Uwe Tellkamp

Der Schlaf in den Uhren

Roman
Cover: Der Schlaf in den Uhren
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518431009
Gebunden, 904 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

August 2015: Fabian Hoffmann, der einstige Dissident, steht als Chronist in Diensten der "Tausendundeinenachtabteilung" von Treva. Hier, in den Labyrinthen eines unterirdischen Reichs, arbeitet die "Sicherheit" an Aktivitäten, zu denen einst auch die Wiedervereinigung zweier geteilter Staaten gehörte. In diese Welt ist Fabian einem ihrer Kapitäne, Deckname "Nemo", gefolgt, um herauszufinden, wer seine Schwester und seine Eltern verraten hat. Zugleich ist Fabian mit einer Chronik befasst, die zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung erscheinen soll. Doch es kommt anders. Fabian gerät auf eine Reise, die ihn tief in die trevische Gesellschaft und ihre Utopien hineinführt. Er analysiert Ordnungsvorstellungen und Prinzipien der Machtausübung, die Verflechtungen von Politik, Staatsapparat und Medien, beobachtet die Veränderungen im alltäglichen Leben. Immer mehr löst sich dabei seine Chronik von ihrem ursprünglich amtlichen Auftrag, streift zurück bis in das Dresden seiner Kindheit, in die stillstehende Zeit vor zwei Epochenjahren. Auf seiner Suche nach Ordnung und Sinn kämpft Fabian gegen die Windmühlen der Macht, die Fälschungen der Wirklichkeit, den Verlust aller Sicherheiten - und gibt doch den Traum von einer befreiten Zukunft nicht verloren.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.06.2022

Rezensent Thomas Assheuer nimmt sich noch einmal Uwe Tellkamps Roman "Der Schlaf in den Uhren" vor, um ihn mit allen Mitteln der Ideologiekritik abzuklopfen. Denn hinter Tellkamps Metafiktion entdeckt Assheuer mehr als nur eine Mediensatire, in der Journalismus und Kultur eine unheilig-linke Allianz mit der Macht eingehen. Der Rezensent sieht vielmehr einen reaktionären Geschichtsrevisionismus am Werk, bei dem nicht nur die Stasi in der Bundesrepublik aufgegangen sei "wie ein Brühwürfel im Eintopf", sondern vor allem der Nationalsozialismus als eine Reaktion auf "die ewige Linke" erscheine, was Assheuer unter anderem daran festmacht, dass Tellkamp die kommunistischen Bonzen im sowjetischen Geländewagen GAZ-69 Jagd auf Ungeziefer in der Birkenheide machen lässt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.05.2022

Rezensent Paul Jandl erkennt mit Uwe Tellkamps neuem Buch "Der Schlaf in den Uhren" eine tiefe Kränkung des Autors. Auf labyrinthischen 900 Seiten kann man einen Schriftsteller, der Tellkamp deutlich verkörpern soll, in den Jahren zwischen dem Mauerfall und der Flüchtlingswelle 2015 dabei beobachten, wie er das Ende der Meinungsfreiheit in Deutschland beklagt, erklärt Jandl. Im Kern ist das dem Rezensenten zufolge eine Chronik der Deutschen Wiedervereinigung, die den von ihm aufgeworfenen Fragen der Geschichtsdeutung leider nicht besonders elegant folge. Militärischer Stechschritt wechsele sich ab mit schwülstigen Beschreibungen, ächzt Jandl, dem auch die Opferrolle nicht behagt, in der sich der Protagonist sonnt, wobei er zugleich stets Recht habe, wie der Rezensent genervt feststellt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.05.2022

