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Logischer Endpunkt aller Zivilisation: 'City of Jade' von Midi Z (Forum)

Von Lukas Foerster
14.02.2016. Ein Dokumentarfilm über die Jadegräber im Norden Myanmars und einen Onkel, der vom großen Fund träumt.


Einmal kommt in "City of Jade" ein Popsong vor, der sich das gute Leben ausmalt: Ein eigenes Haus für die eigene Familie, fließend Wasser und Strom, mehr verlangt der Sänger nicht von seinem Schicksal. Eine denkbar bescheidene Utopie; darin ist sie der Welt angemessen, in der sie erklingt.

Midi Z, ein junger Regisseur aus Myanmar, hatte zuletzt mit dem Spielfilm "Ice Poison" auf sich aufmerksam gemacht, der zeigte, wie Kleinbauern in die Peripherie des Drogengeschäfts integriert werden und dabei vor die Hunde gehen. "Jade City" ist ein dokumentarischer Film, bearbeitet aber sehr ähnliche Themen. Midi Z macht sich in ihm auf in eine Bergregion im Norden seines Heimatlandes. Der dort seit Jahrzehnten schwelende seit Konflikt zwischen Kachin-Minderheit und zentraler Staatsgewalt entlädt sich seit 2011 in einem blutigen Bürgerkrieg; gleichzeitig birgt die Region umfangreiche Vorkommen des kostbaren Jadesteins.

Solange es im Kachin-Bergland halbwegs friedlich war, wurden die dortigen Minen von großen Unternehmen ausgebeutet. Weil die nach Ausbruch der Kämpfe abgezogen sind, nutzen Hunderte, oder wohl eher Tausende freelance-Schatzsucher aus zumeist ländlichen Gegenden die fragwürdige Gunst der Stunde: kleine Trupps von jeweils drei, vier, fünf Männern stecken dicht an dicht ihre kleinen Claims ab und buddeln sich ins Gestein, oft fast mit bloßen Händen. Vor allem in den Totalen, auf die der Film gleich mehrmals zurück kommt, sieht das apokalyptischer aus als in jedem Science-Fiction-Film und wirkt tatsächlich wie ein logischer Endpunkt aller Zivilisation: Rotbraune Hügel soweit das Auge reicht, komplett durchlöchert, die Menschen gestalten die Welt nicht mehr, sondern fressen sich nur noch manisch in die Erde hinein.

Der Regisseur findet einen persönlichen Zugang zu dieser Welt: Sein Onkel sucht schon seit langem sein Glück in den Minen. Tatsächlich war er lange Jahre in den Bergen verschollen, beim Rest der Familie kamen nur Gerüchte an, die mal von überirdischem Reichtum, mal von bitterer Armut und Drogensucht erzählten. Wenn der Onkel jetzt mit Kollegen und dem filmemachernden Neffen in seiner kleinen Hütte sitzt, hat er wenig Lust, von dieser Vergangenheit zu sprechen. Stattdessen hofft er immer noch auf den großen Fund; klopft immer noch auf Gesteinsbrocken herum, die sich zumeist als viel zu bröselig erweisen; versucht immer noch, der Armee und den Rebellen ein Schnippchen zu schlagen, die bei jeder Gelgenheit aufkreuzen und seine Funde, sogar seine Maschinen beschlagnahmen; und investiert immer noch das meiste von dem wenigen, was er dann doch gelegentlich verdient, in Opium. Das er in einer langen, intensiven, in intime Dunkelheit getauchten Szene gemeinsam mit seiner Truppe aufraucht. Midi Z bekommt die Droge auch angeboten. Er lehnt ab und bleibt nüchtern.

Der Blick des Films ist ebenfalls nüchtern, aber nicht unbeteiligt. Midi Z sucht in der Welt, die er zeigt, kein Drama, erst recht keine Sensation, er heischt nicht nach Mitleid, fällt keine moralischen Urteile und übt sich erst recht nicht in Voyeurismus; aber es geht ihm doch um mehr als ums bloße, neutrale Registrieren: er setzt sich in ein Verhältnis zu dem, was er zeigt, als Familienangehöriger, auch als jemand, der leicht ein ähnliches Leben hätte führen können (siehe dazu dieses schöne Interview mit dem Regisseur) wie die, die da in der Erde buddeln, auf der Suche nach einem Glück, das sich, sobald es sich materialisiert, gleich wieder in Opiumschwaden auflöst.

Fei cui zhi cheng - City of Jade. Regie: Midi Z. Taiwan/Myanmar 2016, 99 Minuten (Vorführtermine)