Wolf Jobst Siedler

Wir waren noch einmal davongekommen

Cover: Wir waren noch einmal davongekommen
Siedler Verlag, München 2004
ISBN 9783886807901
Gebunden, 450 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Als der 21-jährige Wolf Jobst Siedler 1947 aus der Kriegsgefangenschaft nach Berlin zurückkehrt, ist die ehemalige Reichshauptstadt eine in Trümmern liegende Viermächtestadt . Aber selten war das intellektuelle Leben so aufregend, und Siedler hatte daran teil. Im Osten ging er in die Premiere von Bertolt Brechts Mutter Courage, im Westen in die deutsche Uraufführung von Sartres Fliegen und Thornton Wilders Wir sind noch einmal davongekommen, die Sensation der damaligen Berliner Theatersaison. Für noch mehr Furore sorgten damals junge Autoren, und das Buch erzählt von ihnen. Der junge Heinrich Böll besucht Wolf Jobst Siedler in dessen Dahlemer Elternhaus. Siedler verleiht als Juryvorsitzender Martin Walser seinen ersten Literaturpreis für den Roman "Ehen in Philippsburg", im Kolbe-Haus trifft er den damals halbverfemten Gottfried Benn, der aus ungedruckten Gedichten liest.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.12.2004

Klaus Harpprecht ist tief enttäuscht. Siedlers Memoiren hätten "eines der großen Erinnerungsbücher" der Nachkriegsgeneration werden können, klagt er. Hätten. Denn obwohl der zweite Band mit der "disziplinierten Lakonie" beginnt, die sich Harpprecht gewünscht hat, geht es von da an nur bergab. "Es ist deprimierend", seufzt der Rezensent, fast auf jeder Seite erliege Siedler der Versuchung, seine Leser mit "geschichts- und kulturkritischen Aphorismen heimzusuchen", die voller Bedeutung anheben, dann aber meist in einem "Bonmot der billigeren Sorte" enden. Harpprecht fragt sich verzweifelt, ob angesichts der Trümmer nichts anderes "in der Seele" des jungen Siedler vorging. Seine Heidegger-Phase ist dem Rezensenten noch zu unreflektiert und zu wenig distanziert, und "freilich hoffen wir vergebens auf klar gezeichnete Porträts" von gut bekannten Zeitgenossen wie Francois Bondy oder Melvin Lasky. "Mit Scharfblick" notiere Siedler zwar die Durchschnittlichkeit der deutschen Schriftsteller jener Epoche, Grass und Johnson ausgenommen, von der verlegerischen Arbeit aber ist "wenig Erhellendes" zu erfahren. Schlimm genug, als noch "schmerzlicher" aber empfindet es Harpprecht, dass Siedler die einflussreichen Frauen in seinem Leben einfach unterschlagen hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.11.2004

Ungemein aufschlussreich, verblüffend ehrlich und einfach fabelhaft findet Jürgen Busche die Memoiren von Wolf Jobst Siedler. Der große Publizist habe mit seinen Aufzeichnungen einen veritablen Berlin-Roman über "schöne Bücher, gepflegte Restaurants, interessante Menschen" abgeliefert, nachdem er ein Leben gelebt hat, "wie es kein Romanautor zusammenfabeln" dürfe. Erhellende Anekdoten zu den Geistesgrößen der Republik muss man in dem Band nicht suchen, sie stellen sich bei der Lektüre ein, wie sie sich im Leben Siedlers eingestellt haben mögen, erläutert der Kritiker. Dem erscheint zwar auch manch Kolportiertes fragwürdig, entschuldigt den Autor aber zugleich damit, dass Zeitgeschichte hier eben "eher Dekor als Studienobjekt" sei. Busche interessiert sich besonders für die parteipolitische Heimat des Konservatien Siedler und entdeckt dabei eine Gemeinsamkeit mit den großen Publizistenfreunden Joachim Fest und Johannes Gross. Alle drei verbinde das Vermeiden strikter Parteinahme, und gerade dadurch seien sie bei allen gerne gesehen. Was dem ansonsten positiv gestimmten Kritiker etwas spanisch vorkommt: die von allen Siedler-Autoren immer so hoch gelobte sorgfältige Betreuung ihrer Texte durch den Verlag ist ausgerechnet dem Verlagsgründer nicht beschieden; "sein Buch wimmelt von Druckfehlern".
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.10.2004

Angela Gutzeit zeigt sich zunächst ziemlich beeindruckt von dem "Erinnerungsvermögen" des Journalisten und Verlegers Wolf Jobst Siedler, der nach eigenem Bekunden diesen zweiten Teil seiner Autobiografie ohne Unterstützung von Tagebuchaufzeichnungen oder Notizen allein aus dem Gedächtnis diktiert hat. Siedler schreibt aus dem Bewusstsein einer untergegangenen Welt, des alten Berlin, dessen "intellektuellen und städtebaulichen Verfall" er beklagt, und manchmal geht der Rezensentin der die Lebenserinnerungen durchziehende "melancholische Ton" ein bisschen "auf die Nerven", wie sie zugibt. Dennoch stimmt Siedler keine "weinerliche Klage" in Sehnsucht nach der besseren alten Zeit an, beeilt sich die Rezensentin zu betonen. Denn der Verleger ist "durch und durch ein Konservativer" und vertritt dies mit "Überzeugung", so Gutzeit, die ihm darüber hinaus auch ein "selbstkritisches Gefühl für seine Grenzen" zuschreibt. Über seine Zeit als Verleger ist aus diesen Memoiren kaum etwas zu erfahren, da sie hauptsächlich in den journalistischen Jahren Siedlers angesiedelt sind, so die Rezensentin weiter. Für sie zählt das Kapitel, in dem Siedler über seine Zusammenarbeit mit dem "empfindsamen" Golo Mann für den Propyläen Verlag schreibt, zu den "schönsten" des Buches. Lediglich Siedlers "gewisse Naivität" im Umgang beispielsweise mit Albert Speer, den er zur Veröffentlichung seiner Memoiren im Propyläen Verlag brachte, irritiert Gutzeit etwas, zumal kaum Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte in den Lebenserinnerungen anklingt. Trotzdem zeigt die Autobiografie insbesondere in der mitschwingenden Melancholie auch die tiefen "Brüche in der deutschen Geschichte", so die Rezensentin abschließend versöhnlich und alles in allem recht angetan.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.10.2004

Den Großteil seiner Rezension verwendet Hans-Albrecht Koch, um die Wegmarken der Lebensgeschichte Wolf Jobst Siedlers noch einmal zusammenzufassen: die bürgerliche Herkunft, das ziellose Studium, die Arbeit als Feuilletonchef beim Berliner "Tagesspiegel", die Reisen, die Bekanntschaften, der Einsatz für die Berliner Architektur, die Leitung der Buchverlage im Springer Konzern, bis schließlich der eigene Verlag gegründet wird. Den Stil betreffend schmeckt der Rezensent jene "Ingredienzien" heraus, die zu einem derartigen Buch - "zumal nach einem solchen Leben" - dazugehören, wie etwa "gepflegte Eitelkeit, angelsächsischer Snobismus, Parfüm". Der geschmackssichere Siedler übertreibe aber nicht beim Auftragen der eigenen Duftnote, selbst da nicht, "wo er zuweilen gehobenen Klatsch bietet". In Erinnerung geblieben ist Koch besonders jene Passage, in der Siedler mit "decameronesker Leichtigkeit" von einem Besuch bei einer italienischen Contessa berichtet, die ihn und den mitgereisten Joachim Fest mit einem sinnesfrohen Bild ihrer selbst auf einer Felldecke überrascht.