Magazinrundschau

Gesundheit, Geld und Sex

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
29.11.2022. En attendant Nadeau stellt den jungen Dichter Hai Zi vor, eine Art Rimbaud oder auch Hölderlin Chinas, der mit 25 Jahren den Freitod wählte. Africa is a Country lernt erstaunt, dass es afrikanische Sklaven im Iran gab. Die LRB annonciert den Niedergang der USA. Eurozine erinnert an die erstaunliche Langlebigkeit von Semtex. In Sight and Sound erklärt Regisseur Michael Mann, warum er das digitale Kino liebt. Der New Yorker schildert das Geschäft mit Hospizen in den USA.

En attendant Nadeau (Frankreich), 26.11.2022

In China, so scheint es, wird Hai Zi verehrt als eine Art Rimbaud oder auch Hölderlin. Im Alter von 25 Jahren legte er sich im März 1989 auf ein Bahngleis. Neben seiner Leiche fanden sich Bücher von Joseph Conrad und Henry David Thoreau und die Bibel, lernt man in der englischsprachigen Wikipedia. Er hat einige Langgedichte und unzählige kurze verfasst. In Frankreich erscheint nun eine Auswahl, übersetzt von Pierre Vinclair. Eine abwesende Geliebte spielt in seiner Lyrik immer wieder eine Rolle, erzählt Claude Tuduri: Der Schmerz um sie sei um so beunruhigender, "als sie nie benannt wird. Weder Beatrice noch Diotima, weder ihr Körper, noch ihr Blick, noch ihr Name tauchen auf. Als wäre es 'das' Weibliche in seiner Gesamtheit, das den Autor mit seinem Elend alleingelassen hat." Die transzendentale Einsamkeit hat Hai Zi übrigens auch in extrem reduzierten Zeichnungen bebildert, die ein wenig an Kafkas Zeichnungen erinnern. Hai Zi ist auch von Hölderlin beeinflusst: "Hölderlin, sag mir, für wen sind meine Gedichte geschrieben? / Gedichte und Lebensmittel versteckt hinter einer Kellertür / Häuser und Obstbäume, welch' ein Bild werden sie im Finsteren abgeben?" Hai Zi kam vom Land. Die Natur spielt eine Rolle wie in Gedichten des 19. Jahrhunderts, so scheint es (in der Weiterübersetzung aus dem Französischen): "Erinnerst du dich an den Donner, der in der Ferne rollte / Sehr hoch im Himmel hallte der Klang des Paradieses / Unstete Menschheit, erinnerst du dich / an die weiße Pappel unter dem Blitz und im Regen?"

Nicht völlig glücklich ist David Novarina mit der allzu anekdotenseligen Geschichte der Juden von Odessa von Isabelle Némirovski ("Histoire, mémoires et représentations des Juifs d'Odessa - Un vieux rêve intime"). Aber sie empfiehlt eine Lektüre am besten parallel zu den Büchern Isaak Babels. Vor allem die Schilderung der Glanzzeit Odessas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Pogrom von 1905, über die auch Edmund de Waal in seinem "Hasen mit den Bernsteinaugen" schreibt, ist für die Rezensentin ein Gewinn. "In dieser Stadt, in der sich so etwas wie eine 'jüdische Aristokratie' bildet, herrscht ein fortschrittlicher Geist, der von der Haskala, der jüdischen Aufklärungsbewegung inspiriert ist... Es bildet sich eine jüdische Presse, und auch literarische Salons prägen das Leben der Stadt. Isabelle Némirovski erwähnt die Figur des Josef Klausner, eines zionistischen Intellektuellen, der dazu beitrug, das moderne Hebräisch zu schaffen. Sein Großneffe, der israelische Autor Amos Oz, erinnert sich in seinem Roman 'Eine Geschichte von Liebe und Finsternis' an ihn: 'In meiner Kindheit empfand ich eine große Bewunderung für meinen Großonkel, denn, so sagte man man mir, er hatte Wörter des Alltags erfunden, Wörter, die seit je zu exisitieren schienen wie 'monatlich', 'Bleistift', 'Eisberg', 'Hemd'."

