Essenzen

In bester Diven-Manier

Die Duftkolumne Von Claus Brunner
29.04.2021. Am 6. Juni 1944, während die allierten Truppen in der Normandie landeten, hatte in Paris eines der ganz großen Parfüms seinen ersten Auftritt: "Bandit", lanciert vom Modehaus Robert Piguet. Kreiert hatte ihn die heute legendäre Chemikerin und Parfümeurin Germaine Cellier, die Whiskey liebte, gern fluchte und als erste Frau in die Reihe der großen Parfümeure aufstieg. Ihr Ansatz: die Überdosierung, die Mischung in Dissonanzen. Das gilt auch für "Bandit", das von viel Leder und ordentlich Blattgrün dominiert wird.
Es muss Ende der neunziger Jahre gewesen sein, als ich mit einer Freundin am Verkaufstresen einer alteingesessenen, gut sortierten Frankfurter Parfümerie stand und interessiert nach dem Flakon eines gerade wieder eingeführten Duftes griff, der dort zu Testzwecken drapiert war. Fasziniert hielt ich meiner Begleiterin den besprühten Arm hin, was sie mit einem: "Ui, Drama-Queen!" quittierte.

Es war Robert Piguets "Bandit". Der schwarze, rechteckige Flakon mit dem gelb umrandeten Etikett sah zu verführerisch aus, und dann der Name: ich musste zugreifen! Als Mann könne man den durchaus auch tragen, verkündete die weißbekittelte Fach-Verkäuferin. Meine Freundin grimassierte heftig.

Den Rest des Tages, ich erinnere mich noch gut, klebte meine Nase förmlich an meinem Arm. Da war Leder, viel Leder, aber anders als ich es kannte, glatter, schwärzer, wie imprägniert. Und da waren Blüten. Keine süßliche Blümelei, richtige Blüten, mit ordentlich Blattgrün: frisches, grasiges Veilchen und hochfahrender, strenger Jasmin. War mir ein derart anregender, mich mit seiner herrischen Attitüde aber auch verstörender Lederduft jemals untergekommen?

Nun gut, in meinem Badezimmer stand "Antaeus", eine Weile auch "Van Cleef & Arpels pour Homme", und seit einiger Zeit "Knize Ten", aber "Bandit" stellte alle in den Schatten. Was waren die drei Lederkerle doch harmlos, gegen diesen ledrig-floralen Peitschenschlag! Nicht lange, und gleich vier Banditen waren mein: das damals aktuelle Eau de Parfum, ein Eau de Toilette, vermutlich aus den frühen Neunzigern, ein "Bandit light pour Homme" aus dem Jahrzehnt zuvor, sowie ein Uralt-Flakon, dessen Design auf die sechziger Jahre schließen lässt.

2012 gab's dann schon wieder eine neue Version, diesmal mit einem Zertifikat von Givaudan (ehemals Roure Bertrand Dupont) versehen, dass es sich ganz sicher um die alte Formel von 1944 handle. Diese Fassung verschwand wiederum im Laufe des letzten Jahres, um durch eine neue ersetzt zu werden, die nun den Untertitel "Suprême" trägt, ohne den luftigen Aldehyd-Komplex des Originals auskommt, mit reduziertem Blütenbouquet aufwartet und seltsamerweise nicht im offiziellen Katalog von Piguet auftaucht. Dass "Bandit" dort aber bald wieder Einzug halten wird, wurde mir seitens des Herstellers glaubhaft versichert.

Es ist also ein ständiges Kommen und Gehen. Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich aber voraussagen: "Bandit" wird bleiben, so oder so. Woran das liegt? Ich glaube, der Duft ist einfach zu gut um dauerhaft in den Orkus der Parfumgeschichte einzugehen. Er ist eine Ikone, ebenso wie sein Nachfolger "Fracas", den Piguet 1948 einführte. Beide, "Bandit" und "Fracas" sind die Gründungspfeiler, auf denen der legendäre Ruf von Piguet noch heute ruht. Mag der zeitweilige Inhaber der Rechte an diesen Düften auch vom Markt verschwinden, andere werden die Lizenzen flugs erwerben. Das geht nun schon seit 1953 so, als der Schweizer Couturier gerade mal 54-jährig verstarb.

