9punkt - Die Debattenrundschau

Im Rahmen der Vorschriften

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.02.2017. Der Guardian porträtiert den Hedgefonds-Manager und Trump-Unterstützer Robert Mercer, der sein Geld nicht nur in Yachten steckt, sondern in Breitbart News und in die Leugnung des Klimawandels. In der Welt hält Thea Dorn fest, dass nicht nur Trump Weltbild über Wahrheit stellt. In der NYRB fürchtet Timothy Snyder bereits den günstigen Notstand. Die FAZ warnt vor faulen Heringen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.02.2017 finden Sie hier

Politik

Wie gefährlich manche Leute hinter Trump sind, macht Carole Cadwalladr im Guardian in ihrem Porträt über den kaum bekannten Trump-Unterstützer Robert Mercer klar, einen Software-Ingenieur und Hedgefonds-Manager (dessen Hedgefonds seine Algorithmen einsetzen), der nebenbei der größte Geldgeber in Trumps Wahlkampf war: "Mercer spricht so gut wie nie vor Publikum und niemals zu Journalisten. Wer seine Überzeugungen erkunden will, muss also herausfinden, wohin er sein Geld lenkt: in eine Reihe von Jachten, die alle Sea Owl heißen, eine 2,9 Millionen Dollar teure Modelleisenbahn, in die Klimawandelleugnung (er subventioniert einen Thinktank, der sich mit dieser Leugnung befasst, das Heartland Institute) und - vielleicht das Lieblingsspielzeug superreicher Männern - die Zerstörung von 'Mainstream-Medien'. Darin wird ihm von seinem engen Gefährten Steve Bannon geholfen... Zehn Millionen Dollar von Mercers Geld halfen Bannon, Breitbart zu finanzieren."

Putin, Erdogan, Trump: Machtpolitiker wissen, dass Terrorakte oder Putschversuche die perfekte Gelegenheit sind, um die Demokratie über den Haufen zu werfen. Das haben sie alle von den Nazis gelernt, meint Timothy Snyder im Blog der NYRB, die nach dem Reichstagsbrand die Grundrechte außer Kraft setzten. "Der Reichtstagsbrand zeigt, wie schnell eine moderne Republik in ein autoritäres Regime umgewandelt werden kann. Aber natürlich ist in der Politik des Ausnahmezustands nicht neu. Schon die amerikanischen Gründungsväter wussten, wie schutzlos eine Demokratie gegenüber einem machthungrigen Tyrannen wäre, der ein dramatisches Ereignis nutzen will, um Rechte zu suspendieren. Wie James Madison es so treffend gesagt hat: Die Tyrannei ergibt sich aus einem günstigen Notstand."

Thea Dorn setzt in der Welt ihre Liebeserklärung an Amerika fort. Ihr Entsetzen über das politische Klima schließt allerdings auch die Linke mit ein. "Siehst Du nicht, wie brandgefährlich es ist, wenn Du nur noch den Stimmen lauschst, die Dir die Wirklichkeit so aufbereiten, dass Dein Weltbild Bestätigung findet? Wenn die Linke nur noch den Medien glaubt, die alle Muslime unterschiedslos zur 'Bereicherung' ihres Landes erklären? Wenn die Rechte nur noch den Medien glaubt, die sämtliche Muslime zu potenziellen Terroristen machen? Wenn die Interpretation der Wirklichkeit wahnhafte Züge annimmt, weil Dein Präsident tatsächlich davon überzeugt zu sein scheint, dass bei seiner Inauguration mehr Menschen auf der Mall in Washington gewesen sind als bei der ersten Inauguration seines Vorgängers, obwohl es keinen einzigen nicht verschwörungstheoretischen 'Beweis' für diese Interpretation gibt?"

Der französische Historiker Henri Rousso, der auf dem Weg zu einem Kolloquium an einer amerikanische  Universität war,  schildert in der huffpo.fr, wie er an einem New Yorker Flughafen fast einen ganzen Tag lang von Einwanderungsbehörden festgehalten und schikaniert wurde, bis endlich ein freundlicher Beamter kam und ihm die Weiterreise getattete: "In Wirklichkeit hat meine Freilassung nichts Zufälliges. Sie ist die Folge der Intervention meines Kollegen beim Präsidenten der Universität von Texas, einer Professorin für Einwanderungsrecht und mehrerer Anwälte. Ohne sie wäre ich in Handschellen zum  Check in nach Paris zurückgeschickt worden."
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Europa

Der in der Türkei inhaftierte Welt-Korrepondent Deniz Yücel hat seinen Anwälten einen kurzen Text über seine Haftbedingungen diktiert, den die Welt veröffentlicht: "Noch vor 15, 20 Jahren war das hier eine Folteranstalt. Ich habe hier keine Gewalt gesehen und von keiner gehört. Die Beamten, die den Trakt beaufsichtigen, sind manchmal etwas grob im Ton, aber nicht ausfallend oder beleidigend. Und im Rahmen der Vorschriften sind sie hilfsbereit, meistens jedenfalls. Kritisch sind manchmal die Krankenhaustransporte. Aber dafür ist die jeweils ermittelnde Polizeiabteilung zuständig."