Africa is a Country (USA), 21.11.2022

Die südafrikanische Literaturwissenschaftlerin Mona Hakimi, selbst Tochter eines Iraners afrikanischer Abstammung, war ganz schön überrascht als sie lernte, dass es im Iran afrikanische Sklaven gab. "Meine Neugierde wurde geweckt, als ich auf die Archivfotos des Anthropologen Pedram Khosronejads von afrikanischen Sklaven im Iran stieß. Wie Denise Hassanzade Ajiri vom Tehran Bureau schreibt, 'wird das Thema der afrikanischen Sklaverei trotz seiner alten Wurzeln im Iran kaum diskutiert oder gar anerkannt'. Auch anderswo wird es kaum diskutiert oder gar anerkannt. Als ich in Lilongwe, Mbabane, Kapstadt und Oxford afrikanische Geschichte studierte, fand ich das Thema in keinem Lehrplan. Paul Tiyambe Zeleza besteht darauf, dass wir die afrikanische Diaspora jenseits des Schwarzen Atlantiks neu schreiben, und einige Wissenschaftler versuchen, diese Forderung auch auf die Geschichte des Iran auszuweiten. Wie die Historikerin Beeta Baghoolizadeh aufzeigt, wurde die Sklaverei im Iran erst 1928 abgeschafft. Das ist kaum historisch, sondern praktisch zeitgenössisch. Wenn die Proteste anhalten und der Iran seine Türen öffnet, hätten wir besseren Zugang zu mehr Archiven und mehr Geschichten, die erzählt werden müssen. Lebende Nachkommen könnten die Geschichten ihrer Vorfahren erzählen."
Stichwörter: Iran, Sklaverei, Country

London Review of Books (UK), 01.12.2022

Die USA sind nicht nur politisch ein gespaltenes Land, sondern auch ökonomisch, stellt Adam Schatz fest. Einige profitieren recht direkt davon, andere eher indirekt, dafür besonders schamlos: "Im vergangenen Juni stellte der Berggruen Governance Index fest, dass die USA seit 2000 einen 'relativ starken Rückgang' sowohl in der 'Qualität der Demokratie' als auch bei der 'Qualität der Regierung' zu verzeichnen hätten. Donald Trump hat diesen Niedergang nicht verursacht, aber er hat ihn ausgenutzt, um die Präsidentschaft zu gewinnen, und ihn während seiner Amtszeit beschleunigt. ... Im letzten Jahrzehnt hat die Polarisierung auf allen Ebenen der Gesellschaft zugenommen. In einer kürzlich erschienenen Studie für die Carnegie Stiftung for International Peace heißt es: 'Die Vereinigten Staaten stellen einen besonders besorgniserregenden Fall dar, da sie die einzige fortgeschrittene westliche Demokratie sind, die über einen so langen Zeitraum ein so hohes Maß an Polarisierung erlebt.' In seiner Polarisierung ähnele Amerika, so heißt es weiter, 'eher jüngeren, weniger wohlhabenden und stark gespaltenen Demokratien und Wahlautokratien als gefestigten demokratischen Gegenparts'. Die dunklen, anarchischen Energien, die einst auf das Talkradio und die Online-Altrighters beschränkt waren - unverschämter Rassismus, Antisemitismus, die Theorie des 'großen Austauschs' - haben inzwischen den politischen Mainstream überflutet... Die Soziologin Arlie Hochschild hat darauf hingewiesen, dass rote und blaue Staaten zunehmend zwei unterschiedliche Wirtschaftssysteme darstellen, und die Kluft zwischen ihnen ist nur noch größer geworden. Weiße Männer, die in republikanischen Bezirken leben, verdienen weniger und haben eine höhere Sterberate als weiße Männer in demokratischen Bezirken. Arme weiße Amerikaner auf dem Land blicken auch weniger optimistisch in die Zukunft als ebenso arme schwarze oder lateinamerikanische Amerikaner, was sie zu einer leichten Beute für das gemacht hat, was Mike Davis in einem seiner letzten Interviews als 'Todeskult' der Republikaner bezeichnete."

Besprochen werden T.J. Clarks Cezanne-Buch "If Theses Apples Should Fall" und Andrew Roberts Biografie von Lord Northcliffe, dem Gründer der Daily Mail, dessen Grundsatz lautete: "Drei Dinge taugen immer als Nachricht: Gesundheit, Geld und Sex".

