Pamela M. Potter

Die deutscheste der Künste

Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reichs
Cover: Die deutscheste der Künste
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000
ISBN 9783608919745
Gebunden, 415 Seiten, 34,77 EUR

Klappentext

Pamela Potters "Die deutscheste der Künste" liefert die Grundlage für eine Debatte über die Rolle der Musikwissenschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Die dreißiger und vierziger Jahre waren für die Musikwissenschaft Jahre eines phänomenalen Aufstiegs. Aus dem jungen Stiefkind der Alma mater wurde eine anerkannte Wissenschaft, die sich in den Augen nationalsozialistischer Ideologen wie keine andere eignete, die rassische und kulturelle Überlegenheit der Deutschen als dem "Volk der Musik" zu belegen. Fast alle großen und verdienstvollen Projekte der deutschen Musikwissenschaft, das international renommierte Lexikon "Musik in Geschichte und Gegenwart" oder die Edition "Erbe deutscher Musik", stammen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945. Potters Studie wirft einen Blick hinter die Kulissen dieser Karriere. Sie deckt die Beziehungen auf, die die Musikwissenschaft mit dem Staat und der Partei unterhielt, und beleuchtet die Mentalität des Fachs, die sich ungebrochen vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die Nachkriegszeit hielt: eine Mischung aus antiintellektuellem Ressentiment, Sich-Mühen um Volksnähe, einem irrational eingefärbten Anti-Elitarismus und einer ausgesprochenen Schwäche für die deutsche "Volksseele", die sich, wie man meinte, vor allem in der Musik aussprach. Da die Tendenz der Wissenschaft und die politische Entwicklung ineinander griffen, bedurfte es keiner besonderen Überredung, um die Mehrheit der im Land verbliebenen Musikwissenschaftler zur Sache des Nationalsozialismus zu bekehren. Auch nach der Entnazifizierung blieben alle maßgeblichen Vertreter des Fachs in Amt und Würden.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.03.2001

Volker Hagedorn begrüßt es zwar sehr, dass nun endlich eine zusammenhängende Darstellung der heiklen Rolle deutscher Musikwissenschaftler im Dritten Reich vorgelegt wurde, zumal viele dieser Forscher auch nach 1945 ihren Einfluss sogar noch vergrößern konnten. Doch insgesamt mangelt es seiner Ansicht nach dieser Studie an Tiefgang, was zahlreiche Ambivalenzen betrifft. Dafür nennt Hagedorn mehrere Beispiele, etwa wenn es um die Laienbewegung geht, deren Ziel es war, historische Orgeln zu rekonstruieren. Trends wie dieser sind zwar von der nationalsozialistischen Kulturpolitik übernommen worden, so Hagedorn. Doch eigentlich sei das "Interesse an Barockorgeln in die entgegengesetzte Richtung gegangen", was Potter nicht erwähne. Ebenfalls zu kurz kommt nach Hagedorn, dass es in der musikwissenschaftlichen Forschung während des "Dritten Reiches" zahlreiche Freiräume gab, etwa was die Bach-Forschung in Leipzig betraf, auch wenn diese Freiräume vor allem durch die "Ratlosigkeit der Mächtigen" bedingt waren. Informiert werde der Leser hingegen über zahlreiche "Intrigen, Postenschiebereien, Hinterhalten", mit denen sich beispielsweise Heinrich Besseler seine Position in der Musikwissenschaft zu festigen suchte. Insgesamt zeigt sich Hagedorn aber doch enttäuscht, dass die Studie nicht differenzierter ausgefallen ist, weil nur so eine sinnvoller Umgang mit den Musikwissenschaftlern der NS-Zeit möglich sei.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.10.2000

In einem sehr ausführlichen Essay kommt Eckhard John auf verschiedene Neuerscheinungen zum Thema der Musikwissenschaft im Nationalsozialismus zu sprechen - und dabei geht er äußerst streng mit dieser Disziplin ins Gericht, die sich seiner Darstellung nach noch später als andere Geisteswissenschaften mit ihrer Nazi-Vergangenheit befasst hat. Johns Argumentation legt nahe, dass es gerade daran lag, dass diese Disziplin besonders tief und besonders freiwillig in die Verbrechen verstrickt war. Erst 1996 hielten Musikwissenschaftler das erste Kolloquium zum Thema ab, und zwar in der Schweiz. Der von Anselm Gerhard herausgegebene Band "Musikwissenschaft - eine verspätete Disziplin?" (Metzler), den John in seiner Kritik nur erwähnt, versammelt die Akten dieses Kongresses.
1) Pamela M. Potter: "Die deutscheste aller Künste" (Klett-Cotta)
Besonders eingehend widmet sich John in seiner Kritik Pamela M. Potters Monografie, die eine Aufbereitung des gesamten Themenbereichs verspricht. Die Verdienste der Studie liegen nach John vor allem in der Archiv- und Quellenarbeit der Autorin, die zu einigen bedeutenden Personen der Zeit wichtiges neues Material gefunden zu haben scheint. Die historische Analyse dieses Materials hat John allerdings unbefriedigt zu lassen. Er mag etwa der These der Autorin, der Antisemitismus der Musikwissenschaftler sei vielfach nur "Lippenbekenntnis" gewesen, ganz und gar nicht zustimmen und argumentiert - unterstützt von Potters Material selbst - eher in Richtung einer großen Kontinuität mit der Weimarer Republik. Schon damals seien Deutschtümelei und Antisemitismus in der Musikwissenschaft stark verbreitet gewesen. Gegen Potters These spricht für ihn auch, dass sich die Musikwissenschaft nach 1933 mehr oder weniger von selbst gleichgeschaltet habe. Dennoch betont John nochmals die Bedeutung von Potters Arbeit, die er vor allem in den zahlreichen "fachgeschichtlichen und biografischen Details" erblickt.
2) Willem de Vries: "Sonderstab Musik" (Dittrich)
Kürzer, aber sehr beeindruckt berichtet John über diesen Band, der in Belgien, den Niederlanden und Frankreich die Plünderungspolitik der Nazis untersuchte. Er beweist für John die "direkte Beteiligung" von Musikwissenschaftlern an der Arisierungs- und Mordpolitik der Nazis. John belegt das vor allem mit dem Raub unschätzbarer Archive - wie etwa des Besitzes von Darius Milhaud -, die bis heute verloren sind.
3) Michael H. Kater: "Die missbrauchte Muse" (Europa)
Wenig Zustimmung findet bei John dagegen dieser Band. Ohne genauer auf einzelne Darlegungen Katers einzugehen, fühlt sich der Rezensent durch den "herablassenden Ton" gestört, mit dem Kater auf bisherige Forschungsergebnisse zurückblicke, und wirft ihm zugleich einen personalisierenden und allzu subjektiven Umgang mit seinem Gegenstand vor.
En passant erwähnt John auch weitere Studien zum Thema, etwa Eva Weißweilers Band "Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik und seine Folgen" (Dittrich) und den Sammelband "Die dunkle Last - Musik und Nationalsozialismus" (Bela-Verlag). Auch auf zwei englischsprachige Bücher geht er kurz ein, Michael H. Katers "Composers of the Nazi Era" (Oxford University Press) und den Sammelband "Driven into Paradise - The Musical Migration from Nazi Germany to the United States" (University of California Press).