Klaus Dörner (Hg.), Angelika Ebbinghaus

Vernichten und Heilen

Der Nürnberger Ärzteprozess und seine Folgen
Cover: Vernichten und Heilen
Aufbau Verlag, Berlin 2001
ISBN 9783351025144
Gebunden, 380 Seiten, 34,77 EUR

Klappentext

Von 1946 bis 1949 verhandelte das amerikanische Militärgericht die Verbrechen hochrangiger NS-Ärzte: unzählige Menschenversuche an KZ-Häftlingen mit Fleckfieber, Malaria, Kälte, Höhendruck und Sterilisation, aber auch die Tötung psychisch Kranker und geistig Behinderter ("Euthanasie"). Angeklagt im Nürnberger Ärzteprozess waren 23 NS-Mediziner aus Administration, Militär und SS. Sie waren keine "Monster", sondern töteten vorgeblich, um zu heilen und "drängende Probleme" in Kriegschirurgie, Seuchen- und Luftfahrtmedizin zu lösen. Alle Angeklagten erklärten sich "nicht schuldig". "Vernichten und Heilen" hinterfragt diese fatale Ethik, die "den Fortschritt" und das Wohl der Gesellschaft über das Wohl des einzelnen stellt. Den Prozess, seine Vorgeschichte und Hintergründe rekonstruieren namhafte MedizinhistorikerInnen in diesem Band.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2001

Das Erscheinen dieser überfälligen Dokumentation, so Rezensent Udo Schumacher, ist im Auftrag der Stiftung für Sozialgeschichte entstanden. Zu verdanken sei die Realisierung zahlreicher Spenden von Ärzten und Ärztinnen. Schumacher referiert die wesentlichen Inhalte: Kater problematisiere die soziale Lage der Ärzteschaft im 3. Reich, Labisch die geistesgeschichtlichen Wurzeln der NS-Medizin, Winau die Problematik von Menschenversuchen etc.. Der Komplex "Medizin und Ethik" behandle die systematische Unterdrückung von Veröffentlichungen über die Ärzteprozesse der Nachkriegszeit in den Jahren nach dem Kriege. Schumacher schlägt in seiner positiven Bewertung den Bogen zu heutigen Diskussionen um die Intensivmedizin: Als Voraussetzung für dieses Problematik kenne er "kein besseres Buch als das vorliegende."
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.07.2001

Den Sammelband der Herausgeber Dörner/Ebbinghaus hält der Rezensent Wolfgang Eckart für das wichtigste Werk über die deutschen Medizinverbrechen während des Dritten Reiches seit Alexander Mitscherlichs und Fred Mielkes "Medizin ohne Menschlichkeit". Die Gräuel der Forschungsmedizin zwischen 1933 und 1945, lobt er, sind minutiös dokumentiert. Zudem, befindet Eckart, werden auch Hintergründe des Nürnberger Ärzteprozesses 1946/47, seine Vorgeschichte sowie seine Wirkungen auf die Ethik des Menschenexperimentes beleuchtet. Glanzpunkte des Bandes entdeckt der Rezensent in dem Beitrag Ulf Schmidts, der die Vernehmungen von NS-Ärzten, unter ihnen der Berliner Hirnforscher Julius Hallervorden, durch den jüdischen Neurologen und US-Offizier Leo Alexander dokumentiert, und in Karl Heinz Roths Dokumentation menschenverachtender luftfahrtmedizinischer Versuche in Dachau, der in der Auswertung neuer Quellen herausrage. Hervorgehoben werden auch die Aufsätze von Angelika Ebbinghaus über Täter und Opfer kriegschirurgischer Experimente in den KZs und von Klaus Dörner über das Selbstverständnis der angeklagten Mediziner.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.04.2001

Linus S. Geisler empfiehlt diesen Sammelband über die Methoden von Naziärzten und ihre ethischen Voraussetzungen als sehr "lesenswertes", wenn auch "beklemmendes" Buch. Er lobt die Porträts von 23 Ärzten, die bei den Nürnberger Prozessen vor Gericht standen, als aufschlussreich, wobei er hervorhebt, dass ihre Beschreibung genauso "plastisch" geraten sei wie die Darstellung ihrer Opfer. Paradoxer Weise könnten die Autoren vom "moralisch intakten Gewissen" der Ärzte sprechen, da hinter den grausamen Taten eine umfassende Utopie von einer krankheitsfreien Gesellschaft stand, so der Rezensent beeindruckt. Er lobt, dass es diesem Buch gelingt, den Bogen von den Voraussetzungen der unmenschlichen medizinischen Versuche von damals zu heutigen bioethischen Überlegungen, beispielsweise zur Genetik, zu schlagen und findet, dass es auf "beklemmende Weise" unterstreicht, "wie nah sich "Vernichten" und "Heilen" in der Medizin" sein können.