Einige stark erzählte Szenen, mitunter geniale Formulierungen und passagenweise glänzende Prosa entdeckt Rezensentin Judith von Sternburg in Uwe Tellkamps seit zehn Jahren angekündigten und erwarteten Romankoloss "Der Schlaf in den Uhren". Er schließt natürlich an Tellkamps Erfolgsroman "Der Turm" an und setzt die Geschichte aus der Sicht früherer Nebenfiguren fort. Aber eine konsistente Geschichte sollte man sich nicht erwarten, warnt Sternburg vor, Tellkamp verzettele sich in dieser "Romanrohbauruine" heillos in immer neuen Ansätzen mit immer neuen Figuren, so dass ihr weder das Personenverzeichnis noch das "Verzeichnis von Inhalten" weiterhelfen. Dass er dabei eine große Verschwörung der "Hauptstrommedien" im Verbund mit Regierung und Geheimdienst aufdeckt und Einwanderung sowie Meinungsdiktatur beklagt, kann die Rezensentin kaum ernst nehmen. Unangenehm sind ihr der "fade" Humor und die "platte" Ironie trotzdem.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 16.05.2022

Rezensent Jan Drees erkennt in Uwe Tellkamps neuem Roman nicht mehr als "eine epische, verschwörungstheoretisch mäandernde Alternativerzählung von rechts" und entschlüsselt einige der zahlreichen Fährten, die Tellkamp legt. Rahmen der Handlung ist die Geschichte von Fabian Hoffmann, der im Jahr 2015 in den Tiefen einer fiktiven Kohleinsel für einen mächtigeren Ausläufer der ehemaligen "Stasi" arbeitet und fortlaufend eine Chronik des Landes verfasst, ein Ausschnitt dessen, ist der vorliegende Band, resümiert der Rezensent, der sich schwer tut, zwischen den "verworrenen wie verwirrenden" Erzählsträngen eine klare Handlung zu erkennen. Einzigen Spannungsbogen entdeckt Drees in der Suche des Protagonisten nach den Verrätern seiner übrigen Familie, die Kurz vor der Flucht aus der Republik festgenommen wurde. Diese Suche inszeniere der Autor mit "langen, gedrechselten, teilweise überästhetisierten und -konstruierten Sätzen", die der Wahrnehmung politischer Kräfte im rechten Spektrum eine literarische Stimme verleihen wolle, bemerkt der Rezensent. Auch wenn einige Szenen für sich den Rezensenten durchaus beeindrucken können, so spekuliert Drees abschließend lieber darüber, wie schnell ein so schwerer Buchbrocken im Wasser versinken würde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.05.2022

Rezensent Andreas Platthaus erinnert an das jahrelange Rätselraten um den neuen, nun vorliegenden Roman von Uwe Tellkamp und an die fragwürdigen politischen Überzeugungen des Autors, um sich dann in die "autonome" Text zu werfen. Weder rund noch solitär ist das Buch, warnt Platthaus, und zwar weil Tellkamp dergleichen gar nicht anstrebt, wie der Rezensent ahnt. Das vom Jahr 1989 ausgehende Denken in Schichten und das ständige Ausweiten des Stoffes in alle Richtungen gelingt laut Rezensent durchaus, ebenso eine ambivalente Figurenzeichnung. Für Platthaus immerhin eine Abwechslung vom "Einheitsbrei" deutscher Gegenwartsliteratur.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14.05.2022

Rezensentin Julia Encke kann überhaupt nichts finden an Uwe Tellkamps neuem Roman. Das lange Warten gebiert in diesem Fall Ungeheuer: Einen 900 Seiten dicken Schinken, der die Rezensentin schon nach wenigen Seiten mit "pseudopoetischen Bildungsfetzen", allerlei selbstgefälligem Fachgesimpel, "Bedeutungsproduktion und Wortschöpfungen" a la "Hauptstrommedien", Adjektivpartizipien ohne Ende und losen Erzähl-Enden fertigmacht. Widerwille macht sich bei Encke breit. Und der Ruf nach einem Lektorat. Dass der Text eine Fortsetzung von "Der Turm" sein soll, findet Encke auch fragwürdig, weil eigentlich nur die Figuren erneut auftauchen, wie sie feststellt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.05.2022

