Vor 100 Jahren veröffentlichte
Jaroslav Hašek den ersten Band seiner Abenteuer um den braven Soldaten
Schwejk, der seither als typisch für den tschechischen Nationalcharakter gilt. Wie viel ist da dran, will der Kulturkanal des Tschechischen Fernsehens wissen. Die Schriftstellerin
Pavla Horáková meint, interessant sei nicht nur die Frage, ob Hašeks Figur seinerzeit
typische tschechische Wesenszüge getroffen habe, sondern auch, in wieweit die Tschechen sich diese Züge in hundert Jahren
angeeignet hätten. "In den nationalen Schwejk vermögen sich nämlich auch die hineinzustilisieren, die den Roman gar nicht gelesen haben." Das heutige, touristische Bild des Schwejk habe dabei mehr mit den zeichnerischen und filmischen Bearbeitungen zu tun als mit dem literarischen Original. "Und gerade dieser popularisierte Schwejk verkörpert einen sicher nicht unerheblichen Teil
tschechischer Männlichkeit", meint Horáková, die zwei Aspekte des Schwejk unterscheidt: Der Schwejk "an sich" sei ein
Schlitzohr, ein Schwätzer und Säufer, der weder Frau noch Familie braucht, ein
ewiges Kind ohne Sorgen und Verpflichtungen, ein zwar freundliches, aber recht gefühlloses Wesen. Der andere Aspekt des Schwejk sei sein Verhältnis zur Macht: "Nur ausnahmsweise stellt er sich Willkür und Unrecht entgegen, meistens stellt er dem Bösen
nur verstohlen ein Bein. Er wirkt harmlos, ist aber in Wahrheit ein rücksichtsloser Manipulator. (…) Dieser Schwejk ist Pate all jener Tschechen, die gegen den Totalitarismus
per Autodestruktion in den Kneipen ankämpften (…) Die Bier-Résistance wurde zum gefragten, ja gefeierten Lebensstil, und noch heute sieht man in dieser vergeudeten Generation von Tschechen gerne Helden. Doch gerade jetzt zahlt sich diese Lebensstrategie für uns nicht aus - gegen die Pandemie wehren wir uns genauso effektiv wie gegen die Besatzungsmächte des 20. Jahrhunderts. Der passive Widerstand wird zu Passivität und zu völliger Resignation. Und hinter dieser Untätigkeit steht keine daoistisch erleuchtete Weisheit, sondern
Trotzköpfigkeit."