Lothar Müller

Adrien Proust und sein Sohn Marcel

Beobachter der erkrankten Welt
Cover: Adrien Proust und sein Sohn Marcel
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2021
ISBN 9783803137036
Kartoniert, 224 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Ein Schwarm von Ärzten und Kranken durchzieht Marcel Prousts Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Seerosen werden mit Neurasthenikern verglichen, Liebeskranke hoffen, durch Impfstoffe immun zu werden, und im Salon von Madame de Saint-Euverte taucht der Komma- Bazillus, die Cholera, auf. Trotz dieser Überfülle an medizinischen Motiven in Prousts Werk rückte dessen Vater Adrien, seinerzeit als Pionier der Epidemiologie durchaus eine prominente Figur, kaum in den Blick.Lothar Müller bringt Sohn und Vater wieder zusammen und wirft davon ausgehend ein neues Licht auf die Wechselwirkung zwischen moderner Literatur und Medizin. Er zeigt, wie sich der Sohn durch die Forschungswelten des Vaters inspirieren ließ und dass umgekehrt der Vater in seinem Kampf gegen die scheinbar aus dem Orient hereinbrechende Seuchengefahr auf die Formulierungskünste und die Vorstellungskraft seines Erstgeborenen zurückgriff.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 31.07.2021

Marc Reichwein kann sich auf die kulturhistorische Expertise von Lothar Müller verlassen. Anschaulich und analytisch gekonnt spürt der Autor laut Reichwein in seinem Buch über Marcel Proust und seinen Vater, den Epidemiologen Adrien Proust, den Zusammenhängen von Medizin und Literatur, von Seuche und "Suche" nach. Vor dem Hintergrund der Pandemie liest sich das für Reichwein noch mal so spannend. Für Proustianer schließt Müller definitiv eine Wissenslücke, versichert der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.07.2021

Für für den hier rezensierenden Übersetzer Jürgen Ritte schließt Lothar Müller mit seinem Buch eine Lücke, indem er dem Leser Marcel Prousts Vater als bedeutenden Mediziner seiner Zeit und Botschafter einer frühen WHO zur Kenntnis bringt. Akribisch, quellenreich und fesselnd zeichnet der Autor laut Ritte nicht nur die Karriere von Adrien Proust nach, sondern macht auch den Aufstieg der Medizin Ende des 19. Jahrhunderts zur beherrschenden Disziplin nachvollziehbar. Welche Rolle der Vater und seine Profession tatsächlich im Werk des Sohnes spielten, macht Müller ebenfalls sichtbar, staunt Ritte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.06.2021

Zu Marcel Prousts anstehendem 150. Geburtstag widmet sich Rezensent Andreas Platthaus etlichen Neuerscheinungen, als deren Höhepunkt er Lothar Müllers Schrift "Adrien Proust und sein Sohn Marcel" hervorhebt. Müller selbst nennt seinen Band einen Schnellschuss, aber davon, meint Platthaus, sollte man sich ebenso wenig abschrecken lassen wie von dem seiner Ansicht nach misslungenen Cover. Natürlich ergebe das Buch vor allem vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie Sinn, denn Prousts Vater war ein bedeutender Arzt der Seuchenbekämpfung. Aber wie der Literaturwissenschaftler und Feuilletonist, das Fin de Siècle aus literarischer und medizinischer Sicht heraus porträtiert, das erscheint dem Rezensenten so klug wie überzeugend.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 24.06.2021

Pünktlich zu Marcel Prousts 150. Geburtstag gibt es einige Publikationen, aber diese ist besonders, verspricht Rezensentin Katharina Teutsch. Denn der Literaturkritiker Lothar Müller stellt Prousts Vater, den Seuchenarzt Adrien Proust, in den Mittelpunkt, erklärt die Kritikerin, die natürlich sofort die Aktualität des Themas erkennt: Die Cholera-Pandemie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spiele hier ebenso eine Rolle wie Adrien Prousts Kampf gegen die Seuchenbekämpfung oder die Diskussionen um Hygienekonzepte. Darüber hinaus liest die Rezensentin bei Müller aber auch, wie sich Marcel Prousts medizinischer Hintergrund - auch sein Bruder war Chirurg - in dessen Werk niederschlug. Nicht zuletzt verdankt Teutsch dem Autor interessante Einblicke in die Welt der Hysterie oder in die "kolonialen Fantasmen" des Fin de Siècle.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.05.2021

Marcel Prousts Vater Adrien war Arzt und Chef der öffentlichen Hygiene im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts, das weniger durch die grassierende Cholera in Erinnerung ist als durch die anderweitigen Pathologien des Fin de Siècle. Geradezu "berauscht" ist Rezensentin Tania Martini daher von Lothar Müllers Idee, Marcel Proust neben seinem Vater als "Beobachter einer erkrankten Gegenwart" zu porträtieren. Wie Müller Hygienediskurs und Medizin jener Zeit in den Blick nimmt, mit all ihren anthropologischen Irrungen, anderseits aber auch die Erkundung seelischer Innenwelten, die Marcel Proust zu seinem introspektiven Romanwerk inspirierten, das alles beeindruckt Martini sehr. Der Rezensentin eröffnet Müllers Buch nicht nur einen neuen Blick auf Prousts "Recherche", sondern auch auf die Pariser Gesellschaft, die Belle Epoque und die Grundkonstanten des politischen und kulturellen Lebens.