Rezensent Dirk Knipphals wirkt ermüdet nach der Lektüre von Uwe Tellkamps 900-seitiger Fortsetzung von "Der Turm", die für ihn oft eher "mühsames Durcharbeiten" ist. Wo er dem Roman anfangs noch eine oktopusartige  (die Tiere kommen wiederholt vor ), "tastende" Bewegung abgewinnen kann, die mit ihren Fangarmen vorsichtig in die Abgründe der Gesellschaft eindringt, wird es ihm dann schnell zu rasant, wie Tellkamp durch die gesellschaftspolitischen Themen seit der Wiedervereinigung prescht. Dass die 2015 spielende Geschichte um den Ich-Erzähler Fabian Hoffmann, Sohn eines Stasi-verfolgten Dissidenten und nunmehr selbst für die geheime Sicherheitsbehörde tätig, zunehmend verschwörungstheoretische Züge annimmt und teilweise Erinnerungen an fremdenfeindliche Äußerungen des Autors aufkommen lässt, gefällt ihm auch nicht. Immerhin über zum Teil "grandios gehässige" Passagen freut sich Knipphals. Letztlich scheitert der Roman für ihn aber daran, dass er weder mit der "Erfahrung der Wende", noch mit dem gegenwärtigen stark medial geprägten Politiklandschaft wirklich etwas anzufangen wisse - für eine Gegenwartsanalyse reicht es daher nicht, meint der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.05.2022

Rezensentin Marie Schmidt freut sich über das Erscheinen des neuen Romans von Uwe Tellkamp. So kann das Buch nicht im Sinne der Cancel-Debatten nachträglich mythisiert werden, glaubt sie. Davon abgesehen hält sie nicht viel von dem Text. Gelesen als satirische Fortschreibung von "Der Turm" lässt sie das Buch ebenso ratlos zurück wie verstanden als fantastische, mit reaktionären Elementen gespickte Erzählung über den "deep state". Von der Anlage her erscheint ihr der Text mit seinen vielen Zeitebenen, abrupten Episodenenden, "schemenhaften" Figuren und dem ständigen Changieren zwischen Fantastischem und Realem unzugänglich. Für Schmidt ein selbstgerechtes, konfuses Buch, das dem Leser keinerlei Anreiz bietet, es zu Ende zu lesen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.05.2022

Rezensent Adam Soboczynski hält Uwe Tellkamp für einen "Meister der Vergangenheit". Wann immer der Autor in seinem neuen Buch in Diskussionen von Oppositionellen und Intellektuellen zur Wendezeit einsteigt, zeigt sich der Rezensent fasziniert und wittert stilistisches Talent. Leider ist das laut Soboczynski die Ausnahme. Sobald Tellkamp aber Gegenwart behandelt, wird es für den Rezensenten zäh und verschwörungstheoretisch unangenehm. Derart zermürbend findet er die Lektüre schon nach 50 Seiten, dass er an seinen geistigen Fähigkeiten zweifelt. Aber nein, es liegt an der mangelnden Figurenpsychologie, der fehlenden Orientierung, den Zeitsprüngen und der generellen Zusammenhangslosigkeit in diesem Buch, meint Soboczynski. Selbst die Kenntnis des Vorgängerromans und der Klappentext helfen da nur wenig, klagt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 07.05.2022

Rezensent Richard Kämmerlings sieht momentweise über das Wettern des Autors über "illegale Masseneinwanderung" in das deutsche Sozialsystem hinweg und würdigt Uwe Tellkamps neuen Roman als "fantastische", hoch poetische Geschichte über ein fiktives Staatswesen als Nachfolgeorganisation der Stasi. Wie Tellkamp seinen Erzähler die Ereignisse von 1989/90 und die von 2015 schildern lässt, übergenau, parodistisch, hinterlässt bei Kämmerlings allerdings gemischte Gefühle. Immer wieder kippt der Text laut Rezensent ins "offen Fremden- und Islamfeindliche" und der megalomane Wende- bzw. "Thesenroman über das Wesen der Macht" gewinnt eine unangenehme Nähe zum "'Lügenpresse'-Stereotyp", findet Kämmerlings.