Willy Brandt, Günter Grass

Willy Brandt und Günter Grass

Der Briefwechsel
Cover: Willy Brandt und Günter Grass
Steidl Verlag, Göttingen 2013
ISBN 9783869306100
Gebunden, 950 Seiten, 49,80 EUR

Klappentext

Herausgegeben durch Martin Kölbel. Als Willy Brandt 1961 dreißig Schriftsteller nach Bonn einlud, um sie für den Bundestagswahlkampf der SPD zu gewinnen, fehlte ausgerechnet Günter Grass auf seiner Liste. Der Bestsellerautor sei, so ging das Gerücht, Anarchist und für die Politik nicht zu haben. Auf den verzögerten Start folgte eine Liaison von Geist und Macht, die ihresgleichen sucht: Der Schriftsteller stieg in den tagespolitischen Nahkampf ein und erprobte eine freigeistige Beteiligung an der Partei- und Regierungsarbeit. Der Vorsitzende und spätere Bundeskanzler fasste ein vitales Interesse an seiner kritischen Dreinrede und förderte nachdrücklich die parteilose Wählerinitiative. Das geheime Herzstück dieser Liaison bildet der bislang unveröffentlichte Briefwechsel von Brandt und Grass. Das Buch präsentiert erstmals sämtliche Briefe und Briefbeigaben, versieht sie mit einem ausführlichen Stellenkommentar und veranschaulicht sie mit zahlreichen Abbildungen. Ein Essay des Herausgebers erläutert die Hintergründe dieses bedeutenden Dokuments zur zweiten, der intellektuellen Gründung der Bundesrepublik.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.05.2013

Alexander Cammann ist ziemlich beeindruckt von diesem Briefwechsel zwischen Willy Brandt und Günter Grass. Er ist auch überrascht - nicht so sehr von Brandt, dessen Leben in der Politik wurde dafür schon zu oft durchgekaut, findet der Rezensent, es ist Grass, den Cammann in diesen knapp dreihundert Briefen neu entdeckt. Ja, wahlkämpfend kennt man ihn, gibt der Rezensent zu, aber wie weitreichend Grass' Engagement war und wie klug seine politischen Ansichten, das ist Cammann neu. Grass prophezeite den vehementen Widerstand der Jugend gegen die große Koalition, er gewann zahlreiche Intellektuelle für die Reihen der SPD und forderte von Spitzenpolitikern ein klares Bekenntnis zu ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus. Schade nur, dass sich Grass in dieser letzten Frage nicht schon früher an die eigene Nase gepackt hat, meint Cammann, aber davon will sich der Rezensent die Lektüre der Briefe nicht vermiesen lassen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.05.2013

Auf Willi Winkler macht der Briefwechsel zwischen Willy Brandt und Günter Grass den Eindruck eines ziemlich einseitigen Werbens des Dichters um die Gunst des SPD-Politikers. Zwar sind die beiden schnell beim Du, wirklich herzlich wird der Austausch aber nie, bestenfalls Berliner-Biertrinker-Genossenschaft klingt an, meint der Rezensent. Während Grass seitenweise Vorschläge, Empfehlungen und anderweitige Einmischungen versendet - meist nur für den Archivkeller, weiß Winkler - speist Brandt den Dichter mit bürokratischen Dreizeilern ab. Nur hier und da greift Brandt dankbar Formulierungen auf, berichtet der Rezensent, so soll beispielsweise Brandts Wahlspruch "Mehr Demokratie wagen" aus Grass' Feder stammen. Dabei waren einige von Grass' Vorschlägen gar nicht dumm, findet Winkler. In der Frage, wie mit der amerikanischen Invasion Vietnams umzugehen sei, ist dem Rezensenten natürlich der rigorose Antimilitarismus des Dichters sympathischer als Brandts Loyalität gegenüber den USA. Der Briefwechsel beweist für Winkler daher: "Macht verdirbt den Charakter und Politik die Literatur".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.05.2013

Angesichts der Tatsache, dass Günter Grass sich erst 2006 dazu bekannt hat, 1944 zur Waffen-SS eingezogen worden zu sein, erscheinen Jochen Hieber viele Passagen in seiner Korrespondenz mit Willy Brandt ziemlich heuchlerisch. Manche werden von ihm in seinen Briefen verurteilt, andere zur Beichte gedrängt, erklärt der Rezensent, wohlwollend könne man das noch als "Projektionen" verstehen. Auch zwischen Grass und Brandt ist der Nationalsozialismus bis zuletzt Thema, und bis zuletzt herrscht Uneinigkeit über den politischen Umgang mit der vergangenen Schuld. Doch auch darüber hinaus darf nicht vergessen werden, wie entscheidend sich die Verbindung zwischen dem Schriftsteller und dem Politiker auf die deutsche Politik ausgewirkt hat, angefangen bei berühmten Slogans wie "Mehr Demokratie wagen", der mit ziemlicher Sicherheit aus Grass' Feder stammen dürfte, oder gar Brandts Kniefall am Mahnmal des Warschauer Ghettos, gibt Hieber zu bedenken. Generell: kein größeres Thema, kein Konflikt fehlt in den knapp dreihundert Schreiben, was den Briefwechsel ohne Frage zu einem spannenden Zeitdokument macht, meint der Rezensent.
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