Sibylle Berg

GRM

Brainfuck. Roman
Cover: GRM
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2019
ISBN 9783462051438
Gebunden, 640 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

"Vermutlich war der Einzelne schon immer unwichtig. Es fiel nur weniger auf." Die Brave New World findet in wenigen Jahren statt. Vielleicht hat sie auch schon begonnen. Jeden Tag wird ein anderes westliches Land autokratisch. Algorithmen, die den Menschen ersetzen, liegen als Drohung in der Luft. Großbritannien, wo der Kapitalismus einst erfunden wurde, hat ihn inzwischen perfektioniert. Aber vier Kinder spielen da nicht mit - sondern gegen die Regeln. Und das mit aller Konsequenz. Willkommen in der Welt von GRM. Sibylle Bergs neuer Roman beginnt in Rochdale, UK, wo der Neoliberalismus besonders gründliche Arbeit geleistet hat. Die Helden: vier Kinder, die nichts anderes kennen als die Realität des gescheiterten Staates. Ihr Essen kommt von privaten Hilfswerken, ihre Eltern haben längst aufgegeben. Die Hoffnung, in die sie sich flüchten, ist Grime, kurz GRM. Grime ist die größte musikalische Revolution seit dem Punk. Grime bringt jeden Tag neue YouTube-Stars hervor, Grime liefert immer neue Role-Models. Als die vier begreifen, dass es zu Hause keine Hoffnung für sie gibt, brechen sie nach London auf. Hier scheint sich das Versprechen der Zukunft eingelöst zu haben. Jeder, der sich einen Registrierungschip einpflanzen lässt, erhält ein wunderbares Grundeinkommen. Die Bevölkerung lebt in einer perfekten Überwachungsdiktatur. Auf der Straße bleibt nur der asoziale, vogelfreie Abschaum zurück. Die vier Kinder aber - die fast keine Kinder mehr sind -, versuchen außerhalb des Systems zu überleben. Sie starten ihre eigene Art der Revolution.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 06.06.2019

Rezensentin Eva Pfister bewundert die beißende Ironie von Sibylle Berg, auch wenn Bergs neuer Roman, eine harte Dystopie in einem neoliberalen Großbritannien nach dem Brexit, in der Totalüberwachung, Armut und Gewalt regieren, die Rezensentin mit allerhand drastischen Beschreibungen und so mancher Redundanz fordert. Die Geschichte vierer Jugendlicher fasst Berg laut Pfister mit viel Sarkasmus, polemischer Pointierung und der ein oder anderen scharfen politischen Analyse. Ein höchstens etwas zu lang geratener treffender Sozialreport, findet die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.05.2019

Philipp Theisohn erkundet die Widersprüchlichkeiten des neuen Textes von Sibylle Berg. Einerseits verkaufsfördernd als Roman etikettiert, andererseits sich auflehnend gegen jeden Fortschrittsglauben der Kultur, erscheint ihm das Buch eigentlich zynisch. Auch weil alle kulturellen Gesten auf niedere Instinkte zurückgeführt werden. Ausgestattet mit einem laut Theisohn durchaus glaubwürdigen Plot um abgehängte britische Kids in der nahen, albtraumhaften digitalen Zukunft, überzeugt ihn das Buch in seinem Zynismus allerdings auch ohne alle ästhetische Distanz und Ideenvermittlung.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.05.2019

Eva Behrendt hält Brainfuck für die passende Genrebezeichnung für Sibylle Bergs neuen Roman. Als "Kampfschrift" über die Sinnlosigkeit der Existenz anhand der verkorksten Lebengeschichten von sechs Figuren im Großbritannien nach dem Brexit funktioniert das Buch laut Behrendt fabelhaft. Bergs Faible für die Beschädigten wird für sie beim Lesen deutlich, ebenso ihre Beobachtungsgabe und ihr Sarkasmus. Bergs fliegender Wechsel zwischen auktorialer und personaler Erzählperspektive macht es Behrendt mitunter schwer zu entscheiden, wer gerade die Figuren charakterisiert. Doch eins ist sicher, meint die Rezensentin, sie kommen nicht gut weg im Strudel der "Bad Facts" der nahen Zukunft. Übertrieben kann die Rezensentin das leider nicht finden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.04.2019