HVG (Ungarn), 24.11.2022

Der Literaturwissenschaftler Zoltán Hafner, leitete bis vor einem Jahr das Budapester Imre-Kertész-Institut zur Bewahrung, Aufarbeitung sowie Veröffentlichung des literarischen Nachlasses des Literaturnobelpreisträgers. Das Institut wurde von der umstrittenen Regimehistorikerin und Fidesz-nahen Oligarchin Mária Schmidt gegründet, mit dem deklarierten Ziel, die der Berliner Akademie der Künste hinterlassenen Dokumente von Kertész nach Ungarn zu holen. Hafner war mit Kertész befreundet und war für die ungarischen Ausgaben seiner Bücher verantwortlich. Er sah jedoch seine Arbeit zunehmend beeinträchtigt und kündigte seine Stelle beim Institut beinahe unbemerkt im Juli 2021. Nun spricht er im Interview mit Gábor Murányi zum ersten Mal über die Hintergründe und wie es dazu kommen konnte, dass das "Arbeitstagebuch" zum "Roman eines Schicksallosen" auf Deutsch erschienen ist, bevor es in Ungarn veröffentlich wurde: "Das ist eine lange Geschichte mit mehreren Wendungen die mindestens bis zur Jahrtausendwende zurückgeht, als sich Kertész - noch vor dem Nobelpreis - entschied, seinen 'geistigen Abdruck' in das Archiv der Berliner Akademie der Künste 'emigrieren zu lassen'. Die damals hinterlassenen Dokumente, Manuskripte, Briefe und Fotos blieben unvollständig. Und in der Folgezeit wurde das bei Kertész und bei mir hier in Ungarn aufbewahrte Material größer und größer. Es geht um einen unglaublich gewichtigen Lebenswerkkorpus. Bei Sándor Márai werden mittlerweile seine Tagebücher als sein Hauptwerk betrachtet, und meiner Ansicht nach werden wir das auch im Falle von Kertész künftig so sehen. (…) Ich sagte ihm und seiner Frau wiederholt, dass für die Aufarbeitung und Pflege eine Institution in Ungarn gut wäre, doch wir fanden dafür hierzulande keine Offenheit (…) Sagen wir es so, dass niemand hier bereit war, eine klare Zu- oder Absage zu geben und so kam es auch, dass die Sammlung des Berliner Archivs bis zum Tode Kertész´ mehrmals, und einmal durch seine Witwe auch nach seinem Tod, erweitert wurde. (…) Ich setze meine Arbeit nun als Privatperson fort. Ich sehe keine Lösung. Juristisch können die Texte ohne redaktionelle Arbeit und Kommentierung erscheinen, doch das wäre - ich kann es nicht anders sagen - ein Schlag ins Gesicht der geäußerten Intentionen von Imre."
Archiv: HVG

Eurozine (Österreich), 29.11.2022

Im Moment wird gern die Haltbarkeit uralter sowjetischer Panzer bestaunt, mit denen in der Ukraine gekämpft wird. Tolle Sache, diese solide Wertarbeit. Aber als einer der größten Waffenexporteure der Welt hat die Tschechoslowakei während des Kalten Krieges auch Konfliktgebiete wie Irak, Niger oder Südsudan mit Kriegsgerät überschwemmt, erinnert Rosamund Johnston und denkt sich, dass die als superkapitalistisch verfemte "eingebaute Obsoleszenz" auch ihr Gutes hat: In den siebziger Jahren verkaufte die Tschechoslowakei einen Batzen Semtex an Libyen. Nachdem der Sprengstoff dort über ein jahrzehnt lang schlummerte, tauchte er auf einmal in Bomben in Nordirland und Großbritannien auf. Zum Entsetzen der kommunistischen Regierung in Prag war er offenbar auch verantwortlich für den Absturz einer Transatlantik-Maschine über Lockerbie, bei dem alle 259 Passagiere an Bord und elf Bewohner des schottischen Ortes getötet wurden. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen erklärte sich die kommunistische Regierung der Tschechoslowakei  zu einem Abkommen bereit, das die Markierung von Plastiksprengstoff vorsah, mit der man seine Herkunft nachverfolgen kann. Nach der Samtenen Revolution 1989 erklärte die Herstellerfirma Explosia, dass es die Haltbarkeit des Sprengstoffs von zehn auf fünf Jahre reduzieren würde. Semtex sollte nicht länger in Konflikten oder für Zwecke genutzt werden können, für die es nicht vorgesehen war."
Archiv: Eurozine

