Essenzen

Ein exaltierender Effekt

Die Duftkolumne Von Claus Brunner
11.05.2020. Amber und Ambra werden oft an den gleichen Strand gespült. Aber sie sind nicht nur völlig verschiedene Stoffe, sondern auch geruchlich weit voneinander entfernt. Der eine stammt aus dem Darm eines Pottwals, der andere ist fossiles Baumharz. Annette Neuffer arbeitet bei ihren Parfums ausschließlich mit natürlichen Stoffen.  Amber und Ambra bilden in "Per Fumum, Ambar" einen sakralen Akkord.
Sakrale Akkorde: "Per Fumum, Amber", von Annette Neuffer
Amber, Ambra, Ambregris, graue Ambra - was ähnlich klingt, wird häufig verwechselt oder auch als Synonym gebraucht. Dieser sprachlichen Verwirrung liegt vermutlich eine ganz reale Verwechslung zugrunde. "Amber" bezeichnet im Englischen den Bernstein, "ambre" im Französischen. Dieser "amber/ambre" wird an die Küsten vor allem der baltischen See angeschwemmt und sieht in ungeschliffenem Zustand einem anderen Meeresprodukt recht ähnlich, der Ambra, die man ungeachtet ihrer völlig anderen Provenienz zum "ambre gris" beziehungsweise "ambergris" erklärte.

Was für den Alltag keine große Relevanz hat, ist für die Parfümerie allerdings nicht ganz unwichtig. Amber und Ambra sind nämlich nicht nur völlig verschiedene Stoffe, sondern auch geruchlich weit voneinander entfernt. Wobei "weit" schon wieder relativ ist, werden beide doch mitunter an denselben Strand gespült: die Ambra, ein wachsartiger Klumpen von dunkelgrauer bis heller Farbgebung, aus dem Gedärm des Pottwals stammend, und der Amber, bei dem es sich bekanntlich um fossile Baumharze des "Pinus Succinifera" handelt.

Spricht man von einem Amber-Duft, oder einer "ambrierten" Basis, muss aber nicht zwangsläufig fossiler Amber gemeint sein. Meist handelt es sich um eine Kombination duftender Harze wie Labdanum, Styrax oder Benzoe, die zusammen mit obligatorischer Vanille und einigen Blüten einen wichtigen Zweig der orientalischen Duftfamilie bilden. Fließt aber Ambra in die Duftkomposition ein, ward zuvor mit allergrößter Wahrscheinlichkeit keinem Wal mehr derart übel, dass er die unverdaulichen Reste seiner Tiefseemalzeit hervorwürgte, oder anderweitig ausschied, diese dann jahrelang auf dem Meer herumtrieben und durch wetterbedingte Oxidationsprozesse zu jenem heißbegehrten Duftstoff reiften, für den auch heute noch astronomische Preise gezahlt werden.

Denn längst wird auch die Ambra synthetisiert, oder wenigstens ein winziger Ausschnitt davon, "Ambrox", oder "Ambroxan" genannt. Doch dieses habe "mit der komplexen Magie des natürlichen Produktes soviel gemein, wie ein digitaler Sampletrack mit dem Symphonieorchester", so Annette Neuffer, Parfümeurin und Jazzmusikerin in Personalunion.

Die ausschließlich mit natürlichen Rohstoffen arbeitende Parfümeurin, hat in einer ihrer neueren Kreationen, "Per Fumum, Ambar", nun beides verwendet: fossilen Amber und echte graue Ambra.

Die Aussicht, der geheimnisumwitterten, symphonischen Ambra lauschen zu können, statt dem derzeit bis zum Verdruss allgegenwärtigen "Sampletrack", elektrisierte mich.

"Ambar" ist einer von drei "Per Fumum"-Düften Neuffers, die sich mit Räucherharzen beschäftigen, Essenzen, die von jeher und in allen Kulturen meist im religiösen Kontext verwendet werden. "Luminosa" widmet sich den hellen, lichten Aspekten zu, und "A Sanctified Rose" bringt florale Facetten ins Spiel.

