Bernd Stiegler

Reisender Stillstand

Eine kleine Geschichte der Reisen im und um das Zimmer herum
Cover: Reisender Stillstand
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010
ISBN 9783100706355
Gebunden, 288 Seiten, 22,95 EUR

Klappentext

Dies ist kein Buch für Stubenhocker, Agoraphobe oder Reisemuffel. Und dennoch geht es um eine besondere Art von Stubenhockern: um Zimmerreisende. Das sind Menschen, die einen oder mehrere Tage lang ihr Zimmer regelrecht bereisen, sowie ihre Verwandten, die es immerhin bis hinaus auf die Straße bringen. Unendliche Weiten der Nähe tun sich auf, die mit einem Blick erforscht werden, als hätte man die vertrauten Räume nie zuvor gesehen. Das Buch ist ein reich illustrierter historischer Reiseführer durch einen Topos der Literatur mit Gefährten wie de Maistre, Kierkegaard, Baudelaire, Robbe-Grillet, Handke, Cortazar und gibt Einblick in die über zweihundertjährige Geschichte einer Fortbewegungsart, die, ohne vom Fleck zu kommen, vieles in Bewegung setzt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.07.2010

Aus Sicht von Ronald Düker ist dies ein interessantes Buch über ein Phänomen des späten 19. Jahrhunderts, ja fast ein Glücksfall: Bernd Stieglers angenehm unverschrobene Aufarbeitung der kulturgeschichtlichen Ironie, dass uns das Fremde meist nur im Vertrauten gegenüber tritt und wir Weltreisen im Wesentlichen im Wohnzimmer unternehmen: via Lektüre nämlich. Lediglich die Gegenwartsdiagnose, mit der der Konstanzer Germanist dem Kritiker zufolge seine in 21 Etappen geschilderten Gedanken enden lässt, enttäuscht ihn sehr. Denn er findet nicht sehr plausibel, dass ein nur virtuell besuchbares Hotel zur Gegenwartssignatur erklärt wird, wo doch gegenwärtig so viel gereist wird, wie nie zu vor. Gern aber hat er sich noch mal über die alten Geschichten, Theoretiker und Theorien gebeugt, von Jules Verne über Roland Barthes bis hin zu Walter Benjamin: die alle nämlich im Vertrauten das betörend Fremde ausgemacht hätten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.07.2010

Till Briegleb hat sich zu weiterer Lektüre anstiften lassen von Bernd Stieglers Buch über Zimmerreisen gestern und heute. Reisephobiker, exzentrische Dandys wie Joris-Karl Huysmans Held Floressas Des Esseintes, jede Menge schräge Vögel lässt Ziegler aufmarschieren und kommt mit Quellen, die Briegleb immerhin interessant findet. Allein Stieglers Quellenkenntnisse und die dem Rezensenten merkwürdig disparat anmutende Liste der Zimmerneurotiker fördern wenig Substanzielles zutage. Briegleb vermisst nicht nur Entscheidendes zur modernen Zimmerreise mittels Internet und TV. Auch analytisch überzeugt ihn der Autor nicht. Was war noch mal ein handfestes Kriterium für den reisenden Stillstand? Strapazen, wie beim Lesen dieses Buches doch wohl nicht, hofft Briegleb.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.06.2010

Da schreibt der Autor ein originelles Buch über Zimmerreisen, Inbegriff der Langsamkeit und Introspektion und unterteilt es in "Etappen", wie bei einer Radrenntour. Das fällt unserem aufmerksamen Rezensenten natürlich auf. Und auch, dass Bernd Stiegler zwar fleißig in französischen und deutschen Archiven gestöbert hat, um uns die Gattung der Zimmerreiseberichte, Entstehung und Wandel, wissenschaftlich proper zu präsentieren, dabei aber allzu kursorisch, ja hektisch vorgeht, wie der Rezensent bemängelt. Knapp findet Daniel Jütte etwa Stieglers Ausführungen zur vormodernen Theologie und Philosophie, zu Petrarca, dem großen Verfechter der Einsamkeit. Weiterreichende Kontexte und Analysen vermisst er ebenso. Anekdoten und die ein oder andere bibliophile Entdeckung reichen ihm nicht ganz.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.06.2010

Die Reise in die nächste Nähe vermag uns sogar an den Tod zu gewöhnen, meint Angela Gutzeit und findet Bernd Stieglers Kulturgeschichte der Zimmerreisen einfach wunderbar. Und so praktisch. Wie Stiegler unserer Rezensentin in 21 Etappen chronologisch zu vermitteln vermag, hat dieses Abenteuer bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Waren es früher Flaneure oder ein sich an Dioramen erfreuendes Bürgertum, erläutert der Autor der Rezensentin heutige Methoden der "Zimmerreise" anhand künstlerischer wie technischer (das Internet!) Innovationen. Nur die gesellschaftspolitischen Hintergründe der Einkehr (Moderne, Krieg), die hätte Gutzeit mitunter gern etwas ausführlicher erklärt bekommen.