Stefan Mächler

Der Fall Wilkomirski

Über die Wahrheit einer Biografie
Cover: Der Fall Wilkomirski
Pendo Verlag, Zürich 2000
ISBN 9783858423832
Taschenbuch, 103 Seiten, 10,17 EUR

Klappentext

1995 veröffentlichte Binjamin Wilkomirski im Suhrkamp Verlag sein Buch "Bruckstücke". Er beschreibt darin, wie er als kleines Kind die Internierung in zwei Konzentrationslagern überlebte und in die Schweiz kam. Das Buch erhielt begeisterte Kritiken und zahlreiche Preise, es wurde mit Primo Levis Meisterwerken verglichen und in neun Sprachen übersetzt. Als der Vorwurf auftauchte, diese KZ-Biografie sei erfunden, kam es zu einer erbitterten Kontroverse um den Fall Wilkomirski. Stefan Mächler rekonstruierte schließlich das erschütternde Leben des Bruno Grosjean und zeichnet nach, wie aus ihm Binjamin Wilkomirski wurde. Er hatte als erster vollständigen Zugang zu allen Akten und stieß in zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen auf Fakten, die Wilkomirskis Geschichte vollkommen in Frage stellen. Mächler macht deutlich, wie Zeitzeugenliteratur rezipiert wird und was dies für unsere Erinnerung an den Holocaust bedeutet.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.08.2000

In einer Doppelkritik bespricht Elisabeth Bauschmid zwei Bücher zum "Fall Wilkomirski":
1) Elena Lappin: "Der Mann mit den zwei Köpfen" (Chronos Verlag)
Über dieses Buch lässt Bauschmid allerdings nur eine Bemerkung fallen: Lappin schreibe in ihrer "Skizze" des Falls durchaus nicht ohne Mitleid, obwohl sie zu den "zunächst Getäuschten" gehörte. Ebenso wenig wie Mächler erliege sie dabei der Gefahr, angesichts der "geliehenen Biografie" dieses Autors, der sich eine Identität als Holocaust-Opfer andichtete, in "Amateurpsychologie" zu verfallen.
2) Stefan Mächler: "Der Fall Wilkomirski" (Pendo Verlag)
Wesentlich ausführlicher geht die Rezensentin auf Mächlers Buch ein und erinnert zunächst daran, dass Mächler der vom Suhrkamp-Verlag bestellte Gutachter war, der dann endgültig die Fälschung belegte. Ein wenig, so Bauschmid, merke man es dem Buch an - es sei als Gutachten für den interessierten Leser teilweise allzu detailliert belegt. Interessant findet die Rezensentin es aber immer dann, wenn Mächler die ergriffene Reaktion des Publikums und der Kritik auf Wilkomirskis (oder eigentlich Bruno Doessekers) gefälschte Biografie analysiert. Mächler sehe hinter dieser Ergriffenheit eine "subtile Form der Abwehr" aufscheinen, referiert die Rezensentin, die gegen diese Interpretation der Publikumsreaktionen nichts einzuwenden hat. Bauschmid erinnert auch daran, dass es schon vor Erscheinen "deutliche Warnungen" an die Adresse des Suhrkamp-Verlags gegeben habe.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.07.2000

Einleitend erinnert Hans-Martin Lohmann an das Buch "Bruchstücke", das der Schweizer Bruno Dösseker 1995 unter dem Namen Binjamin Wilkomirski veröffentlichte und in dem er - angeblich jüdischer Herkunft - über seine Kindheitserlebnisse in Majdanek und Auschwitz berichtete. Drei Jahre später wurden diese Erlebnisse jedoch als frei erfunden entlarvt. Lohmann stellt klar, dass Mächlin in seinem Buch an keiner Stelle anzweifelt, dass es sich bei "Wilkomirskis" Erinnerungen um eine Fälschung handelt, auch wenn dieser heute noch auf der Authentizität seiner Geschichte besteht. Für den Rezensenten ergeben sich daraus mehrere Fragen: Zum einen fragt er sich, wie es möglich ist, dass jemand sich die "Opferidentität" derartig zu eigen macht, dass er selbst daran glaubt. Zum anderen müsse man sich fragen, welche Rolle die "recovered memory therapy" spiele, die besonders in den USA populär ist. Von der Person "Wilkomirski" abgesehen weist der Rezensent auch auf die "unkritisch-enthusiastische Rezeption" in der Öffentlichkeit hin, zumal von Anfang an verschiedene Widersprüche in den "Bruchstücken" bekannt geworden seien, denen aber wenig Beachtung geschenkt wurde. In seinen Augen leistet Mächlers Buch einen wichtigen Beitrag, der "historischen Wahrheit" in dieser Angelegenheit auf die Spur zu kommen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.07.2000

Christiane Zintzen zeichnet den Fall Wilkomirski noch einmal nach, bevor sie auf Mächlers Untersuchung über die gefälschte Biografie zu sprechen kommt: Es geht um das umstrittene, mittlerweile sogar gesperrten Werk von Binjamin Wilkomirski alias Bruno Doessekker "Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939-1948", erschienen bei Suhrkamp im Jahre 1995 und bald darauf Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen. Die vermeintliche Biographie wurde 1998 von einem Daniel Ganzfried als Fälschung bezeichnet, weil Wilkomirski - anders als sein Ich-Erzähler - nie Häftling in einem Konzentrationslagers gewesen war. Die Rezensentin ist beeindruckt von dem Material, dass Mächler zusammengetragen hat und der behutsamen Rekonstruktion von Wilkomirskis Geschichte. Dass es in der Darstellung Wiederholungen und Längen gibt, scheint ihr dagegen unbedeutend zu sein. Auch mit dem Erklärungsansatz des Autors, "dass die Rezeption als faktischen Realismus auffasste, was Wilkomirski als psychische Realität verstand", ist Zintzen einverstanden. Wie Mächler sind ihr die Fälschungsvorwürfe Ganzfrieds zu einfach. Die in dem Buch vertretene Auffassung, dass Wilkomirskis "Über-Identifikation" mit den Opfern des Holocausts eine eigene "psychische `Wahrheit`" beinhalte, erscheint ihr dagegen der "sanftere Weg" zu sein. Zintzen weist noch auf ein anderes Buch zu diesem Thema hin, ohne jedoch weiter darauf einzugehen: "Der Mann mit zwei Köpfen" von Elena Lappin, erschienen im Chronos Verlag, 2000.
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