Vom Nachttisch geräumt
Cinemascope
Von Arno Widmann
20.06.2016. Führt von den Fresken in Schloss Rodenegg zum Knottenkino in Vöran: Andreas Hapkemeyers Kunstführer durch Südtirol.

Ausschnitt aus den Iwein-Fresken in Schloss Rodenegg
Vor mir liegt ein kleiner Kunstführer durch Südtirol. Er hat auch ein paar Seiten über Schloss Rodenegg. Er lässt auch den nicht allein, der auf dem Bozener Siegesplatz steht und klärt ihn auf über dieses von Paolo Rossi 1938 geschaffene Ensemble. Eine faschistische Propaganda-Inszenierung - das sieht man sofort. Aber Autor Andreas Hapkemeyer hat einen Blick fürs Detail. Zum Beispiel sieht man an der Inschrift des Gebäudes des Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) zwischen dem N und dem P eine Lücke. Da stand einmal das F für fascista.
Auf einem anderen Gebäude wurde die ganze Inschrift entfernt. Sie stammte von Horaz. Der hatte den Kaiser Augustus mit der Sonne verglichen. Das gefiel Mussolini und seinem Propagandaapparat so gut, dass sie es übernahmen. Mussolini als der neue Augustus. Das geschah 1943. Am 2. Juni 1946 stimmten 12.718.641 (54,27 Prozent) in einem Referendum - erstmals durften auch Frauen wählen - für die Republik.

Das Knottnkino in Vöran. Foto: Hubert Berberich (HubiB) - Eigenes Werk, CC BY 3.0 / Wikipedia
Hapkemeyer weist außerdem auf Installationen hin, an denen auch der historisch und kulturell weniger interessierte Zeitgenosse seinen Spaß haben wird: das Knottnkino. Im Jahr 2000 stellte der Schmied und Künstler Franz Messner 30 wetterfeste Klappstühle aus Stahl und Kastanienholz auf den Rotsteinkogel. "Von hier aus hat man einen weiten Blick über das Etschtal ("von der Etsch bis an den Belt") und auf die sich dahinter erhebenden Berge." Knottn ist das Südtiroler Wort für Fels. Wer sich in einen dieser Stühle setzt, der sieht die Felsen und die über sie hinwegziehenden Wolken wie in einem Cinemascope-Kino. Life ist eben doch am größten.
Andreas Hapkemeyer: Erlebnis Kunst in Südtirol - Von Fratzen, Fresken und Fassaden, Fotos von René Riller, Folio Verlag, Wien - Bozen 2016, 112 Seiten, mehr als 270 s/w und farbige Abbildungen, dazu Grafiken, 19,90 Euro.
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