9punkt - Die Debattenrundschau

Mit einer Prise Drohung

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.01.2017. Die Brexit-Rede Theresa Mays war so forsch, weil sie jetzt auf den Verbündeten Donald Trump zählen kann, fürchtet Zeit online. Der Guardian sieht die Briten dagegen nicht ganz so groß: nur ungefähr so wie Belgien. Barack Obama hat die Whistleblowerin Chelsea Manning begnadigt - nun muss noch Edward Snowden folgen, fordert die New Republic. Das US Press Corps hat einen geharnischten offenen Brief an Trump veröffentlicht. In Deutschland stößt die Idee eine "Reporterfabrik" auf Skepsis.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.01.2017 finden Sie hier

Europa

Theresa Mays Rede gestern hat klar gemacht: Sie will einen harten Brexit. Raus aus dem gemeinsamen Markt, keine Freizügigkeit, keine Anerkennung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Doch möchte sie ein Freihandelsabkommen mit der EU abschließen - also freien Warenverkehr ohne Zölle. Auf Zeit online erklärt Sascha Zastiral den forschen Kurs Mays so: "Einen wesentlichen Faktor dafür, dass May nach monatelangem Zögern nun einen derart offensiven Kurs gegenüber der EU einschlägt, erwähnte sie in ihrer Rede selbst: Donald Trump. In einem Interview mit der Times und der Bild-Zeitung bezeichnete der den Brexit als 'großartige Sache'. Die Briten seien 'klug' gewesen, für den EU-Austritt zu stimmen. Es werde 'sehr schnell' ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und den USA geben. Auch Außenminister Boris Johnson zeigte sich nach einem Besuch im Trump Tower vor einigen Tagen zuversichtlich. 'Wir hören, dass wir ganz vorne in der Reihe stehen, um eine großartiges Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten zu unterzeichnen', sagte Johnson." Sofern Trump das auch vorteilhaft findet, versteht sich.

Christoph Scheuermann formuliert für Spiegel online ein recht griffiges Resümee der Rede von Theresa May zu ihren Brexit-Plänen: "Das war keine Versöhnungsansprache, sondern ein Katalog von Forderungen mit einer Prise Drohung. Viele ihrer Sätze begannen mit: Ich will."

In der SZ fordert Stefan Kornelius eine harte Antwort Europas: "Kurz gesagt muss die Formel heißen: Je mehr Souveränität und Eigenbrötlerei, desto höher die Zölle, desto mehr Schranken. Das ist weder boshaft noch rachsüchtig, sondern eine Voraussetzung für den Selbsterhalt. Wer aus dem Klub austritt, muss die Nachteile spüren, sonst ist es um die Attraktivität der EU geschehen."

Anders bewertet Dominic Johnson in der taz Mays Rede. Sie wolle einen "vollständigen Austritt, aber keinen abrupten Bruch... May reicht der EU also die Hand."

Nun ja, die Briten werden jetzt endlich lernen, wie groß sie wirklich sind - ungefähr wie Belgien, meint Rafael Behr, der im Guardian auch feststellt, dass May und Trump keinerlei Gespür haben für das, was die EU auszeichnet: Einen Ausgleich zu schaffen zwischen großen und kleinen Staaten, in dem eben auch ein kleines Land wie Belgien etwas zu sagen hat und ein großes Land wie Deutschland nicht einfach tun kann, was es will: "Diese freiwillige Aufgabe nationaler Autonomie in einigen Gebieten, um größere in anderen zu erhalten, ist die Essenz des europäischen Projekts, und sie verstört jene Art von Politikern, die internationale Beziehungen als eine Liga-Tabelle von Ländern mit einem klaren Champion ganz oben sehen."

In der Berliner Zeitung ist Christian Bommarius zufrieden mit dem Urteil des Bundesverfassungsgericht zur NPD: "Auch wenn der Bundesrat mit seinem Verbotsantrag gescheitert ist, bedeutet die Entscheidung keine Niederlage für die bundesdeutsche Demokratie. Die NPD - ob legal oder verboten - ist zu unbedeutend, um  sie herauszufordern. Problematischer als das Überleben der rechtsextremen Partei ist ohnehin die anhaltende Wirkung des Gifts des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit, das die Partei in den vergangenen Jahren in die Gesellschaft hineingetragen hat." Auf Zeit online sieht Johannes Lichdi das ähnlich.
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Ideen

Henri Tincq, einst Journalist bei Le Monde und Mitglied der Académie catholique de France, ist in slate.fr sehr böse auf den radikalatheistischen Philosophen Michel Onfray, der in seinem neuesten Buch "Décadence" ziemlich gnadenlos über die katholische Kirche herzuziehen scheint: "Der Gipfel der Heuchelei ist erreicht, wenn der Philosoph mühsam die ideologische Linie zwischen Christentum und Hitlerismus zu zeichnen versucht, die fast schon Identität zwischen Hitler und Pius XII., während alle Experten sich seit langem einig sind, dass der Nazismus zutiefst antireligiös war, und dass Hitler vom Christentum allenfalls sprach, um es zu 'entjuden', es seiner jüdischen Wurzel zu berauben, die Schriften zu 'arisieren' und die deutsche Kirche zu 'nazifizieren'."