Ein erdolchtes "Bandit"


Schon der erste Auftritt von "Bandit", ging in die Parfumgeschichte ein: Während in Europa ein vom Deutschen Reich entfesseltes Inferno wütete, fand am Pariser Rond-Point des Champs-Elysées im letzten Kriegsjahr eine Modenschau statt. Klingt absurd, und ja, irgendwie auch dekadent. Am 6. Juni 1944 landeten aber auch die alliierten Truppen in der Normandie und die französische Hauptstadt fieberte ihrer Befreiung entgegen. Unter solchen Vorzeichen Haute-Couture zu präsentieren, nicht dezent im stillen Kämmerlein, sondern provokant und auffällig inszeniert, vermittelt mir aus heutiger Sicht vor allem eins: Trotz. Ein sich Aufbäumen der gegängelten Pariser Kunst- und Modewelt, als Akt der Selbstbeschwörung, dass letztlich die Kultur über die Barbarei siegen werde.  

Zugleich ein neues Parfum vorzustellen, mag heute keinen mehr überraschen, gehen doch längst alle Couturiers mit eigenen Duftlinien hausieren. Damals aber war die Anzahl der PionierInnen auf diesem Gebiet noch überschaubar: Coco Chanel, Jean Patou, Jeanne Lanvin oder Elsa Schiaparelli. Vor allem aber die Art und Weise der Präsentation erregte Aufsehen: Robert Piguet maskierte seine Models mit Stoffmasken und Schlapphüten, und schickte sie mit Revolverattrappen, Plastikdolchen und "Bandit"-Flakons bewaffnet über den Laufsteg. Um den Ganoven-Auftritt noch genussvoller zu zelebrieren, sollen - Augenzeugenberichten zufolge - sogar absichtlich einige Fläschchen zerdeppert worden sein. Ob wahr, oder nicht, mit dem Bild eines erdolchten und zerschmetterten Flakons bewarb Piguet jedenfalls noch lange seinen Erstlingsduft.

Aber nicht nur das Geschehen auf dem Catwalk erregte Aufsehen, der Duft selbst war es, der Piguet augenblicklich zu den genannten Designern, die sich ebenfalls mit eigenen Parfum-Kreationen schmückten, aufschließen ließ, ja ihnen sogar für eine geraume Weile das Rampenlicht raubte. Verglichen mit deren berühmtesten Kreationen wie "No 5", "Joy", "Arpège", ja selbst verglichen mit Elsa Schiaparellis "Shocking", war "Bandit" herausfordernder und gewagter als die Konkurrenz. Wobei die Gewagtheit nicht in einem besonderen Maß an Animalismus bestand - sonderlich animalisch ist der Duft eigentlich nicht, bis auf eine zarte Zibet-Note, die leider irgendwann verschwand - sondern eher seinen Habitus beschreibt: neben dem olfaktorisch überaus selbstbewussten, ja dominanten Auftritt der Trägerin, konnte (und sollte?) diese kühle Lederpeitsche auch den Assoziationsraum für S/M-Fantasien eröffnen.

Kreierte "Bandit", "Fracas" und zahlreiche andere berühmte Düfte: Die Chemikerin Germaine Cellier in den 1930er Jahren. Foto: Archives personnelles


Jahre später wurde berichtet, dass Germaine Cellier, die junge Parfümeurin, die Piguet verpflichtet hatte und die seine berühmtesten Düfte schuf, "Fracas" den konventionellen Frauen gewidmet habe, "Bandit" dagegen den 'dykes' - ein umgangssprachlicher Ausdruck für Lesben. Ob sie das wirklich so gesagt hat, oder es ihr in den Mund gelegt wurde, ebenso das Gerücht, dass sie selbst homosexuell gewesen sei, ist nicht wirklich gesichert. Prominente Trägerinnen, deren berühmteste sicher Marlene Dietrich gewesen ist, die ihre eigene sexuelle Präferenz bekanntermaßen im Unklaren ließ, fand der Duft zuhauf.