Sight & Sound (Großbritannien), 25.11.2022

Das gelbliche Nachtlicht in Los Angeles: Tom Cruise in Michael Manns "Collateral"

Das digitale Kino ist heute Standard. Samuel Wigley erinnert in einem geradezu mitreißenden Stück für die altehrwürdige britische Filmzeitschrift Sight & Sound an dessen Ursprünge in den späten Neunzigern und an dessen Apotheose im heute wohl legendären Cannes-Jahr 2002, als zahlreiche digital produzierte Filme den Wettbewerb stürmten, und wie rasant dieser Kinoumsturz sich vollzogen hat - und auch daran, dass es ein sonderbares Bündnis aus Blockbuster (George Lucas' zweiter Teil seiner zweiten "Star Wars"-Trilogie) und randständigem Autorenkino war, dass damals die Lücke zwischen digitaler Postproduktion und analoger Filmproduktion schloss. Und er notiert auch, dass die Anfänge des digitalen Kinos keine heroischen sind, die heute von Filmhistorikern hoch gehalten wird - zu hässlich sind die ersten digitalen Jahrgänge heute anzusehen, als dass sich Kinematheken, Streamer und BluRay-Labels darum reißen würden, diese ersten Gehversuche wirklich lebendig zu halten. Ein Pionier des digitalen Kinos zumindest der zweiten Generation war Michael Mann, der in den Nullerjahren daran arbeitete, das Spezifische einer digitalen Kinoästhetik herauszuarbeiten, wie er selbst erzählt: "Es gab da eine einzigartige Qualität, die mich zum Digitalen zog, und das war die Glaubwürdigkeit. Man glaubt einfach, was man sieht - man ist einfach viel intensiver im Geschehen. Das hat etwas von einem wahrhaftigen Stil. ... Mit 'Collateral' erreichte die digitale Produktion für mich ihren vollen Ausdruckswert, denn der Film spielte in einer einzigen Nacht in Los Angeles. Ich wollte L.A. bei Nacht so sehen, wie man die Stadt auch mit dem blanken Auge sehen würde. In den Wintermonaten legt sich ab zehn, elf Uhr Nacht ein Schimmer wie ein Meer über alles. Die gelben Natriumdampf-Straßenlampen reflektieren von den niedrig hängenden Wolken, dadurch entsteht eine weiche Illumination. Das auf Analogfilm einzufangen, ist schier unmöglich - und daraus wurde eine eigene Ästhetik. Und diese Ästhetik entspringt direkt ihrer Technologie. Es geht nicht darum, eine Technologie zu nehmen und damit eine ältere zu imitieren."
Archiv: Sight & Sound

Cesky rozhlas (Tschechien), 27.11.2022

Was bedeutet der Begriff "Freiheit" in Zeiten von Klimakrise, Coronakrise und Ukrainekrieg? Darüber führt Václav Pešička im Tschechischen Rundfunk ein längeres Gespräch mit dem Ökonom und Philosophen Tomáš Sedláček. In historischer Perspektive hätten die Menschen in Europa so viel Freiheit wie nie zuvor. Aber "als freie Gesellschaft haben wir festgestellt, dass es besser ist, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen. Die gelten dann zum Beispiel für die Nutzung der Autobahn, aber vielleicht werden wir auch ein gemeinsames Rentensystem haben. Ich will mich auch nicht mit Energiepreisen beschäftigen und möchte dafür eine beaufsichtigte Kommission, die die bestmögliche Variante auswählt." Das heiße nicht, dass man dadurch an Freiheit verliere. "Schließlich muss ich ja Elektrizität nicht nutzen. Wenn ich beschließe, dass ich dem System, das die Elektrizität verteilt, misstraue, kann ich ja irgendwo in meiner Hütte mit Holz heizen. Und wenn mir die Autobahnregeln nicht gefallen, zwingt mich niemand dazu, dort zu fahren", so Sedláček. "Ich persönlich bin für einen Minimalstaat, der automatisch funktioniert wie ein Algorithmus. Die Schweizer zum Beispiel wissen oft gar nicht, wer ihr Präsident ist, weil er jedes Jahr wechselt, und das funktioniert gut." Die Tschechen, meint Sedláček, hätten an Freiheit verloren, indem sie sich, vor allem unter den letzten beiden Präsidenten, zurück nach Osten hätten ziehen lassen. "Und als Europa haben wir Freiheit auch dadurch verloren, dass wir uns von Russland billige Rohstoffe haben liefern lassen, oder durch unseren Umgang mit der Natur." Diese Art von Freiheit gehe meist selbstverschuldet verloren. "Aber jene tiefere Freiheit, die ich meine, die Religions- und Bekenntnisfreiheit, die Freiheit zu lesen und zu schreiben, die nimmt uns niemand weg, nur nutzen die Menschen sie nicht wirklich aus."
Archiv: Cesky rozhlas