In Deutschland haben konservative Positionen keinen Stand mehr, klagt Wolfgang Büscher in der Welt. Sie werden als "rechtskonservativ" und damit quasi illegitim denunziert. "Man will damit sagen: Das sind die bösen Kinder, sie stehen außerhalb unseres Stuhlkreises. Und das Stuhlkreisspiel wird inzwischen auch in der CDU gespielt. Der Verlust des Konservativen ist ein deutsches Phänomen. Anderswo ist es vital. Nur in Deutschland ist das geistige Koordinatensystem derart kräftig nach links verschoben, dass alles, was nicht links ist, seitlich herausfällt, siehe die genannten zwei Sätze. Was in Frankreich oder in den USA als Mainstream gelten würde, gilt bei uns als rechts. Was hier als Mitte gilt, gilt dort als links. Und so weiter."

Ebenfalls in der Welt wünscht sich Tobias Kaiser, wir wären ein klein wenig optimistischer - wie die Chinesen.
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Politik

Diese Nacht kam die erfreuliche Meldung, dass Barack Obama von seinem Begnadigungsprivileg der letzten Tage gebraucht gemacht und die Whistleblowerin Chelsea Manning begnadigt hat - Manning kommt im Mai frei. Brian Beutler fordert in der New Republic, dass Obama nun auch Edward Snowden begnadigt, der sonst zu einem Spielball für Deals zwischen Donald Trump und Wladimir Putin werden könne: "Wie auch immer Obamas persönliche Sicht der Dinge ist, er hat sich noch niemals mit Aktivisten für eine Begnadigung getroffen. Obama ist Institutionalist und hat Whistleblower mit Nachdruck verfolgt. Er wollte auch einen Konflikt mit der 'intelligence community' vermeiden, die Whistleblower verabscheut. Aber Obama hat auch zugegeben, dass 'Snowden einige legitime Bedenken' ausgelöst habe... Heute muss Obama die  intelligence community nicht mehr befrieden. Und er könnte jungen Wählern ein großes und substanzielles Argument bieten, in liberaler Politik engagiert zu bleiben."
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Medien

Einen offenen Brief des US Press Corps (also der Journalisten, die im Weißen Haus akkreditiert sind) veröffentlicht die Columbia Journalism Review. Er lässt zum Glück an Deutlichkeit nichts wünschen übrig. Trump habe zwar in gewisser Hinsicht das Recht, Journalisten Zugang zu verwehren, schreiben sie. Aber "wir sind auch sehr gut darin, alternative Wege zu finden, um an Information zu gelangen. Einige der besten Reportagen während des Wahlkampfs kamen von Medien, die von ihren Versammlungen ausgeschlossen waren. Reportern zu sagen, dass sie keinen Zugang bekommen, ist nicht das, was sie am liebsten hören, aber es ist eine Herausforderung, die uns auch beflügelt."

(Via turi2) Der pv digest hat Zahlen zu den Bezahlangeboten der Zeitungen im Internet: "Die deutsche Publikumspresse erzielt mit ihren Paid Content-Angeboten einen jährlichen Umsatz von 276 Millionen Euro. Das ist das Ergebnis unserer jüngsten Markteinschätzung. In der Januar-Ausgabe des vergangenen Jahres schätzte pv digest das Niveau der Paid Content Umsätze noch auf 242 Millionen Euro. Damit wäre der Umsatz mit bezahlten Digitalprodukten binnen zwölf Monaten um 14 Prozent gestiegen." Zum Vergleich: Der Bund der Zeitungsverleger beziffert den Umsatz deutscher Tageszeitungen auf 7,8 Millarden Euro - hier als pdf-Dokument.

Der Datenjournalist Lorenz Matzat liest bei Medium.com das grundsatzpapier (hier als pdf-Dokument) der "Reporterfabrik", einer Journalistenschule, die sich an Bürger wendet und die von dem ehemaligen Spiegel-Reporter Cordt Schnibben mit betrieben wird - und er ist nicht zufrieden: "Geradezu aberwitzig wird es, wenn im ersten Halbsatz auf den Pressekodex (Sorgfaltspflicht und so weiter) verwiesen wird, um im folgenden Nebensatz ein Bild von 'Hundertausenden Hobby-Journalisten' zu zeichnen, die desinformieren und verunglimpfen würden - ohne Quellenangabe für diese vage Zahlenangabe. Hier entsteht bei mir der Eindruck, dass sich der Dünkel von 'Qualitätsjournalisten' Bahn bricht: Eine gefühlte Wahrheit, frei von konkreter Faktenbasis, imaginiert die Existenz einer riesigen Horde von eigentlich verachteten Hobby(=Bürger)-Journalisten."

Auch Wolfgang Michal schreibt in einem Blog sehr skeptisch: "Geht es der geplanten 'Reporterfabrik' also um Bildung oder um Erziehung? Geht es um die Verteidigung der Demokratie oder um die Verteidigung des alten Mediensystems? Im 19-köpfigen Kuratorium der Akademie sitzen exakt jene Vertreter, die schon jetzt jede Journalistenpreis-Jury und jedes Podium veredeln, um dort - nebenbei - die vierte Gewalt gegen die fünfte abzugrenzen: Chefredakteure, Verlagsleiter, Medien-Professoren und die übliche Web-Prominenz (diesmal nicht Sascha Lobo, sondern Richard Gutjahr)." Dennoch ringt sich Michal am Ende ein Lob für die "großartige Zukunftsidee" ab.
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