Während sie ihre Begegnung mit Autorin Sibylle Berg schildert, kommt Journalistin Juliane Liebert auch auf Bergs Buch "GRM. Brainfuck" zu sprechen. Die Faszination des Feuilletons an dem düsteren Bild, das Berg hier von der Realität zeichnet, erklärt Liebert sich damit, dass die jugendlichen Hauptfiguren aus humanistischen Gründen hassen, wie sie findet: Ihre Welt wird von "Gewalt, Überwachung und Drogen" beherrscht und dennoch verweigern sie sich ihr, erzählt die Journalistin. Damit biete Berg zwar keine Lösungen für ihre zugespitzte Gegenwartsproblematik, aber schreibe "eine Welterzählung am Beispiel des sozialen Brennpunkts", meint Liebert.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 20.04.2019

Noch eine Dystopie? Alle Elemente scheinen jedenfalls vorhanden: Totalüberwachung, heruntergekommene Jugendliche, eine Welt ohne jede Chance auf Arbeit. Das Männerbild ist derb, und die Frauen sind unterwürfig. Aber als Dystopie liest sich der Roman eben nicht, so die Rezensentin Marlen Hobrack, sondern als "jener Teil des Seins, der sich eigentlich nicht symbolisieren lässt". Also irgendwie die aktuelle Wirklichkeit selbst. Vielleicht hat der Roman auch darum "erstaunlich wenig Plot", wie die Rezensentin feststellt. Immerhin, die Sprache scheint eine eigene raue Poesie zu haben. Aber das ganze ist so düster, dass sich die Rezensentin am Ende fragt, wer das freiwillig lesen soll.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.04.2019

Rezensentin Ursula März schließt sich den Lobeshymnen ihrer Kritikerkollegen auf Sibylle Bergs Post-Brexit-Dystopie an, wenngleich sie während der Lektüre mehr als einmal schlucken muss. Denn die Geschichte um vier Kinder aus der Unterschicht, die alle an ADHS, Autismus und der ihnen zugefügten Gewalt leiden, gehört nicht nur zum Besten, sondern auch zum Bösesten, was deutschsprachige Gegenwartsliteratur derzeit zu bieten hat, versichert März. Wenn ihr Berg von Macheten-Attentätern, aus dem Mutterleib gerissenen Embryonen, Sexsklavinnen und Vergewaltigergangs in einer Welt erzählt, in der die britische Wirtschaft von chinesischen Firmen beherrscht und der Mensch überall überwacht wird, erkennt die Kritikerin bei aller "Monstrosität" den Gegenwartsbezug. Mehr noch: Wo sich andere LiteratInnen nur ihrem eigenen Milieu widmen, schaut Berg zu den "Unterprivilegierten" und stellt gnadenlos die Klassenfrage, so März. Und dass der Autorin bei aller Wucht und Perversität des Romans auch noch Empathie, Zärtlichkeit, ja ein "Ton der Fürbitte" gelingt, findet März schlicht virtuos.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.04.2019

Jan Wiele liest Sibylle Bergs Erzählung vom Weltuntergang mit Genuss. Die Aufforderung zum moralischen Anstoß nimmt er ernst und fragt sich nur manchmal, ob die seitenlangen, schwer erträglichen Schilderungen einer Zukunft, in der Kinder grundsätzlich missbraucht und vernachlässigt werden und die Totalüberwachung Realität ist, nicht von einer empathielosen Künstlichen Intelligenz geschaffen wurden, wie sie im Text um sich greift. Bergs pointierte, assoziationsfreudige, multiperspektivische Literatur ist für Wiele jedoch vor allem ein grell leuchtendes Highlight zwischen all der langweiligen "Agenturprosa", sarkastisch, witzig, unterhaltsam und wohl strukturiert. Dass die zukünftige Gegenwart finster ist, was Berg an einigen Jugendlichen exemplifiziert, könnte Wiele angesichts solcher Literatur glatt vergessen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.04.2019

Judith von Sternburg scheint ihr Lachen beim Lesen von Sibylle Bergs dystopischem Roman selber unheimlich zu sein. Allzu weit scheint ihr Berg nämlich gar nicht in die Zukunft zu schauen. Dass es böse und gemein zugeht in der nahen von Gewalt, Überwachung, Einsamkeit, allgemeiner Erstarrung und Todesstrafe geprägten Zukunft, ist der bestimmende Eindruck, den die Rezensentin hier mitnimmt. Wie die Autorin das darstellt, mit jeder Menge Spott zwar, doch virtuos, berührend explizit und gekonnt die Perspektiven switchend, scheint Sternburg bemerkenswert, krass und ungeheuer gegenwärtig.