Orhan Pamuk

Cevdet und seine Söhne

Roman
Cover: Cevdet und seine Söhne
Carl Hanser Verlag, München 2011
ISBN 9783446236394
Gebunden, 626 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Istanbul im Jahr 1905: Cevdet fährt mit der Kutsche kreuz und quer durch die Stadt und wird mit verschiedenen Konfessionen, Nationalitäten, Weltanschauungen und sozialen Verhältnissen konfrontiert. Er versucht, sich über seine Identität und über seine Zukunft klar zu werden. Dreißig Jahre später stehen Cevdets drei Kinder im Mittelpunkt, für die sich alles verändert hat: die Zeitrechnung, die Kleidung, die Schrift, die Gesellschaft, das ganze politische System. Orhan Pamuk führt in seinem Debüt-Roman durch drei Generationen einer Familie und zeichnet zugleich den Weg der Türkei in die Moderne.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.07.2011

Bei "Cevdet und seine Söhne" handelt es sich um Orhan Pamuks Erstlingswerk, informiert Rezensent Walter van Rossum - ein Buch, von dem sich sein Autor später distanziert habe, weil es ihm zu eng an Thomas Mann und Tolstoi angelehnt war. Der Einfluss der "Buddenbrooks" wie der "Anna Kareninas" ist unverkennbar, räumt van Rossum ein, sieht im Unterschied zu Pamuk jedoch kein Problem darin. Im Gegenteil hält der Rezensent diese entfernte Verwandtschaft mit europäischen Vorbildern für signifikant und identifiziert prompt ein Hauptmotiv des Buches: "die Vermessung der türkischen Befindlichkeit an europäischen Idealen". Bei allen notgedrungenen Schwächen eines Erstlings hat das Familienepos aus den Gründerjahren der Türkei den Rezensenten außerdem prächtig unterhalten. Mehr noch: Es hat ihm eine Welt eröffnet und so manch krude Vorstellung über den südöstlichen Anrainer Europas begraben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.04.2011

Dieser erste ist, daran besteht für die Rezensentin Necla Kelek kein Zweifel, auch der "konventionellste" Roman des späteren Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk - dennoch sei es der ihr bis heute liebste des Autors. Ein über die Jahrzehnte aufgefächertes, stark autobiografisch geprägtes Familienporträt, das im Jahr 1905 einsetzt, dann einen Sprung in die Dreißiger macht und kurz vor dem Putsch in den späten Siebzigern endet. So etwas wie die türkischen "Buddenbrooks", nicht zuletzt im Anspruch auf Gesellschaftsbeschreibung. Geschildert wird darin am Schicksal der Familie des muslimischen Kaufmanns Cevdet so manche Frage der Entwicklung der Türkei im zwanzigsten Jahrhundert. Warum die kemalistische Bürgerschicht heute im Hintertreffen ist, sei darin genauso zu erfahren, wie man die Gründe für die tief greifende Europa-Skepsis im Lande erfährt. Als "großen Roman" und als noch größeres "Panorama" der türkischen Gesellschaft kann Kelek dieses Frühwerk Pamuks vorbehaltlos empfehlen.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.03.2011

Dass Orhan Pamuk sich seines Debütromans von 1982 jahrelang geschämt hat, wie der türkische Autor einmal zugegeben hat, weil er allzu sehr im Schatten von Leo Tolstois Realismus steht, dafür gibt es laut Christoph Bartmann keinen Grund. Denn dieser Roman einer Familie zeichnet ein höchst eindrucksvolles Bild des 20. Jahrhunderts mit seinen politischen und historischen Auseinandersetzungen und Wandlungen, lobt der Rezensent. Er stellt fest, dass nach dem atmosphärisch dichten Anfang, in dessen Zentrum der Familienpatriarch Cevdet steht, in den späteren Kapiteln fast nur noch debattiert wird. Dass man den politischen Diskussionen als Leser dennoch gefesselt folgt, liegt an dem komplexen Bild des Übergangs vom alten Sultanat in die Moderne, der sich hier ablesen lässt, so Bartmann. Dazu stellt er sehr eingenommen fest, dass Pamuk bei aller politischen Relevanz, die die Debatten des Romans haben, trotzdem nicht mit einer Botschaft erschlägt. Denn die "über-individuelle" Intention, die der Autor an seinen Figuren vorführt, lässt sich der Rezensent "gern zeigen", was er als Ausweis von Pamuks großer Kunst würdigt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.03.2011

Im Original ist dieser erste Roman des Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk bereits 1982 erschienen. Für Rezensentin Angela Schader birgt das Buch mit seinen vom Autor vor dem Panorama Istanbuls um 1900 über mehrere Generationen begleiteten Konflikten der türkischen Gesellschaft zwischen Osmanischem Reich und Aufklärung dennoch genügend aktuellen Stoff, um sich beim Lesen gut zu unterhalten. Allerdings gibt Schader zu bedenken, dass Pamuk hier noch nicht ganz die Meisterschaft seiner späteren Romane erlangt hat, die literarische Umsetzung der Suche nach nationalem und individuellem Selbstverständnis, die seine Figuren umtreibt, also hier und da noch ein bisschen hakt, was vor allem den westlichen Leser vor Herausforderungen stellen dürfte, wie Schader vermutet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.03.2011

Rezensent Martin Oehlen liest den Debütroman des Nobelpreisträgers Orhan Pamuk als Vorarbeit zu seinen späteren Welterfolgen. Viel von dem, was Bücher wie "Weiße Stadt" oder "Rot ist mein Name" meisterhaft ausführen, sieht Oehlen hier, künstlerisch etwas bescheidener vielleicht, angelegt. Doch glänzt Pamuk seiner Meinung nach bereits in diesem Werk vom Beginn seiner Schriftstellerkarriere durch eine detailreiche und liebevolle Beschreibung seiner Heimatstadt Istanbul und seiner Bewohner. Und auch hier ist unberührt vom Schicksal der Figuren vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen in der Türkei vom Reich zur Republik eine Melancholie für den Rezensenten spürbar - und der Druck der Staatsmacht, der mit der Frage nach dem individuellen Lebensentwurf kollidiert. Diese Konstante und der Humor und die Sympathie des Autors für seine Figuren, für ihre Stärken und Schwächen, sind für Oehlen unverkennbar Pamuk. Da darf auch der ein oder andre Satz etwas aufgeplustert daherkommen, stellt Oehlen gnädig fest, und mancher Dialog und manche Skizze ohne zwingende Relevanz bleiben.