"Ambar" aber setzt ganz auf das mystische Dunkel des fossilen Ambers, auf rauchiges vietnamesisches Oud und balsamisches Labdanum, das Harz der Zistrose. Na ja, fast ganz. Akzente von fruchtiger Bitterorange, herber Bergamotte, würzigem Kardamom und pikanten Ingwerspitzen überwölben kuppelartig den warmen Cello-Ton der Basis, die von einem holzig-erdigen Trio aus Patschuli, Vetiver und Sandelholz gerahmt wird. Schlieren von Rose und Iris erhellen und durchlüften das düstere Geschehen, umspielen ein Herz aus süß-aromatischem Tabak.

So weit, so wunderbar - ein berauschendes Dufterlebnis sakraler Akkorde, bruchlos verwoben und in perfekter Balance.

Doch wo ist die Ambra?

Ich fragte bei Annette Neuffer nach, bat sie, mir mit ihren Worten zu beschreiben, wie graue Ambra riecht, wie man sie sprachlich fassen könne. Meine Recherchen ergaben zuvor nämlich ein äußerst uneinheitliches Bild, das in der Aussage eines Aroma-Chemikers gipfelte: Fragen sie zehn verschiedenen Leute und sie bekommen zehn verschiedene Antworten.

Schließlich brachte mich die Parfümeurin auf eine interessante Spur. Ihrer Erfahrung nach habe die graue Ambra einen exaltierenden Effekt, "das heißt, dass der Rohstoff als solcher nicht unbedingt einzeln zu identifizieren ist, aber den Duft intensiviert, ihm größere Präsenz verleiht, seine sämtlichen Elemente durchzieht und verbindet". Besucher ihres Labors, die den gleichen Duft einmal mit, einmal ohne graue Ambra testen konnten, entschieden sich immer für die Fassung mit der Ambra, wobei eine Testperson ihrer Ansicht nach sehr treffend bemerkte, die Ambra mache den Duft "kreatürlicher". "Salopp gesagt", so Annette Neuffer weiter, sei die Ambra "ein im Hintergrund wirkender, aber effektiver, das Unterbewusste ansprechender Strippenzieher".

Der Begriff "Strippenzieher" ließ mich an meinen Vater denken, der Puppenspieler war und oft mit Marionetten arbeitete. Auch er ließ seine Puppen "kreatürlicher" werden. Ohne ihn waren sie allein kunstvoll geschnitztes, ausstaffiertes und bemaltes Holz, mit ihm erwachten sie zum Leben.

Die charakteristischen geruchlichen Eigenschaften von grauer Ambra beschrieb die Parfümeurin schließlich mit "leicht animalisch, trocken, süßlich, Tabak, Meeresufer, Seealgen, antike Bücher, warme Haut, frischer Schweiß, leicht salzig"

Worte, die mir Augen und Nase öffneten. Schnuppere ich jetzt an "Per Fumum, Ambar" meine ich tatsächlich die strippenziehende Ambra zu entdecken, habe das Gefühl mich an ihren Tentakeln in den Duft hineinhangeln zu können, tief hinein, bis vor das Angesicht der hintergründig agierenden Patin, der sagenumwobenen Ambra, von der schon Melville in "Moby Dick" berichtete.

Oder ist es doch wieder nur eine olfaktorische Fata Morgana?

Annette Neuffers Düfte haben ihren Preis. Dieser relativiert sich aber, bedenkt man wie unglaublich teuer natürliche Rohstoffe sind, und sie arbeitet ausschließlich mit solchen. Handelt es sich noch dazu um hochkonzentrierte Extraits mit immenser Haltbarkeit und Projektionskraft - zwei Sprühstöße sind schon fast einer zuviel! - sollte das Erschrecken eigentlich in Erstaunen münden - verlangt doch so manches große Haus für nicht annähernd so konzentrierten Extraits, die zumeist aus günstigen synthetischen Ersatzstoffen bestehen, weitaus mehr.

Sicher, die Qualität der ausgesuchten natürlichen Rohstoffe macht alleine noch kein gutes Parfum aus.
Annette Neuffer weiß aber eines daraus zu machen. Mit Wirkung aufs Unterbewusste!

Claus Brunner

Claus Brunner bloggt bei parfumo unter dem Nutzernamen Profumo.
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