Franzobel

Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt

Roman
Cover: Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt
Zsolnay Verlag, München 2000
ISBN 9783552049567
Gebunden, 394 Seiten, 20,35 EUR

Klappentext

Die Geschichte einer Minderjährigen, aus der eine Hure werden muß, die Geschichte einer Liebe und die Chronik vom nicht stattfindenden Glück. Eine Geschichte von der Mathematik und vom Ende aller Zeit. Eine Geschichte, die in den Tiefen Wiens beginnt und in Rom, auf den 28 Stufen der Heiligen Stiege, über die einst Jesus zu Pilatus geführt worden sein soll, endet.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.07.2000

Gerhard Melzer analysiert mehr, als dass er erzählt; damit gelingt es ihm, uns einen Autor ans Herz zu legen, der sich dem geordneten Erzählen wissentlich verweigert und das Zufallsprinzip zur ästhetischen Leitlinie ernennt. Zwar gebe es eine Geschichte, meint Melzer, aber die sei eher eine Finte, zur Anlockung und Irreführung der Leser gedacht. Die eigentlichen Geschichten entstünden am Rande, lagerten in den Erzählnischen der vermeintlichen Hauptgeschichte, die durch "mäandernde" Sprachartistik und anarchische Fabulierlust immer wieder verdrängt, verschoben wird. Gelegentlich mache diese triebhafte Umständlichkeit das Lesen zäh, gesteht Melzer, fühlt sich aber durch ein Übermaß an sprachlichem Witz und Phantasie entschädigt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.07.2000

Uwe Pralles Rezension ist die Begeisterung, die er bei der Lektüre dieses Buchs empfunden hat, deutlich anzumerken. Wirklich hingerissen hat ihn aber anscheinend weniger der eigentliche Inhalt der Geschichte, in der in einer kleinen, spießigen Wiener Welt offensichtlich das komplette Personal mit seiner wild ins Kraut schießenden Libido zu kämpfen hat. Nein, Pralle erweist sich als jemand, der vor allem großen Spaß hat an Franzobels „erzählerischer Verspieltheit“, seinen Wortschöpfungen, seiner überschäumenden Freude an sprachlichen Spielereien: Sie sind es, „die den Erzählfluss antreiben und (mit)reißend machen“, findet der Rezensent. Dass Franzobel in seinem Roman besonders die „Verbindung zwischen katholischer Inbrunst und sexueller Brunst“ ins Visier nimmt, gefällt Pralle durchaus. Allerdings findet er es dann doch etwas übertrieben, wenn der Autor auf den 28 Stufen der Scala Santa nicht nur ebenso viele Gebete, sondern auch Liebesstellungen „durchexerziert“. Dennoch: Pralle hat sich durchaus mit Genuss auf „das Spielfeld eines opulenten, amüsanten und zuweilen anarchistischen Erzählers“ begeben.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.05.2000

Alex Rühle scheint dem Autor - was seine früheren Werke betrifft - etwas skeptisch gegenüber zu stehen. Diesmal jedoch lasse Franzobel nicht vorwiegend "seine Muskeln und Metaphern spielen". Er habe zwar auch hier seiner sprachlichen Virtuosität und Kunstfertigkeit freien Lauf gelassen, allerdings nicht ohne dabei das eigentliche Sujet aus den Augen zu verlieren. Die Figuren hält Rühle in dem vorliegenden Buch für lebendiger als sonst. Franzobel sei es gelungen, das "Psychogramm einer vergletscherten Gesellschaft" zu zeichnen, in der er "autistische Menschenreste zwischen Pornokino und Beichtstuhl" schildert. Bedauerlich scheint der Rezensent lediglich zu finden, dass das Buch nach 400 Seiten schon zu Ende ist. "Zugabe!", fordert Rühle.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.03.2000

Ein Buch des Hasses auf das Österreich eines Jörg Haider sei das, schreibt Volker Weidermann, und erzählt noch einmal, dass Franzobel beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb von 1995 "mit einem Schlag berühmt" wurde. Damals sei seine Prosa durch ihren Witz aufgefallen, heute stelle der "Wortschöpfungsartist" seine Kunst in den Dienst des Ekels vor der österreichischen Kleinbürgerseele. Hintergrund bildet nach Weidermann eine Art Kriminalgeschichte, die es Franzobel erlaube, tief hinter die Fassaden dieses Kleinbürgertums zu blicken. Dabei sei seine Prosa keineswegs denunzierend: "Franzobel versteht. Auch den Mörder. Auch den Faschisten. Das macht seinen Hass jedoch nur unerbittlicher." Bei der Schilderung der grauslichen Details des Mordfalls in dem Roman notiert Weidermann eine gewisse "Wollust" des Autors.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.03.2000

Michael Kohtes ist begeistert ob dieses von Wortschöpfungen und Wortschröpfungen nur so überquellenden Romans, der die "österreichische Krämerseele" und ihre Bewusstseinsinhalte mit sprachlicher Raffinesse durchleuchte. Kurz: ein Sprachanarchist, dem nichts heilig ist. Ein Sprachkünstler, der keine Variante unversucht läßt. Ein Literaturkenner, der mit literarischen Verweisen zu spielen weiß. Ein gesellschaftlicher Beobachter, der nicht mit Kommentaren geizt. Franzobel, schreibt Kohtes, führt sein Figurenarsenal nicht einfach als Deppen vor, sondern montiert ihre Alltagssprache so auseinander und wieder zusammen, daß sich ihre Denkmuster "zur Kenntlichkeit entstellen".