Angeblich soll in den siebziger Jahren der amerikanische Kosmetik-Konzern Alfin.Inc., der mittlerweile die Rechte an den Piguet-Düften erworben hatte, eine Umfrage in den Parfümerien hinsichtlich des Konsumentinnen-Alters gemacht haben. Überraschenderweise kam heraus, dass, wenn Herren "Bandit" erwarben, sie nicht unbedingt eine Dame damit beglücken wollten, sondern nicht selten sich selbst. Das veranlasste den Konzern schließlich, ein "Bandit light pour Homme" und sogar ein "Fracas pour Homme" auf den Markt zu bringen. Ersteres war jedoch gar keine maskulinere Version des alten Cellier-Duftes, sondern lediglich eine leichtere, etwas ledrigere Eau-de-Toilette-Variante, während letzteres mit der Tuberosen-Bombe "Fracas" (leider!) überhaupt nichts zu tun hatte, und schlicht grauenvoll war.  

Heute ist der Leicht-Bandit wieder Geschichte, wie so viele Varianten dieses Duftes. Das liegt aber nicht nur an den Lizenzen, die von Hand zu Hand gingen, sondern auch an der Parfümeurin selbst, die laut dem bekannten Duftexperten Luca Turin heute kaum mehr umsetzbare Formeln schuf. Germaine Cellier arbeitete nämlich mit sogenannten "Bases", kleinen Miniparfums, die sie in ihre Formeln einfügte, um einen gewissen Akkord zu kreieren, einen komplexen Pfirsich- oder Lederakkord zum Beispiel. Manche Base hat die Jahrzehnte überstanden, wie das berühmte und häufig verwendete "Animalis", aber viele andere verschwanden im Lauf der Zeit, da die herstellenden Firmen ihre Pforten schlossen.

Geboren wurde Germaine Cellier am 26. März 1909 in Bordeaux. Zum Studium der Chemie zog sie nach Paris. Anschließend nahm sie Roure Bertrand Dupont unter Vertrag, der damals führende Duftstoffproduzent. Nach einem kurzen Ausflug in die Seifenparfümerie bei Colgate-Palmolive kehrte sie zu Roure zurück. Mit den Möglichkeiten moderner Parfümerie war sie also bestens vertraut. Was heute so selbstverständlich klingt, war zu ihrer Zeit ein Novum, erst recht als es ihr mit einem radikal modernen Ansatz gelang, sich in die Phalanx der führenden, ausnahmslos männlichen Parfümeure einzureihen.

Ihr Ansatz: die Überdosierung. Waren die Werke ihrer männlichen Kollegen meist vielstimmige, kunstvoll austarierte und kaum dechiffrierbare Duftsymphonien, die häufig sämtliche Register der Duftorgel zogen, ging Germaine Cellier den entgegengesetzten Weg. Auf ihrer Duftbühne gewährte sie wenigen ausgewählten Noten eine regelrechte Rampe, auf der sie sich in bester Diven-Manier entfalten konnten. So soll sie für "Vent Vert" fast acht Prozent grün-bitteres Galbanum im Parfumöl-Anteil verwendet haben, für "Fracas" eine noch nie dagewesene Konzentration an Tuberose und für "Bandit" eine zu ihrer Zeit recht neue Aroma-Chemikalie namens Isobutyl-Quinoline. Mit der hochdosierten Verwendung dieses rauchig-ledrig riechenden Duftmoleküls etablierte Mme. Cellier ganz nebenbei sogar eine neue Duftgattung, die der Leder-Chypres. Bis heute fehlen sie in keinem Katalog eines größeren Labels.

Noch heute, viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, ragen ihre Werke wie Monolithe aus einem Meer unzähliger mittelmäßiger, vieler guter, weniger sehr guter und einzelner Meisterwerke heraus. "Vent Vert", "Fracas", "Bandit" und "Jolie Madame" gehören definitiv zur letzten Kategorie, und das Besondere an ihnen: ihre spezielle Cellier-DNA scheint sie davor zu bewahren, unmodern zu werden. Im Gegensatz zu "Joy", "No. 5" oder "Argège", die man zu manchen Zeiten eher betulich und ein wenig angestaubt empfand, bekommen die Düfte der Französin auffallend selten das Etikett "old-school" verpasst. Mit Ausnahme vielleicht von Balmains "Pour Monsieur". Aber dieser Duft, so entspannt und sonnig er auch sein mag - erneut ein Werk Cellier'scher Überdosierung, diesmal an Zitrus-Ölen - kam für die Parfümeurin vielleicht doch etwas zu spät: den frechen und entwaffnenden Hochmut ihrer frühen Werke vermag er leider nicht mehr zu transportieren, und er wirkt genau so, wie Cellier-Düfte eigentlich nie wirken: gediegen.

