Valentin Groebner

Ungestalten

Die visuelle Kultur der Gewalt im Mittelalter
Cover: Ungestalten
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446203730
Gebunden, 205 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Wir sind umgeben von Bildern der Gewalt. Sie zeigen verstümmelte, gefolterte, zerfetzte Körper. Sie zeigen, was das Mittelalter "Ungestalten" nannte. Doch was war - und ist - an den Bildern extremer Gewalt so faszinierend? Valentin Groebner hatsich mit diesem Thema intensiv befasst und führt den Leser auf fesselnde Weise durch die düstere Welt der visuellen Kultur - vom Mittelalter bis in die Gegenwart.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.01.2004

Reichlich unzufrieden zeigt sich Wolfgangs Sofsky mit dem Buch des Historikers Valentin Groebner. Zum einen, kritisiert er, nimmt die Ankündigung, es handle sich um die "Untersuchung der visuellen Gewaltkultur im Mittelalter", den Mund zu voll. Spätestens auf den zweiten Blick sehe man, dass hier vier Studien zusammengebracht wurden, die sich nicht zu einer geschlossenen These fügen wollen. Während es in der einen um die "polyzentrische Machtverteilung in spätmittelalterlichen Städten" geht, befasst sich eine andere mit der Darstellung des gekreuzigten Christus, eine dritte mit "Kriegslisten" und nur eine im engeren Sinne mit Strafpraktiken, die einen präzisen Bezug auf den Titel des Buches zeigen, so Sofsky. Und auch im Detail hat der Rezensent manches zu kritisieren, insbesondere die allzu hurtige Vermischung von Thesen, Themen, Theoremen. Die Ursache dafür sieht er in der kulturwissenschaftlichen Tendenz des Autors, stets Zeichen und Bedeutungen zu suchen und zu finden, wo das factum brutum der Gewalt erst einmal zu konstatieren wäre.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Zwar hat Volker Reinhardt einiges auszusetzen an diesem Buch, aber "weil es furios geschrieben ist, Wissenschaft gekonnt popularisiert und vielfältig provoziert", empfiehlt er es dennoch sehr wohlwollend der geneigten Leserschaft. Das Thema Valentin Groebners ist für Reinhardt nicht nur die Kritik an den populären und akademischen Mythen über das Mittelalter, beispielsweise, dass es "gegenüber Gewalt abgestumpft gewesen sei", sondern auch die Frage nach der Kontinuität des Propagandawerts eines verstümmelten Körpers. Die zur Schau gestellten Leichen der Söhne Saddam Husseins sind für den Rezensenten zwar schlagende Beispiele "neuester Aktualisierung", aber dennoch will er im beackerten Zeitfeld von acht Jahrhunderten doch eher "einige Konstanten und viele Variablen" sehen. Er kreidet dem Autor diese "Zeitsprünge" dennoch nicht allzu sehr an, sondern erfreut sich lieber an den "durchweg fesselnd erzählten Episoden", mit deren Hilfe Groebner den düsteren Acker eines komplexen politisch-ästhetischen Feldes durchpflügt habe.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.10.2003

Der Rezensent Christian Jostmann ist begeistert, denn obwohl es Valentin Groebner ums Mittelalter geht, ist sein Buch "von brennender Aktualität". Sein Thema, so der Rezensent, heißt Gewalt. Genauer gesagt, die Gesichter der Opfer von Gewalt. Denn diese sehe man nicht, oder nur teilweise, und im Mittelalter sei das nicht anders gewesen. Auf "packende" Weise und ohne "Wortgeklingel" gehe Groebner der Frage nach, wer diese Bilder produzierte, und welche Absicht damit verfolgt wurde. Dabei vollziehe sich zugleich eine "Vivisektion unserer eigenen Wahrnehmung", die offensichtlich von "sehr alten Mustern und Praktiken des Umgangs mit Bildern" bestimmt werde. Groebner mache unter anderem am Beispiel des Naseabschneidens deutlich, dass sowohl der strafenden Gewalt an den Tätern als auch der Darstellung der Gewalt an den Opfern die "Sichtbarmachung einer stets bedrohten Ordnung" zugrunde liege. Denn durch die "Anonymisierung der Opfer" übertrage der Darsteller die Bedrohung auf den Betrachter, das Gesichtslose werde zum "Zeichen", das besagt: "Jenseits meiner Ordnung gibt es keine Zeichen mehr." Erfreut schließt der Rezensent: "Wer dieses Buch gelesen hat, wird die Welt mit anderen Augen sehen."
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.09.2003

Ein Stück Kulturwissenschaft im besten Sinne hat Martin Warnke gelesen. Will heißen: Phänomene werden nicht mehr als "natürlich" gedeutet, sondern als ein "Repertoire von Instrumenten" verstanden, mit dem Ziele durchgesetzt werden. Warnke zufolge, der dann doch seine Distanz zum akademischen Spezialistentum markieren muss, heißt es auch einfach, "dass geschichtliche Phänomene vielschichtig sind und von vielen Seiten besichtigt sein wollen". Beides treffe auf Groebners Studie zu, die sich erhellend und sogar unterhaltsam mit der Verwandlung von Gewalt in visuelle Zeichen beschäftigt, die im Spätmittelalter stattfand; damit wurde eine Sprache geschaffen, in der wir uns auch heute noch fließend verständigen können, wie das Beispiel des Kruzifixes, des "blutigen Männerkörpers" als "Wahrheitszeichen" zeige. Auch wenn man heute dem Gegner nicht mehr die Nase abschneidet.

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