Nicholson Baker

Der Eckenknick

oder Wie die Bibliotheken sich an den Büchern versündigen
Cover: Der Eckenknick
Rowohlt Verlag, Reinbek 2005
ISBN 9783498006266
Gebunden, 492 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Helmut Frielinghaus und Sanne Höbel. Irregeleitet vom Fortschrittswahn und gedrängt von Platz- und Finanznot, vernichten Bibliotheken die Vergangenheit. Alte Bestände werden mikroverfilmt, die Orginale landen auf der Müllkippe. Es gibt eine Lobby, die in die Welt gesetzt hat, auf säurehaltigem Papier Gedrucktes werde "zu Staub zerfallen", die Mikroverfilmungen herstellt, die fehlerhaft, benutzerfreundlich und hässlich sind, die als "scan gang" nun Bücher digitalisiert, obwohl weder Hardware noch Programme Archivierung auf Dauer zulassen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.02.2006

Überzeugend findet Rezensent Jürgen Brôcan die Kritik, die Nicholson Baker in seinem neuen Buch an den amerikanischen Bibliotheken übt. Der Schriftsteller brandmarke darin den schleichenden Prozess der Vernichtung von Büchern und Zeitungen, der in amerikanischen Bibliotheken, von der Öffentlichkeit unbemerkt, seit den fünfziger Jahren stattfinde. Brôcan berichtet über einige Beispiele, die Baker in seinen "sorgfältig recherchierten" Ausführungen schildert: So entlarvt er etwa den Knicktest zur Feststellung der Papierqualität als Mythos, deckt die Machenschaften der Lobby von Mikroverfilmungsfanatikern auf und bezweifelt die Qualität von eingescannten Werken - alles mit Kostenreduzierung und Platzeinsparung begründete Vorgänge, die skandalöserweise letztlich zur Vernichtung der Originalwerke führen. Brôcan lobt Bakers "Akribie und Sarkasmus" und gibt der Hoffnung Ausdruck, sein Buch möge die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren. Gelegentlich findet er das Buch zwar etwas redundant und manche Polemik und Verschwörungstheorie scheint ihm überzogen. Aber das kann er dem Bücherliebhaber Baker leicht verzeihen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.02.2006

Wie kommt es, fragt sich Rezensent Lothar Müller, dass der für seine durchaus nicht vormodernen und technikfeindlichen Romane bekannt gewordene New Yorker Schriftsteller Nicholson Baker vor gut einer Dekade eine bis dato anhaltende Polemik in den Journalen der amerikanischen Geisteswelt vom Zaun brach, die sich mit den Modernisierungsmethoden der Bibliotheksbestände auseinandersetzt? In der als "Zettelkastenaffäre" betitelten Debatte gehe es um die von Baker geltend gemachten Verluste, die bei der Überführung alter Zettelkataloge in Online-Bibliographien entstehen. Mit der Vernichtung alter Kataloge, so Baker, ginge auch die "ungeschriebene Autobiografie" der Bibliotheken verloren, deren Geschichte sich in und auf die Karteikarten eingeschrieben habe. In dem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch gehe Baker noch weiter und dringe ins Innerste der Wissensinstitutionen vor. Die Bestanderhaltung mit den Mitteln der Massenentsäuerung und Mikroverfilmung, die den Papierzerfall der zwischen 1850 und 1970 verlegten Bücher vermeiden helfen soll, stelle für Baker nur einen dramatisierten Vorwand dar, der eine "rasche Ausrangierung, riskante Entsäuerung oder völlige Ersetzung durch Mikrofilmversionen legitimiere". Dem "trotzigen Radikalismus des Bewahrens" will der Rezensent zwar nicht zustimmen, da unter anderem der Papierzerfall kein Scheinproblem darstelle, trotzdem zollt er dem Temperament des "wortmagischen Daniel Düsentrieb" Respekt, der den Dingen wieder zu ihrem Eigenrecht verhelfe.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.11.2005

Steffen Kopetzky respektiert Nicholson Baker, auch wenn er nicht all seinen Ausführungen folgen mag. Mit einem "akribischen Erkenntnisdrang" schildere der Autor die derzeitig laufende Digitalisierung der Bibliotheksbestände in den USA, die er als Verbrechen an dem überlieferten Wissen des Landes sieht. Mit der Digitalisierung würden die Originale so stark beschädigt, das nur noch die virtuelle immaterielle Kopie übrigbleibe. Für Baker zu wenig, und so macht er sich laut Rezensent auf, die Akteure dieser Vernichtung bis in ihre "Vorgärten und Wohnstuben" zu verfolgen und beim Namen zu nennen. Der Rezensent hält die Übertragung der säurezerfressenen Bücher für den einzigen Ausweg, vor Bakers Text, der zugleich "Untersuchungsbericht" und eine "flammende Rede vor der intellektuellen Nation" sei, verneigt er sich dennoch. Am beeindruckendsten findet er aber Bakers persönliches Engagement: Auf eigene Rechnung hat der nämlich eine Lagerhalle gemietet, in der er alte Zeitungen konserviert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2005

Ach! Warum nur in aller Welt hat dieser begnadete Autor ein so langes und so langweiliges Buch geschrieben? Wie konnte Baker das nur passieren?, fragt betrübt Rezensent Michael Rutschky. Entschuldigung Nummer eins: Bakers "Poetik des Drechselns? funktioniere nun mal nicht bei diesem reinen Sachbuch zum Thema Büchervernichtung in Bibliotheken. Entschuldigung zwei: Hätte Baker sich doch mit 120 Seiten anstelle von 500 zufrieden gegeben, dafür aber mit "zärtlichster Bosheit und allen Tricks? (Ganz sicher wäre dann alles gut gegangen!). Doch kein "Wenn und Aber? hilft weiter, Baker hat die Chose vergeigt, muß Rutschky wehmütig eingestehen, und das trotz der reizvollen paradoxalen "Grundfigur?, dass Bücher analog zerstört werden um sie digital zu retten. Auch gebe es genügend "merkwürdige bis bizarre Personen?. Nicholson Baker hätte doch nur seiner persönlichen Rührung freien Lauf lassen müssen, so wie an der Stelle, wo er die zentnerschweren Bände eines "Revolverblattes? unter Tränen vor dem Untergang rettet, als wären es die Manuskripte Shakespeares. Leider aber, so Rutschky resigniert, habe sich Baker viele unnötige Sorgen um viel zu viele Bücher gemacht.

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