Die "Société Française des Parfumeurs" beschreibt ihren Stil so: "Germaine Cellier komponiert in der Parfümerie ohne Zwang, ohne Vorurteil, mit Genie, wie ein Maler. Ihre Palette ist die Duftorgel. Sie assoziiert Düfte, wie ein Maler Farben assoziiert. Ihre Kreationen sind kühn, kantig, ein wenig rau. Sie überträgt den Fauvismus und die Abstraktion in die Parfümerie. Sie kreiert in Dissonanzen. Ihre Formeln sind kurz und sehr prägnant."

Mit Jean Carles, dem zweiten bekannten Parfümeur, der für Roure arbeitete, war sie angeblich spinnefeind, was dazu führte, dass Roure ihr ein eigenes Labor im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine, weit weg von ihm, installierte. Verheiratet war sie nie, aber bis zu ihrem Tod im Juni 1976 über drei Jahrzehnte lang mit Christian Boussus liiert, einem bekannten ehemaligen Tennisprofi. Ihre Kinder hießen Félix, Cléopâtre, Valentin - und waren Dackel. Die wenigen Fotos, die von ihr im Netz zirkulieren, zeigen eine attraktive Erscheinung, der sichtbar der Schalk im Nacken sitzt. Eine passionierte Gauloises-Raucherin, die gerne Whisky trank, ordinäre Flüche schätzte, und freigiebig ihr Geld verteilte, soll sie obendrein gewesen sein, erzählt ihre Nichte Martine Azoulai. Passt das nicht wunderbar zu ihrem berühmtesten Duft, der Lederpeitsche "Bandit"?

Mit der Installierung von Aurelien Guichard als In-House-Parfümeur haben die aktuellen amerikanischen Inhaber der Marke Piguet, Fashion Fragrances, nach dem Urteil vieler Experten, aber auch nach meinem Empfinden, einen guten Griff getan. Nicht nur, dass er es verstand, das Erbe der mittlerweile mit Legendenstatus bedachten Cellier zu bewahren, nein, er schuf auch neue Werke für Piguet, denen man immer wieder bescheinigt, sie könnten auch von Madame sein: "Casbah" zum Beispiel, ein fabelhafter Weihrauch-Duft, oder "Oud": für mich die denkbar schönste Inszenierung dieser arg strapazierten Wundernote.

Warum aber braucht es gerade jetzt ein neues "Bandit"? Ich weiß es nicht. Es könnte - mal wieder! - mit aktuellen Vorgaben der IFRA (International Fragrance Association) zu tun haben, die nun endgültig, nach gewährter Übergangsfrist, zuvor schon reglementierte Inhaltsstoffe gänzlich verbannt hat. Atranol- und Chloratranol-haltige Verbindungen (Bestandteile des Eichen- und Baummooses) sind jetzt strikt tabu, aber anders als noch zu Beginn der 2000er ist diesmal die Industrie mit brauchbaren Alternativen zur Stelle.

So darf man tatsächlich auf ein "Bandit" hoffen, das das Originalformel-Zertifikat auch wirklich verdient. Weniger, weil man sich sklavisch an das hielte, was die Parfümeurin einst notierte (funktioniert ohnehin nicht mehr), sondern weil man heute endlich über geeignete Möglichkeiten verfügt, die Scharten, die der Konsumentenschutz schlug, wieder auszuwetzen. So präsentieren sich viele Klassiker, wenn auch längst nicht alle, nach der jüngsten Reformulierungswelle  tatsächlich wieder in überraschend guter Verfassung!

Ach ja, Folgendes hat mir das Team Robert Piguet geantwortet: "Dear Claus, we will never give up 'Bandit' as it is a critical part of the company heritage. 'Bandit', in all her glory, will return soon."

In all her glory? Really? Auch wieder mit Zibet? ("Civetone" selbstverständlich - keine Tierquälerei!)

Da bin ich gespannt!

Claus Brunner