Michel Foucault

Sexualität und Wahrheit

Vierter Band: Die Geständnisse des Fleisches
Cover: Sexualität und Wahrheit
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518587331
Kartoniert, 556 Seiten, 36,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von AndreaHemminger.Dreieinhalb Jahrzehnte nach dem Tod des Autors erscheint der vierte und letzte Band von Sexualität und Wahrheit - Michel Foucaults großangelegter Geschichte der Sexualität und Meilenstein philosophischer Forschung im 20. Jahrhundert. Die Geständnisse des Fleisches, von Foucault noch auf dem Sterbebett vollendet, schließt an die legendären Vorgängerbände an und zeugt einmal mehr von der Ausnahmestellung dieses Denkers. Im Mittelpunkt stehen die ethischen Diskussionen der Kirchenväter über das Geschlechtsleben in den ersten frühchristlichen Jahrhunderten. Foucault liest die Predigten und Abhandlungen von Clemens von Alexandria, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomos, Johannes Cassianus oder Augustinus von Hippo als Dokumente einer Sorge um das Seelenheil - als Zeugnisse der Herausbildung einer neuen Moral und Selbsterfahrung, die das Abendland fortan prägen sollten. Insbesondere die Jungfräulichkeit und die Ehe stehen dabei im Fokus der Auseinandersetzungen, die bei Augustinus in eine bis in unsere Gegenwart wirkende Ökonomie der Begierde münden: in eine konstitutive Pflicht des Subjekts zur stetigen Problematisierung des Verhältnisses von Freiheit und Natur, von Vernunft und Begehren.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 02.09.2019

Hans-Martin Schönherr-Mann liest den vierten Band von Michel Foucault Geschichte der Sexualität als Darstellung des kirchlichen Umgangs mit der Sexualität im zweiten bis fünften Jahrhundert. Den drei Themenblöcken über den Gehorsam, die Jungfräulichkeit und die Ehe entnimmt er, wie die Kirche den Menschen mit Hilfe von Beichte und Buße sozial, moralisch und religiös zu disziplinieren suchte. Laut Rezensent anschließend an Foucaults Macht-Studien ergibt der Band die Skizze einer Art früher Biopolitik. Die Frage, ob Foucault seine Machttheorie der siebziger Jahre mit diesem Band zugunsten einer individuellen Moral revidierte oder nicht, beschäftigt den Rezensenten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.06.2019

Rezensentin Claudia Mäder gibt den Kritikern von Michel Foucaults viertem Band seiner Geschichte der Sexualität Recht: Der Autor nutzt seine Quellen selektiv, vernachlässigt den historischen Kontext seiner Überlegungen zur christlichen Behandlung des Sex. Allerdings gefallen Mäder gerade die so entstehenden Zuspitzungen im Buch. Foucaults Thesen meint die Rezensentin nur umso deutlicher erkennen zu können. Die postume Publikation des unfertigen Werkes findet sie richtig. Die Spröde des Textes fällt ihr auf, stört sie aber nicht weiter.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.06.2019

Die hier rezensierende Philosophin Petra Gehring warnt davor, bei Michel Foucaults aus dem Nachlass publizierten und nun auf Deutsch erhältlichen vierten Band seiner Geschichte der Sexualität einen fertig durchkonzipierten Text zu erwarten. Das Buch wirkt auf sie eher wie eine Baustelle, unfertig, redundant, und ohne die für Foucault typische Straffheit. Wenn sich der Autor den Kirchenvätern zuwendet, christliche Quellen auswertet und zeigt, wie Geschlechtsmoral im Christentum sich entwickelt, vermisst Gehring ein Fazit. Foucaults These vermag sie allerdings zu erkennen: Es geht um eine "Verlagerung des Wertes der sexuellen Beziehungen".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.06.2019

