Bruno Latour, Nikolaj Schultz

Zur Entstehung einer ökologischen Klasse

Ein Memorandum
Cover: Zur Entstehung einer ökologischen Klasse
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518029794
Kartoniert, 93 Seiten, 14,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Bernd Schwibs. Die katastrophalen Folgen unseres Handelns für die Natur sind inzwischen bekannt. Doch die Emissionen steigen weiter. Gegen das Mantra vom wirtschaftlichen Wachstum wirken die Kassandrarufe junger Aktivist:innen oft ohnmächtig. Und während sich im Namen von Freiheit und Gleichheit einst Massen mobilisieren ließen, führt der Klimaschutz zu neuen Spaltungen. Man denke nur an die Gelbwestenproteste in Frankreich.Für Bruno Latour und Nikolaj Schultz ist klar: So wie einst die Arbeiterklasse den sozialen Fortschritt erkämpfte, bedarf es heute einer ökologischen Klasse, um den Klimawandel aufzuhalten. Wo Bewegungen wie Fridays For Future und lokale Organisationen oft getrennt agieren, plädieren die Soziologen für eine Politik, die den Schutz unserer Lebensgrundlagen ins Zentrum gemeinsamer Anstrengungen stellt. Die Geschichte der Menschen, hieß es bei Marx und Engels, sei die Geschichte von Klassenkämpfen. Kommt es nicht zur Entstehung einer ökologischen Klasse, so Latour und Schultz, wird die Menschheit keine Zukunft haben.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.01.2023

Zunächst regt sich bei Rezensentin Annette Jensen Unverständnis darüber, dass Bruno Latour und Nikolaj Schultz in ihrem Buch so sehr am Begriff der 'Klasse' (und auch der 'Linken') festhalten - ist es doch gerade die heterogene Mischung sämtlicher Bevölkerungsgruppen, aus denen sich die sogenannte "ökologische Klasse" zusammensetzt, auf die die Autoren ihre Hoffnung auf die Rettung des Planeten setzen. Dann findet die Kritikerin aber doch interessante Gedanken in den Ausführungen des kürzlich verstorbenen Soziologen und Philosophen und seines Co-Autors: Ausgehend vom "Paradox", dass seit vielen Jahren die "Alarmglocken schrillen" und trotzdem kaum etwas passiere, denken die Autoren über eine Emanzipation im "Rahmen" des Planeten nach (im Gegensatz zu Rousseaus Idee der Einhegung, so Jensen), über das Hinterfragen von Machtansprüchen "per se", oder darüber, dass indigene Menschen viel besser wissen, wie in Zukunft zu leben sei, als die "modernen Ausbeutungskulturen". Nicht alle Thesen des Buchs scheinen der Kritikerin dabei gleich überzeugend; sie spricht aber trotzdem von einer sehr anregenden Lektüre.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 07.12.2022

Das kleine Buch von Bruno Latour und Nikolaj Schultz öffnet Horizonte, findet Rezensent Arno Orzessek. Das liege nicht zuletzt daran, dass es die Leser nicht mit Zahlen und Daten zu Ökologie und Klimawandel traktiere, sondern eine einzige Frage stelle: Wie kann der Umweltschutz die Politik dominieren? Der Antwort in 76 Punkten kann Orzessek einiges abgewinnen: Nicht nur in der historischen Herleitung, sondern auch durch die Verve, mit der der kürzlich verstorbene Latour eine "ökologische Klasse" auf die Barrikaden ruft, weil die derzeitige Politik die Menschen entweder nur müde mache oder in Panik versetze. Dass die Natur die Menschen besitze und nicht umgekehrt, ist für den Rezensenten ein echtes As im Ärmel, weshalb es umso nachhaltiger sein könnte, dieses letzte Manifest des französischen Soziologen und Philosophen zu lesen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.11.2022

Der kürzlich verstorbene Vordenker Bruno Latour und sein Koautor Nikolaj Schultz gehen die richtige Frage an, meint Rezensentin Claudia Mäder: Wie kommt es, dass die Klimabewegung die Menschheit in geistige Panik versetzt, sie aber zu keinerlei Handeln zu motivieren vermag? Warum gähnen alle nur noch beim Gedanken an steigende Meeresspiegel und tödliche Hitzewellen? Dass Latour und Schultz den Ökologismus neu denken wollen, erscheint der Rezensentin richtig. Sie wollen ihn positiv konnotieren und stellen sich daher eine ökologische Klasse vor, die mit ihrem Denken und Lebensstil als führende Schicht agiere, so wie im 19. Jahrhundert das Bürgertum seine Werte - Freiheit, Autonomie, Emanzipation - durchsetzte. Mit Klassenkampfrhetorik kann sie zwar nichts anfangen, aber in die richtige Richtung weisen Latour und Schultz ihrer Ansicht nach schon.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.11.2022

Wie kommt es, dass die Welt angesichts der bereits stattfindenden Klimakatastrophe in Untätigkeit verharrt, fragt Rezensentin Samira El Ouassil mit den Autoren des Buchs - und scheint mit ihnen vorauszusetzen, das tatsächlich nichts, oder längst nicht genug getan wird. Die Autoren machen für  diese "Handlungslähmung" auch die ökologische Bewegung selbst verantwortlich, erläutert die Rezensentin. Denn diese agiere zu sehr als Lobby der grünen Parteien und vermeide den Konflikt und die Kulturkämpfe. Dabei möchten die Autoren, dass die "ökologische Klasse" (ein Begriff, den die Rezensentin nicht näher definiert) nun auch ein Klassenbewusstsein entwickelt und aggressiv für dessen Durchsetzung kämpft. Die Autoren operierten mit einer Übertragung traditionell marxistischer Begriffe auf die ökologische Frage. Dabei stellt sich heraus: "Nicht wir besäßen die Ressourcen, die Ressourcen besäßen uns." In diesem Sinne müsste die Menschheit lernen, den fälligen Verzicht zu leisten und zu bejahen, um die Welt, in der, und die Welt, von der wir leben, in Einklang zu bringen. Samira El Ouassil bejaht diese Perspektive.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.11.2022

Keinen Monat nach dem Tod des französischen Soziologen Bruno Latour hat der Suhrkamp Verlag das zusammen mit Nikolaj Schultz geschriebene Buch "Zur Entstehung einer ökologischen Klasse" als "Memorandum" vorgelegt. Für Rezensent Harry Nutt ist das Buch "Extrakt des anspruchsvollen Werks" von Latour und eine Empfehlung an alle Klimaaktivsten der "Letzten Generation". Denn Latour hätte Pflöcke zur Bildung einer ökologischen Klasse eingeschlagen. Zwar behagt Nutt der "revolutionäre Duktus" nicht, aber in den zehn Kapiteln steckten so viele Ideen und Anregungen, auch mit Widersprüchen umzugehen, dass dieses "Manifest" wie kein anderes geeignet sei, "den Prozess der Zivilisation" wieder aufzunehmen. Zumal, so Nutt, es im wahrsten Sinn handlich zu lesen ist und Latour auch für "literarische Erbauung" sorge.