Ivan Jablonka

Laëtitia

oder das Ende der Mannheit
Cover: Laëtitia
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2019
ISBN 9783957576996
Gebunden, 384 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

In der Nacht vom 18. auf den 19. Januar 2011 wird Laëtitia Perrais 50 Meter von ihrem Haus entfernt entführt, dann erstochen, erwürgt und zerstückelt. Die Lokalnachricht weitet sich zu einer Staatsaffäre aus: Der damalige Präsident Nicolas Sarkozy benutzt den Fall, um seine Law-and-Order-Politik durchzusetzen. 8.000 Juristen gehen auf die Straße. Und auch die Medien instrumentalisieren Laëtitias Tod für ihre Zwecke. Ivan Jablonka nähert sich der Nachricht wie einem historischen Gegenstand und Laëtitias Leben als einer sozialen Tatsache: Ihre Biografie lässt den Zustand einer Gesellschaft erkennen, in der Jahre der Sparmaßnahmen die Sozialsysteme geschwächt haben und Gewalt gegen Frauen zum Alltag gehört. Doch wer war Laëtitia? Wie kann man ihre Geschichte erzählen, ohne sie von ihrem Ende her aufzurollen?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.10.2019

Urs Hafner möchte gern über all jene Fälle mehr erfahren, die meist nur kurz als vermischte Meldungen abgehandelt werden. Zu unrecht vernachlässigen die gebildeten Stände seiner Meinung nach Missbrauch und Gewalt, die vor allem und mit erschreckender Konstanz in den armen Milieus vorkommen. Mit Ivan Jablonkas Buch über die ermordetete Laetitia Perrais wird der Rezensent trotzdem nicht glücklich, auch wenn er dem Pariser Geschichtsprofessor attestiert, ausgiebig recherchiert zu haben und den Fall spannend niedergeschrieben zu haben. Doch der Fall Laetitia war in Frankreich keine Kurzmeldung: Präsident Nicolas Sarkozy hatte ihn in aller Breite ausgeschlachtet, um seine repressive Politik damit zu rechtfertigen (woraufhin Richter eine Woche lang in Streik traten). Und wie Jablonka das Schicksal der Ermordeten ausbreitet, findet der Rezensent auch unangenehm. Geradezu bloßgestellt sieht er das junge Mädchen und seine Schwester. Und wenn der Autor am Ende "Ich bin Laetitia" ruft, erkennt Hafner auf ungezügelten Geltungsdrang.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.10.2019

Rezensentin Theresa Hein findet es lobenswert, dass Ivan Jablonka sich mit "Laetitia" vorgenommen hat, die Geschichte eines berühmten Mordopfers zu erzählen, anstatt sich wie üblich auf den Mörder zu fokussieren. Der Fall der jungen ermordeten Kellnerin erregte im Jahr 2011 große mediale Aufmerksamkeit, erklärt sie. Was als "unspekulatives Reportagebuch" angekündigt wird, gerinnt aber bald zu einer Lobeshymne auf den Autor selbst, bemängelt die Kritikerin: Wenn er immer wieder hervorhebt, sein Buch solle dem Opfer endlich gerecht werden, geht es nicht mehr um die Frau, sondern um Jablonka selbst, bemerkt Hein. Die Stärken des Buches liegen der Rezensentin zufolge in seiner soziopolitischen Analyse der Berichterstattung, denn hier gelinge Jablonka "ein Lehrstück über europäischen Populismus im frühen 21. Jahrhundert".
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2019

Rezensent Helmut Mayer liest mit dem Buch des Historikers Ivan Jablonka den Versuch, das Leben hinter dem gewaltsamen Tod und seiner medialen und politischen Verwertung (Sarkozy führte damals eine Kampagne gegen die Justiz) der 18-jährigen Laetitia Perrais zu beleuchten. Dem Autor gelingt es laut Rezensent, die zerrütteten Familienverhältnisse des Täters wie des Opfers sichtbar zu machen und den Abstraktheiten des Mordfalls durch Gespräche mit Familienangehörigen und Freunden zu begegnen. Darüber hinaus lernt Mayer etwas über die Arbeit von Sozialeinrichtungen und Schulen mit benachteiligten Kindern. Für ihn ein beeindruckendes Buch.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de