Bücherbrief

Die Plackerei lohnt sich

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
01.06.2007. Ein sehr wichtiges und ein sehr schwieriges Buch, eine alte Gesellschaft und ein greiser Leopard. In diesem Monat geht es auf den Rummelplatz, an niedersächsische Baggerseen und per Pauschalreise nach Mekka. Viel Freude mit den besten Büchern im Juni!
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen Bücherbrief
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"

Die besten Bücher des Früphlings finden Sie übrigens in den brandneuen Büchern der Saison. Und natürlich haben wir die aktuellen Literaturbeilagen ausgewertet.


Buch des Monats

Kevin Vennemann
Mara Kogoj
Roman



Eines der schwierigsten Bücher der Saison, befindet die taz und spricht damit stellvertretend für die erschöpften, aber glücklichen Kollegen. Für vier der fünf Kritiker hat sich die Plackerei vollauf gelohnt. Denn Vennemann schildere hier beispielhaft den Kampf um die Erinnerung und die Herausbildung des gesellschaftlichen Konsensgedächtnisses, stellt die FAZ anerkennend fest. Beim Gespräch zwischen zwei Sloweninnen und dem rechtsnationalen Kärntner Journalisten Ludwig Pflügler schieben sich dessen Wahngebilde in unheimlicher Weise immer mehr in den Vordergrund. Großartig, wie Vennemann die suggestive Rhetorik des mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Pflügers abbildet, loben NZZ und FR. Nur der SZ ist das Buch, in dem auf jegliche Interpunktion verzichtet wird, zu wenig markant und authentisch.


Literatur


Werner Bräunig
Rummelplatz
Roman



Eines der wichtigsten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur ist endlich wieder veröffentlicht worden, frohlockt die Zeit und warnt die Kollegen davor, den monumentalen "Rummelplatz" mit ideologischen Scheuklappen zu betreten. Die SZ beherzigt das und glaubt, Werner Bräunig könnte heute in einem Atemzug mit Grass oder Böll genannt werden, wäre er von der DDR nicht als unbotmäßiger Querkopf auf Eis gelegt worden und früh verstorben. Für die FAZ besticht die Schilderung der Arbeiterwelt des Uran-Bergwerks Wismut durch rabelaishafte Wortkaskaden, die taz spricht lieber von realistischem Drive, der alle sozialistischen Anwandlungen locker überflügelt.

Henning Ahrens
Tiertage
Roman



Ein Sommer in der niedersächsischen Provinz. Die schöne Miranda verdreht allen Männern den Kopf und lässt sie zu Tieren werden. Während die "echten" Tiere, allen voran der Rammler Mr. Allyours, ihre bürgerlichen Ideale nicht aufgeben wollen. Henning Ahrends ist hier alles gelungen, schwärmt die SZ: das gleichberechtigte Nebeneinander von ironischer Wirklichkeit und flirrender Irrealität ebenso wie die Wendung vom Heiteren ins Tragische. Dieser Roman berührt buchstäblich, verrät die FR, ohne allerdings zu sagen, wo genau. Sicher ist sie sich allerdings, dass die leichtfüßigen "Tiertage" Ahrends bisher bester Roman ist.

Hisham Matar
Im Land der Männer
Roman



Tripolis im Jahr 1979: Der neunjährige Suleiman hat eine alkoholabhängige Mutter, die in ihren nächtlichen Suffs immer wieder von der Katastrophe ihres Lebens erzählt, der Zwangsheirat mit Suleimans Vater. Der wiederum hat offenbar etwas mit der Verhaftung der Nachbarn zu tun. Die eindringliche Schilderung der beklemmenden Atmosphäre des libyschen Überwachungsstaats, kombiniert mit der ungewöhnlichen Kinderperspektive und einer subtilen Variation des Sündenfallmotivs bei der Mutter, all das führt für die NZZ schnell zu einer klaren Empfehlung dieses Debüts.