Das Dumme ist, dass Britanien selbst dann ziemlich von der EU abhängig sein wird, wenn es als selbständiges Mitglied der Welthandelsorganisation angehören will, schreiben Jakob Hanke and Alberto Mucci in politico.eu: "Wenn Britannien seinen eigenen Weg gehen will und als WTO-Mitglied in der ganzen Welt Handelsabschlüsse anstrebt, muss es gewisse Anforderungen erfüllen, die in den 'WTO Schedules' festgelegt sind. Diese Anforderungen sind Basis für jeden Abschluss und legen die Bedingungen fest, unter denen jedes Land dem Vereinigten Königreich gegenübertritt. Ohne Schedules bewegt sich London im Niemandsland. Als der größte Handelsblock in der Welt hat die EU enorme Macht bei der Entscheidung der WTO, ob die Schedules - also Pflichten, Quoten, Subeventionen - akzeptabel sind."

Jürg Altwegg erzählt in der FAZ die traurige Geschichte vom Abstieg des jungen Pariser Medien-Chouchous Mehdi Meklat, der im Bondy Blog als authentische Stimme der Banlieue berühmt wurde, bevor herauskam, dass er unter anderem Namen extreme Hasstweets absetzte:  "Er rief: 'Holt Hitler, um die Juden zu töten'. Die Journalisten von Charlie Hebdo beschimpfte er als 'Hunde', den von den Terroristen ermordeten Charb wollte er am liebsten noch 'mit einem Springmesser pfählen', Marine Le Pen 'nach muslimischem Ritual abschlachten' und dem 'Hurensohn' Alain Finkielkraut 'das Bein brechen'. Auch die islamkritische Intellektuelle Caroline Fourest wurde regelmäßig mit Hass-Tweets eingedeckt."
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Medien

In der SZ kommentiert Nicolas Richter Trumps Versuche, den Quellenschutz im Journalismus aufzuweichen: "Donald Trump ist nicht interessiert an gutem Journalismus. Er beurteilt Journalismus allein danach, ob er ihm huldigt oder nicht. Er ärgert sich darüber, dass permanent Vertrauliches aus dem Regierungsapparat sickert, unter anderem zur Affäre um seinen mittlerweile geschassten Berater Flynn. Trump will dem entgegenwirken, indem er die Medien als Volksfeinde beschimpft, deren Arbeit als Fake News niedermacht oder indem er Reporter aus dem Weißen Haus verbannt. Er will die Medien diskreditieren und potenzielle Informanten im Apparat einschüchtern, die seinen Stil mit Grausen verfolgen."

Kersint Holm schildert in der FAZ klassische Techniken russischer Medienpolitik, etwa das Anhängen eines "faulen Herings", bei dem jemand eine schwere Straftat nachgesagt wird: "Es muss eine möglichst abstoßende Tat sein, Mord aus Habsucht oder Kinderschändung eignen sich besonders. Beim 'faulen Hering' kommt es nicht darauf an, den Vorwurf zu beweisen, vielmehr soll gerade seine Unhaltbarkeit möglichst ausführlich in der Öffentlichkeit kommentiert und durchgekaut werden. Die menschliche Psyche sei nämlich so beschaffen, wussten schon die sowjetischen Strategen des Informationskriegs, dass jede öffentliche Behauptung sogleich Fürsprecher und Gegner auf den Plan rufe..."
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Gesellschaft

In der NZZ stellt Literaturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer die vielbeschworene Urbanität als hehres Ziel der Stadtplanung in Frage. Die Leute wollen sich doch gar nicht mehr auf einem Platz begegnen, sie wollen ihre Ruhe und einen Biosupermarkt: "Die Urbanität von einst enthielt viel zu viel Unglück - Konkurrenz, soziale Ungerechtigkeit, Arroganz, Eitelkeit, patriarchalisches Gehabe -, als dass sie der demokratischen Moral, die heute Diskussion und Planung leitet, zum Vorbild dienen könnte."
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