New Yorker (USA), 05.12.2022

Gesundheit ist teuer in den USA. Aber erst sterben! Private Hospize kassieren jährlich zweiundzwanzig Milliarden Dollar für ihre Leistungen, der Steuerzahler in Form der Regierung zahlt brav, ohne zu kontrollieren. Der Zynismus dieses Systems, das Ava Kofman in ihrer Reportage beschreibt, ist brutal. Marsha Farmer, die lange Sterbebegleitung für einen Konzern verkauft hat, bevor sie ihn verklagte, erzählt ihr, wie das lief: Sie suchte die Ärmsten der Armen auf, "ungebildete Menschen, wenn man so will, weil man ihnen etwas bieten und einen Bedarf decken kann. Farmer, die Rehaugen und ein nonchalantes Lächeln hat, trug auf ihren Verkaufstouren oft einen Kittel, obwohl sie keinen medizinischen Hintergrund hat. Auf diese Weise, sagt sie, 'wurde ich automatisch als Hilfe angesehen werden'. Sie bemühte sich, nicht den Tod zu erwähnen, auch nicht das Hospiz, wenn es sich vermeiden ließ. Stattdessen beschrieb sie eine erstaunliche staatliche Leistung, die Medikamente, Krankenbesuche, Nahrungsergänzungsmittel und eine leichte Haushaltshilfe bot - alles kostenlos." Sobald ein potenzieller Patient sein Interesse bekundet hatte, wird seine Prognose überprüft, die nicht länger als sechs Monate Lebenszeit betragen darf - allerdings kann die Prognose nach Ablauf von sechs Monaten bei jedem Patienten immer wieder neu aufgestellt werden. "Es mag kontraintuitiv sein, ein Unternehmen zu führen, das vollständig von Kunden abhängt, die nicht mehr lange leben werden, aber Unternehmen in der Hospizbranche können mit den größten Erträgen für den geringsten Aufwand in irgendeinem Sektor des amerikanischen Gesundheitswesens rechnen. Medicare zahlt den Anbietern einen festen Satz pro Patient und Tag, unabhängig davon, wie viel Hilfe sie leisten. Da die meiste Hospizpflege zu Hause stattfindet und die Krankenschwestern nicht öfter als zweimal im Monat zu Besuch kommen müssen, ist es nicht schwierig, die Kosten niedrig zu halten und den Großteil der Arbeit an unbezahlte Familienmitglieder auszulagern - vorausgesetzt, es sind willige Familienmitglieder vorhanden. Bis zu einem gewissen Grad belohnt die Art und Weise, wie Medicare die Hospizleistung konzipiert hat, Anbieter dafür, dass sie Patienten rekrutieren, die nicht unmittelbar im Sterben liegen. Lange Hospizaufenthalte führen zu größeren Gewinnspannen, und stabile Patienten benötigen weniger teure Medikamente und Hilfsmittel als Patienten im Endstadium ihrer Krankheit. Obwohl zwei Ärzte zunächst bescheinigen müssen, dass die Krankheit eines Patient unheilbar ist, kann sie immer wieder neu als solche bescheinigt werden."

Weiteres: Jill Lepore schreibt über Mick Herron, Autor von Spionageromanen. Amanda Petrusich begleitet Metallica auf Tour. Maggie Doherty liest Kathy Acker.
Archiv: New Yorker