Sachbuch

Karl Otto Hondrich
Weniger sind mehr
Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist



Die Lust am Widerspruch blitzt oft auf in diesem Monat. Allen voran der kürzlich verstorbene Soziologe Karl Otto Hondrich in seinem letzten Buch: Weniger Kinder sind nicht der Untergang, sondern Grund zur Freude, meint Hondrich und legt sich damit mit allen an, unter anderem natürlich mit Frank Schirrmacher und seinem "Minimum". Alte kaufen viel, und wenn es teure Medikamente sind, bei weniger Kindern bekommt jedes einzelne mehr Fürsorge und Förderung, und den Arbeitskräftemangel kann die Wirtschaft auch mit Frauen und Einwanderern decken. Die NZZ kann Hondrichs Argumenten kaum widersprechen. Endlich Platz!

Adam Tooze
Ökonomie der Zerstörung
Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus



Adam Tooze will Götz Aly nicht abkaufen, die Deutschen hätten vom Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich vor allem profitiert, wie Aly in seinem Buch "Hitlers Volksstaat" erklärt hatte. 1943 verschlang der Krieg immerhin satte 76 Prozent des Staatshaushalts, betont dagegen der britische Historiker. Das dahingestellt, lernt die taz jedenfalls viel über die Koalition zwischen Politik und Privatwirtschaft, wobei erstere stets den Ton angegeben hat. Das alles sei hochinteressant, aber leider etwas mühsam zu bergen, da allzu hohe Materialberge die Sicht auf das Wesentliche bisweilen verstellten.

Werner Bartens
Das Ärztehasserbuch
Ein Insider packt aus



Die FAZ möchte zunächst einmal Widerspruch einlegen gegen den marktschreierischen Titel des Buchs. Werner Bartens hasst seine Kollegen nicht, er schildert nur, wie im Gesundheitssystem Verrohung, Geldgier und Fahrlässigkeit um sich greifen. Ein schönes Beispiel für ersteres ist die Bezeichnung "AOK-Schweine", die einige Ärzte angeblich für die weniger zahlungskräftige Klientel benutzen. Hier wird trotz aller Kritik nicht denunziert, lobt die FAZ, die diese faire Darstellung allen mündigen Patienten ans hoffentlich gesunde Herz legen möchte.

Abdellah Hammoudi
Saison in Mekka
Geschichte einer Pilgerfahrt



Ein Princeton-Professor macht sich auf die Pilgerfahrt nach Mekka. Herausgekommen ist dabei ein Bericht, der die religiösen Erfahrungen ebenso wenig verschweigt wie er die kritische Distanz des Wissenschaftlers aufgibt. Genau das Richtige für die FR, die sich hier gut informiert fühlt über die Riten der saudiarabischen Pauschalreise, die mechanisch ablaufende Opferung von Tieren oder die allgegenwärtige Korruption.


Hörbuch

Tschingis Aitmatow
Der Schneeleopard
6 CDs



Sogar das beschauliche Kirgisien ist von der Globalisierung nicht verschont geblieben. Tschingis Aitmatow verknüpft das allgegenwärtige Thema in diesem tollen Hörbuch allerdings mit den Sagen und Mythen so meisterhaft, dass es der FAZ bei der Geschichte um einen alternden Journalisten und ein sterbendes Raubtier trotz des vielen Schnees ganz warm ums Herz wird. Als großartiger Reiseführer in die Fremde entpuppt sich Vorleser Dieter Wien, der mit seiner kraftvollen Art an Arnold Marquis erinnert, die deutsche Synchronstimme von John Wayne.


Bildband


Cluster. Sasha Waltz



Beim Betrachten der 450 Fotos mit Sasha Waltz in Aktion wird der FAZ ganz wehmütig zumute. Die durchweg schönen Aufnahmen erinnern sie nämlich daran, wie spannend Waltz doch einmal war. Vorbei. Die Bilder aus den vergangenen fünfzehn Jahren der Kompagnie zeigen chronologisch aufschlussreich die Hinwendung zu Oper und Theater. Die drei Texte sind ihrer Meinung nach zu vernachlässigen, Judith Butlers Essay müsse man wirklich nicht verstehen. Stimmt alles, pflichtet die taz bei. Denn die Bezüge zwischen den einzelnen Werken werden ohnehin in den Bildern hergestellt.