Michel Foucault

Die Regierung des Selbst und der anderen

Vorlesungen am College de France 1982/1983
Cover: Die Regierung des Selbst und der anderen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
ISBN 9783518585375
Gebunden, 505 Seiten, 45,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Jürgen Schröder. Die letzten Vorlesungen Michel Foucaults am College de France sind der Parrhesia gewidmet: der freimütigen, öffentlichen, aufbegehrenden Rede. Es ist das große Thema seines späten Denkens: der Mut zur Wahrheit, mit dem das aufrichtige Sprechen in die Politik eingreift. In einer neuen Lektüre von Platons Siebtem Brief beschreibt er, wie sich dieser öffentliche Sprechakt mit dem Verfall der griechischen Stadtstaaten zu einer persönlichen Anrede des Fürsten wandelt. Zugleich unterzieht er eine Reihe von topoi der antiken Philosophie einer grundlegenden Revision: die Figur des Philosophen-Königs, die platonische Verurteilung der Schrift und Sokrates' Ablehnung einer Redekunst, die im politischen Ehrgeiz gründet.
"Die Regierung des Selbst und der anderen" erschließt das vergessene ethische Fundament der athenischen Demokratie. Sie bildet den Auftakt der beiden Vorlesungsreihen der Jahre 1982-84, in denen Foucault nicht weniger formuliert als sein philosophisches Vermächtnis. Niemand wird diese Texte lesen können, ohne in ihnen Foucaults Mut zur Wahrheit wiederzuerkennen. Es ist nicht zuletzt die eigene Denk- und Lebensform, die er in seiner Lektüre antiker Texte befragt und bestimmt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.03.2010

Johan Schloemann begrüßt diese beiden gewissenhaft edierten und übersetzen Bände mit den Vorlesungen Michel Foucaults aus den Jahren 1983 und 1984. Sie lassen sich seines Erachtens zusammen als "veritable Monografie" über die philosophische Redefreiheit als Manifestation des wahren Lebens lesen. Bedeutend scheinen ihm die Vorlesungen auch deshalb, weil der 1984 an Aids verstorbene Foucault eine geplante Buchveröffentlichung unter demselben Titel nicht mehr vollbringen konnte. Schloemann konstatiert eine Nähe zu Sokrates: zum einen wegen Foucaults bevorstehendem Tod, zum anderen wegen dessen Feier von Sokrates als Vertreter philosophischer Redefreiheit. Die Vorlesungen sind für ihn nicht nur geistesgeschichtlich ungemein aufschlussreich, sondern auch voll von "originellen Gedanken". Besonders hebt er Foucaults Ausführungen zur politischen Philosophie hervor. Der Philosoph deute Platon zustimmend so, dass Philosophie nicht bedeute, den Politikern zu sagen, was sie zu tun hätten. Für Schloemann ein "nüchternes Schlusswort zur großen Ära der engagierten französischen Intellektuellen in der Nachkriegszeit".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.01.2010

Claude Haas freut sich über diese deutsche Ausgabe von Michel Foucaults letzten Vorlesungen aus dem Wintersemester 1982/83. Speziell die Kernthese, es müsse möglich sein, der Politik die Wahrheit zu sagen, ohne die Wahrheit der Politik zu sagen, scheint ihm immer noch relevant, und Haas gutheißt auch die Penetranz, mit der Foucault auf die Trennung von Philosophie und Politik besteht. Denn dies gehöre zum Wesen der Demokratie, besonders auch deshalb, wie uns Haas nahelegt, da die philosophische Fundierung politischer Strömungen sich in der Vergangenheit oft als blamabel erwiesen habe. So kann der Kritiker Foucaults politische Theorie über weite Strecken sehr genießen. Auch wenn er sich manchmal fragt, wogegen genau Foucault hier eigentlich so vehement spricht, findet Haas Foucaults Ausführungen nach wie vor aktuell und ist froh, einen Denker wie ihn auch ein viertel Jahrhundert nach seinem Tod noch im Boot zu haben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.11.2009

In einer gedanklich wie emotional sehr bewegten Kritik nähert sich die Düsseldorfer Philosophieprofessorin und Foucault-Expertin Petra Gehring diesen beiden Bänden mit späten Vorlesungen Foucaults, in denen sich der Meister des Diskurses über den Umweg der antiken Philosophie wieder Kant und einem Begriff der Wahrheit nähert. Zentral scheint hierbei der Begriff der "parrhesia" zu sein, womit ein "Wahrreden" als dringliche Geste der philosophischen und politischen Auseinandersetzung gemeint ist, in dem der Redende ausdrücklich seine eigene Person aufs Spiel setzt. Fasziniert folgt Gebhardt den Entwicklungen des Begriffs, die Foucault durch die griechische Philosophie nachzeichnet, auch wenn sie eine Tendenz Foucaults zur Typisierung und zur Übertragung des Begriffs auf die Gegenwart nicht folgen mag. Unter Kennern, so verspricht sie, werden einige besonders dichte Passagen der hier vorliegenden Bände noch auf Jahre für Debatten sorgen - unter anderem verheißt sie eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Derrida und eine Neuinterpretation des letzten Satzes von Sokrates.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.10.2009

Otto Kallscheuers Kritik der späten Vorlesungsmitschriften Foucaults ist doch etwas kompakt geraten und liest sich - außer vielleicht für Kenner der altgriechischen Philosophie und ausgepichte Foucaldianer - recht schwer verständlich. Es gelingt Kallscheuer nicht, die eingangs seiner Kritik gestellte Frage, ob der große Poststrukturalist Foucault zum totgesagten Subjekt zurückfinde, bis zum Ende seiner Kritik im Gedächtnis zu behalten. Stattdessen verhaspelt er sich in den offensichtlich nicht sehr systematisch angelegten und abrupt abbrechenden Vorlesungen, die vor allem auf Foucaults berühmten letzten Text hinarbeiten, seine Interpretation von Kants "Was ist Aufklärung?" Es liegt auf der Hand, dass der Band für Foucault-Interessierte eine Pflichtlektüre ist, aber wahrscheinlich eine ganz schön struppige. Kallscheuers letzter Satz "Gegen Schluss tauchen noch die Kyniker auf" klingt jedenfalls ein bisschen wie eine Kapitulation.