dass unter Umständen auch hochrangige Moslemführer wie der gerade unter Arrest stehende Abu Bakar Ba'asyir angeklagt oder gar verhaftet werden, bleibt abzuwarten. Ebenfalls abzuwarten bleibt auch, ob die Regierung die neuen Gesetze missbrauchen wird, um generell unliebsame Personen auszuschalten. Einige Regeln können recht weit ausgelegt werden: "Anyone carrying weapons, explosives or chemical substances that threaten the public's safety and could be used for terrorist attacks could be charged with conducting terrorism." (Auszug aus dem Gesetzentwurf, Jakarta Post vom 18.10.02)

Die Regierung hat allen Grund, sich vor der Reaktion der radikalen Moslemgruppen zu fürchten. Eine Überreaktion allerdings könnte die neugewonnene und noch sehr zerbrechliche Demokratie des Riesenlandes auf eine Zerreißprobe stellen. In einem Punkt hat Amien Rais zweifellos recht: It's now or never!