Essay

Von Kriterien und Kritik

Von Klaus Faber
29.04.2010. taz-Chefin Ines Pohl hat sich am Dienstag der Diskussion über einen Artikel der "Israelkritikerin" Iris Hefets entzogen. Schade, denn sie hätte über das Verhältnis der taz zu Norman Finkelstein aufklären können
Am 27. April 2010 sollte in der Neuen Synagoge in Berlin eine Podiumsdiskussion mit Thomas Schmid, dem Herausgeber der Welt, Stephan-Andreas Casdorff, dem Chefredakteur des Tagesspiegel, und der Chefredakteurin der taz Ines Pohl, stattfinden. Als Moderator war Thierry Chervel, der Chefredakteur des Onlinemagazins Perlentaucher, vorgesehen. Das Thema der Veranstaltung, zu der Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, eingeladen hatte, lautete: "Ist Antisemitismus wieder salonfähig?? Den Anlass zu dieser Frage hatte ein im März in der taz veröffentlichter Artikel "Pilgerfahrt nach Auschwitz? von Iris Hefets gegeben.

Iris Hefets ist in Israel geboren und lebt seit acht Jahren in Deutschland. Sie ist Vorstandsmitglied in der israelkritisch- bis -feindlichen Organisation "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost", in der im Jahr 2007 auch die Antizionistin Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Heinz Galinski, für wenige Tage Mitglied war (Interviews mit Hecht-Galinski u.a. zur "Jüdischen Stimme" hier und hier). Evelyn Hecht-Galinskis Position darf man nach einer Gerichtsentscheidung, die Henryk M. Broder erstritten hat, als "antisemitisch" bezeichnen.

In dem taz-Artikel hatte Iris Hefets insbesondere kritisiert, dass zwei politische Stiftungen nach heftigen Protesten verschiedener Organisationen Norman Finkelstein von in Berlin geplanten Veranstaltungen ausgeladen hatten. Sie qualifiziert dies als ein "Redeverbot". Eine "Mystifizierung" des Holocausts sei das Mittel, mit dem derartige Redeverbote durchgesetzt würden. Die israelische Gedenkkultur beschreibt sie in ihrem taz- Artikel mit einem hämischen Unterton: "Bevor ein junger Israeli zur Armee geht, muss er mindestens einmal Suff, Sex und eine Auschwitzreise erlebt haben".

Zum Ablauf der Veranstaltung in der Neuen Synagoge in Berlin gibt es inzwischen verschiedene Darstellungen (mehr hier), die in bestimmten Teilen voneinander abweichen. Nach der Begrüßung durch Lala Süsskind erhoben sich jüngere und nicht so junge Demonstranten, die sich im ganzen Saal geschickt verteilt hatten, sofort von ihren Sitzen und solidarisierten sich mit abgestimmten Rufen und mitgebrachten Pappschildern ("Wir sind alle Iris Hefets") mit Iris Hefets. Ein Teil der Protestierenden bezeichnete sich dabei selbst als Israelis. Die Chefredakteurin der taz Ines Pohl ergriff das Mikrofon und forderte, Iris Hefets, die offenbar vor dem Saal wartete, auf das Podium mit den drei Chefredakteuren zu holen und dort sprechen zu lassen. Thierry Chervel, der Versammlungsleiter, lehnte diese Forderung ab und bot stattdessen an, Iris Hefets, wie allen anderen auch, im Rahmen der Diskussion zwischen Publikum und Podium das Wort zu geben.

Nach tumultartigen Szenen wurden einige Störer aus dem Saal verwiesen. Als die Podiumsdiskussion - mit Verspätung - beginnen sollte, war Ines Pohl verschwunden. Aus Diskussionen vor der Saaltür wurde berichtet, dass ihr das Gesprächsangebot für Iris Hefets in der Diskussion zwischen Publikum und Podium nicht ausreiche. Ulrich Gutmair schrieb am nächsten Tag in der taz (vom 28. April), Ines Pohl sei zuvor im Saal bespuckt und als Nazi beschimpft worden.

Die Podiumsdiskussion mit den zwei verbliebenen Chefredakteuren hatte mit dem Weggang von Ines Pohl ihren in der Einladung anvisierten Charakter verändert, ebenso die nachfolgende Debatte zwischen Publikum und Podium. Ein Teil der zu hörenden Beiträge griff die den Diskussionskern beschreibende Argumente zur Abgrenzung zwischen Antisemitismus und "Israelkritik" auf. Beide Chefredakteure erwähnten in diesem Zusammenhang die EUMC-Arbeitsdefinition zum neuen, antiisraelischen Antisemitismus.

Die Bemerkungen von Hefets zur israelischen und jüdischen Holocaust-Gedenkkultur sind obsessiv einseitig und beleidigend. Iris Hefets bewegt sich damit, so viele Debattenteilnehmer, aber wohl immer noch außerhalb desjenigen Bereichs, den man eindeutig als antisemitisch bezeichnen kann. Nicht alle Positionen sind in dieser Hinsicht jedoch zweideutig und unklar. Wer Finkelstein eine Plattform und das Wort geben will, wie Iris Hefets und auch Ines Pohl, weiß, mit wem er es tun hat. Finkelstein vergleicht Israel nicht nur gern mit Hitlerdeutschland und die israelischen Streitkräfte mit der SS. Das allein würde schon ausreichen, um ihn zumindest in die Nähe der EUMC-Antisemitismuskriterien zu bringen, denen übrigens alle Bundestagsfraktionen mit der Resolution vom 4. November 2008 zugestimmt haben, also auch diejenigen der Grünen und der Linkspartei. Finkelstein ist darüber hinaus ein bekannter und bekennender Hisbollah-Sympathisant.

Hisbollah ist eine von dem iranischen Mullahregime finanzierte, antisemitische Terrororganisation. Es geht dabei nicht nur um den gegen Israel gerichteten Vernichtungsantisemitismus, den man in dem Hisbollah-Propagandasender Al-Manar jeden Tag erleben kann. Es geht auch um ganz "traditionellen" Antisemitismus. Über Al-Manar wurde eine Verfilmung der auch von Adolf Hitler geschätzten antisemitischen Hetzschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" gesendet. In dem Film wird eine Szene geschildert, die auch in Videokassetten an Berliner Schulen verbreitet wurde. Darin werden Juden - nicht Israelis - gezeigt, die einem nichtjüdischen Kind die Kehle durchschneiden. Der Film zeigt den Blutstrahl, der in einer Schale aufgefangen wird, um das Blut für rituelle Zwecke zu verwenden.

Diese bekannte antisemitische Judenmordagitation der Hisbollah muss sich der Hisbollah-Sympathisant Finkelstein zurechnen lassen. Und das gilt in gewissem Umfang auch für diejenigen, die mit Finkelstein sympathisieren. Auf Unkenntnis des Sachverhalts können sich jedenfalls Iris Hefets und Ines Pohl
nicht berufen.

Klaus Faber