Niklas Luhmann

Die Politik der Gesellschaft

Cover: Die Politik der Gesellschaft
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518582909
Gebunden, 443 Seiten, 24,54 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Andre Kieserling. Niklas Luhmann entfaltet in "Die Politik der Gesellschaft" die gesellschaftstheoretische Grundlegung der politischen Soziologie. Dabei werden Begriffe wie "Repräsentation" oder "Souveränität", "Staatlichkeit" oder "Demokratie" systemtheoretisch rekonstruiert und die politischen Funktionen dieser Begriffe aufgezeigt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.03.2001

Die Rezension von Hans Bernhard Schmid gibt vor, sich den beiden Nachlassbänden Niklas Luhmanns zu widmen - nach einer kurzen Einführung in die Grundbegrifflichkeit der Systemtheorie (Teilsysteme, Autopoiesis) konzentriert sich der Rezensent aber ganz auf "Die Religion der Gesellschaft". Für den Politik-Band konstatiert er nur knapp, dass die Politik als den anderen prinzipiell gleichgeordnetes Teilsystem der Gesellschaft (und in der Reduktion ihrer Bedeutung auf den Unterschied von Regierung und Opposition) in der Systemtheorie eine ungleich weniger prominente Stelle einnehme als in anderen soziologischen Entwürfen. Umgekehrt erfahre die Religion gerade durch diese Gleichrangigkeit eine Aufwertung. Um zu begreifen, welche Funktion ihr nach Luhmann in der modernen Gesellschaft zukommt, muss man sich freilich, so Schmid, "aufs oberste Abstraktionsniveau" der Logik begeben. Dass man zuletzt bei Nikolaus von Kues und der Mystik landet, wird keinen überraschen, der Luhmann kennt. Das Argument geht so: Jede Rückfrage nach dem Grund unserer Unterscheidungen - etwa, einschlägig, von gut und böse - führt letztlich durch die Selbstanwendung zur Paradoxie der Form: Ist die Unterscheidung selbst eigentlich gut oder böse? Im Alltag geht man der Paradoxie mit (schlechten) Tricks oder durch Desinteresse aus dem Weg, vermeiden lässt sie sich grundsätzlich nicht. Der Umgang der Religion mit dieser Paradoxie (auch nur ein Trick, aber ein raffinierter) macht ihre Einmaligkeit aus: Sie setzt der Welt ein Jenseits entgegen und postuliert die Möglichkeit einer Einheit der Unterscheidung: Gott. Dass diese Einheit selbst paradox im höchsten Maß ist, hat eben gerade der von Luhmann verehrte Nikolaus von Kues immer wieder vorgeführt. Anders als in allen anderen Teilsystemen wird aber die - als Einheit (Gott) auftretende - Paradoxie in der Religion zum Anfangs- und Endpunkt der Überlegungen. Daher Luhmanns Sympathie. Nicht ganz so groß ist wiederum Schmids Sympathie für Luhmann. Das zeigt sich weniger an konkreten Vorbehalten als an einer immer wieder aufscheinenden Mokanz des Tons. Insgesamt aber urteilt Schmid nicht, sondern referiert sehr ausführlich Luhmanns Argumente.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.10.2000

Niels Werber führt aus, wie Niklas Luhmann auf die Idee kam, Schröder einen "Dichter der Macht" zu nennen: das habe zum einen Gründe in der Wortgeschichte, da Poet im Griechischen ursprünglich "Macher" bedeutete; zum anderen sei das pragmatische Handeln bloße politische Fiktion, eine "Kontrollfiktion", wie es bei Luhmann heiße, die aus der Konstruktion eines kausalen Zusammenhangs in Verbindung mit einer politischen Entscheidung zustande käme. Werber führt das von Luhmann gewählte Beispiel einer Kausalitätskette von Jugendarbeitslosigkeit und rechter Gewaltbereitschaft an. Kein Mensch wüsste, sage Luhmann, ob ausgerechnet rechte Jugendliche von Investitionen in neue Arbeitsplätze profitierten und ob das wirklich zur Abnahme rechter Gewalt führe, aber die Politik würde damit Handlungsfähigkeit suggerieren - und Wählerpotential mobilisieren. Wo Politik als handlungsfähig vorgetäuscht wird, erklärt man in Folge dessen den Staat für alles zuständig, erklärt Werber weiter und weist darauf hin, dass der Systemtheoretiker hier an Thesen von Carl Schmitt anknüpfe. Bloß dass Luhman nicht den totalen Staat am Werke sehe, sondern eine gigantische Kontrollfiktion, die solange aufrechterhalten würde, wie man das Wahlergebnis als Resultat politischer Handlungen begreife.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.09.2000

Rezensent Detlef Horster konturiert Luhmanns soziologische Theorie der Politik erst einmal in Absetzung zu der von Jürgen Habermas, der, mit Luhmann, "schwärmerische Züge" unterstellt werden. Luhmann hat, so Horster, ein Gegenbild der Gesellschaft "ohne zentrale Schaltstelle" entworfen: die Politik ist selbst nur ein autpoietisches System. Bedeutsam wird dadurch die Frage nach der "strukturellen Kopplung", die mittels Irritationen durch Kopplungsmedien wie Verfassung (Politik/Recht) oder Geld (Politik/Wirtschaft) die Verbindung zu anderen Systemen herstellt. Diese Beziehungen hat Luhmann im postum erschienen Buch zu einer "politischen Evolutionstheorie" ausgearbeitet, der zufolge auf Irritationen stets "Restabilisierungen" des jeweiligen Systems folgen. Der Rezensent belässt es bei dieser Darstellung und verzichtet auf eine Wertung oder Einordnung des Bandes in die Gesamtarchitektur der Systemtheorie.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 30.08.2000

In einer Sammelrezension bespricht Niels Werber die drei nachgelassenen Bände "Die Religion der Gesellschaft", "Die Politik der Gesellschaft" (beide bei Suhrkamp) sowie "Organisation und Entscheidung" (Westdeutscher Verlag), ohne im einzelnen zwischen den Bänden zu unterscheiden. Zunächst legt Werber dar, dass Luhmann mit diesen Werken seine Theorie abschließt und in gewisser Weise auch krönt, denn nach Werber muss man die Sphären der Politik, also des Souveräns, und der Religion, also Gottes, zumindest im landläufigen Sinn als die alles überwölbenden ansehen - während Luhmann (und mit ihm Werber) allerdings betont, dass gesellschaftlichen Subsysteme wie Religion und Politik, aber auch Wissenschaft oder Kunst, ihre Autonomie haben. Besonderen Wert legt Werber in seiner Besprechung darauf, dass Luhmann Oberbegriffe wie Religion oder Politik, die für ihn gesellschaftliche Systeme bezeichnen, scharf unterscheidet von "Organisationen" wie Kirche oder Parlament - auch wenn sich diese Organisationen selbst gern mit den Sphären, innerhalb derer sie existieren, in eins setzen. Hier geht Werber besonders auf die "Kontrollillusion" der Politiker ein, die ernstlich glauben, in andere gesellschaftliche Systeme wie etwa die Wirtschaft eingreifen zu können. Folgt man Werbers Darstellung von Luhmanns System, so bewegen sich Politiker (aber parallel etwa auch Kirchenleute) dagegen wie Goldfische in einem Aquarium und verwechseln es mit der Welt. Indirekt ist daraus zu schließen, dass erst ein Politiker, der Luhmann versteht, versteht, was er ist - wir sehen schon vor unserem innern Auge, wie die Bundestagsabgeordneten an ihren Parlamentsbänken heimlich den Luhmann aus der Tasche holen, um ihn zu studieren!