Der hier rezensierende Religionshistoriker Christoph Markschies nimmt den aus dem Nachlass publizierten vierten Band von Michel Foucaults Geschichte der Sexualität mit Spannung in die Hand. Ernüchtert stellt er fest, dass der Band weder über ein Einleitungs- noch ein Schlusskapitel verfügt und nur aus Referaten von Texten von zehn antiken Autoren zusammengesetzt ist und keine soziolgischen Analysen enthält. Im Ganzen wirkt der Text auf Markschies fast prüde, das Wort "Masturbation" sucht er vergeblich. Die Konzentration auf bestimmte Texte versteht der Rezensent schließlich, belegen diese doch die neue Selbsterfahrung von Sexualität als Mitte des menschlichen Subjekts, um die es Foucault geht. Ob das Bild der christlichen Antike, dass so entsteht, nicht zu schematisch und überholt ist, stellt Markschies zur Diskussion. Lesenswert findet er den Band dennoch.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 22.06.2019

Rezensent Eckart Goebel ist sehr gespannt auf den nun erstmals erscheinenden vierten Band von Michel Foucaults Beschäftigung mit der menschlichen Sexualität. Die Analyse des Frühchristentums und ihrer Entwicklung der Moral aus antiker Ethik, die Foucault hier vornimmt, scheint Goebel nicht skandalös, aber umso aufschlussreicher. Über Enthaltsamkeit, Buße, den Sinn der Taufe und die Frage, wie man ein guter Christ wird, schreibt der Autor laut Goebel eindringlich entlang frühchristlicher Lehren. Besonders spannend findet er das Schlusskapitel zu Augustinus und der Frage, wie der Sex im Paradies war und wie er überhaupt zur Sünde wurde. Foucaults kühler, nicht wertender Stil gefällt Goebel gut. Zusammen mit den ersten drei Bänden bildet das Buch eine monumentale Geschichte erotischer Kultur, meint er.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.06.2019

Rezensent Hartmut Leppin rät, den von Frederic Gros aus dem Nachlass herausgegebenen vierten Band von Michel Foucaults Arbeit über Sexualität und Wahrheit gegen den Strich zu lesen. Weiterzudenken wäre laut Leppin dort, wo der Autor allzu okzidental denkt, den politischen Kontext oder jüdische Traditionen außer acht lässt und die Forschungsliteratur seiner Zeit sehr selektiv verwendet. Gewinnbringende Lektüre ist Foucaults Nachdenken über Sexualität und deren Beherrschung für Leppin aber auch so, einfach durch Foucaults Neugier, seine "emphatische" Quellenlektüre und seine anregenden Interpretationen christlicher Denker. Selten klangen letztere so frisch, meint der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 17.06.2019

Rezensentin Andrea Roedig findet Michel Foucault nicht in den hier aufgetürmten Quellentextgebirgen. Dass dieses "missing link" in Foucaults historischen Arbeiten über die Geschichte der Sexualität postum auf Deutsch erscheint, hält sie zwar für eine Sensation. Foucaults Untersuchungen zur Entwicklung antiker Lebenslehren zur christlichen Sexualmoral quillt laut Roedig allerdings regelrecht über vor Lektürefruchtfleisch. Auch wenn der Autor dankenswerterweise nicht bewertet, was er bei den Kirchenvätern etwa über die Kunst der Jungfräulichkeit oder die Entstehung der Buße liest, und der Text sich so flüssig nachvollziehen lässt, wie Roedig lobt, insgesamt fühlt sie sich als Leserin dennoch vom Autor alleingelassen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.06.2019

Lothar Müller rät zu Geduld und Neugier und zur Vorbereitung auf einen asketisch gelehrsamen Text in präziser Prosa. Mit diesem "spröden" Nachlasstext von Michel Foucault in der "sorgfältigen" Übersetzung von Andrea Hemminger wird er direkt in eine andere Zeit katapultiert - als wäre der Autor eben erst verstorben. Mit Gewinn liest das Buch laut Müller, wer es an die Bände 2 und 3 von "Sexualität und Wahrheit" von 1984 anzuschließen weiß, die Foucault seinerseits als "Fluchtpunkt einer Denkbewegung" voraussetze, wie der Rezensent schreibt. Die Entwicklung des Autors ist mit diesen auf die Antike und das frühe Christentum zurückschauenden Texten über Buße, Taufe, Ehe, Enthaltsamkeit und Keuschheit gut nachzuvollziehen, erklärt Müller.
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