Götz Aly

Rasse und Klasse

Nachforschungen zum deutschen Wesen
Cover: Rasse und Klasse
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783100004192
Gebunden, 254 Seiten, 18,90 EUR

Klappentext

Götz Aly eröffnet in seinen Essays ungewohnte Perspektiven auf das 20. Jahrhundert: So zum Beispiel wurde die 40jährige Menschenrechtspolitik des kaiserlichen Deutschland zum Schutz der rumänischen Juden völlig vergessen, weil sie nicht in das gängige Bild passte. So wurde der Begriff "Sozialismus" im Namen der NSDAP als reine Propagandaformel betrachtet - tatsächlich aber gehört der nationalsozialistische Umsturz von 1933 in die große egalitäre Grundtendenz des 20. Jahrhunderts: Die "Arisierung" wurde als breit angelegte Umverteilungspolitik betrieben - mit den Mitteln des Völkermords.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.07.2003

Texte von Götz Aly sind meistens eine Zumutung im positiven Sinn, behauptet Christoph Jahr und spricht dem Berliner Historiker und Publizisten ein Kompliment aus, weil er seinen Lesern auch "ungewohnte Perspektiven und verstörende Komplimente" zumute. Aly hat sich vor allem mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust beschäftigt; seine Kernthese steckt bereits im Titel dieser Aufsatzsammlung, behauptet Jahr: "Rasse und Klasse". Das sozialpolitische Programm der Nationalsozialisten sei es gewesen, dass ihr Regime nach Aly bis fast zum Schluss zu einer "Zustimmungs"-Diktatur gemacht habe, weil viele der gewöhnlichen Deutschen davon profitiert hätten und es den Anpassungsbereiten soziale Aufstiegschancen einräumte. Trotz einer großen Umverteilung erscheint es Jahr etwas gewagt, wie Aly den Nationalsozialismus mit anderen egalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts gleichzusetzen. Macht nichts, sagt Jahr, man müsse Aly ja nicht in allen Konsequenzen folgen und auch seinen sarkastischen und gelegentlich etwas eitlen Stil nicht immer mögen, überlegenswert seien seine provokanten Thesen immer.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.05.2003

Götz Aly ist ein sowohl wissenschaftlich arbeitender Historiker, spezialisiert auf den Nationalsozialismus, als auch Journalist, der zuletzt fünf Jahre als Redakteur bei der "Berliner Zeitung" gearbeitet hat. Der vorliegende Band versammelt überwiegend Artikel aus dieser Zeit, die bis auf wenige Ausnahmen, die Rudolf Walther in seiner Rezension als "leitartikelnd-grobschlächtige Zuspitzungen" bezeichnet, "historische Aufklärung im besten Sinne" bieten. Walther stößt sich an dem Untertitel des Buches "Nachforschungen zum deutschen Wesen", der auf eine ganz falsche Fährte locke: Aly zeige nämlich immer wieder, so Walther, dass Auschwitz keineswegs auf das deutsche Wesen zurückzuführen wäre. Für ihn spiele in diesem Zusammenhang der europäische Nationalismus die größere Rolle, der sich gerade in Osteuropa nach 1989 wieder so problematisch gezeigt hätte. Der vorliegende Band enthält auch Fremdaufträge, so Alys Besprechung der revidierten Fassung der Wehrmachtsaustellung, die von der FAZ in Auftrag gegeben und dann abgelehnt worden war. "Ein Kotau vor Reemtsma" lautete die hier zitierte Begründung. Der Band bietet Gelegenheit den Text nachzulesen wie auch viele andere Artikel Alys, so etwa seinen Verriss von Lothar Machthans' Buch "Hitlers Geheimnis" oder seinen Bericht über die Ermordung von 10.000 Berliner Psychiatriepatienten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 02.05.2003

Zwiespältig findet Rezensent Christian Geulen diese Sammlung mit 27 kürzeren Reportagen zur Geschichte und Aktualität des "deutschen Wesens". Wie Geulen berichtet, will Götz Aly zeigen, dass sich das Unwesen des deutschen Faschismus nicht auf eine Zeit, einen Raum und auf eine Clique von "Machthabern" begrenzen lasse. Allerdings widerfährt dieser These zum Ärger des Rezensenten "allzu häufig" eine eigenartige Verkehrung: "Die Welt", so Geulen, "ist immer dort schlecht, wo sie deutsch ist". Besonders auffällig seien solche "Kurzschlüsse" in den Texten, die die Aktualität des Nationalsozialismus anhand jüngster Nachrichten zu beweisen suchen, hält Geulen fest. Andererseits bietet der Band zur Freude Geulens auch eine Reihe von sehr lesenswerten Texten, die anhand ausgewählter Ereignisse, Episoden oder biografischer Skizzen vor allem das Ineinandergreifen von Politik und Gesellschaft im Nationalsozialismus und seiner Nachgeschichte schlaglichtartig beleuchten, etwa Alys kurzer Abriss der Lebenswege einiger NS-Ärzte und ihrer ehemaligen "Patienten".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.03.2003

Ein wichtiges Buch von einem mutigen Nestbeschmutzer, so könnte man Michael Wildts Besprechung von Götz Alys gesammelten Artikeln der Jahre 1999 bis 2002 zusammenfassen. Sie haben, so Wildt, allerdings nichts zu tun mit einem "deutschen Wesen", wie es der Untertitel will, sondern legen den Finger auf "Überzeugungstäter, Kontinuitäten des Denkens und beharrliche Weigerungen, sich mit der verbrecherischen Vergangenheit zu konfrontieren". Damit sei Aly oft angeeckt, auch in den eigenen Redaktionen. Es gehe immer wieder um das "bereitwillige Mitmachen" von vielen, und bei Aly komme dabei alles andere als "beschauliche Hauslektüre" heraus. Trotz aller "Lust an der Zuspitzung" ist er aber, darauf weist Wildt hin, weit mehr als ein bloßer Provokateur: Man dürfe bei allem Sarkasmus nicht übersehen, wie sehr es ihm letztlich um die moralischen Dringlichkeiten der Geschichtsbefragung gehe.