Essay

Sehr geehrter Herr Professor Doktor Hörisch

Von Georg Klein
07.04.2008. Eine Antwort auf Jochen Hörischs offenen Brief an Burkhard Müller.
Sehr geehrter Herr Professor Doktor Hörisch,

Seit dem 31. März 2008 verschicken Sie per E-Mail einen sogenannten "Offenen Brief" an leitende Redakteure, Feuilletonredakteure, Lehrstuhlinhaber, Literaturkritiker, Publizisten, Schriftsteller und andere im Kultur- und Wissensschaftsbetrieb tätige Zeitgenossen. Sie fordern am Ende Ihres Schreibens dazu auf, es weiterzuleiten, und geben es zur Veröffentlichung frei.

Der Literaturkritiker und Schriftsteller Burkhard Müller, den dieser Brief als ersten Adressaten meint, ist auf einer längeren Asienreise gewesen. Ihr "offener Brief" konnte ihn erst gestern, Sonntag den 6.April 2008, erreichen.

Bis Burkhard Müller Ihnen mit der gebotenen Ausführlichkeit antworten kann, erlaube ich mir, Ihnen mit einem knappen Reflex zu dienen. Auf der zurückliegenden Leipziger Buchmesse durfte ich, als Burkhard Müller den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik 2008 erhielt, die Laudatio halten. Sie haben das Gleiche im Jahr zuvor für den Kritiker Hubert Winkels getan. Ich hoffe daher, es wundert Sie nicht allzu sehr, dass ich mich zu Wort melde.

Burkhard Müller hat Ihr jüngstes Buch "Das Wissen der Literatur" für die Süddeutsche Zeitung besprochen. Sie sind der Meinung, dass ihm dabei Fehleinschätzungen unterlaufen sind und gehen in Ihrem "offenen Brief" auf einige Punkte ein. Ihre Argumentation überzeugt mich nicht. Aber selbst wenn ich Ihre Einwände teilte, würde mich die Art Ihres Vorgehens und der Ton, in dem Sie ihre Gegenargumente vortragen, erstaunen.

Rezensenten sehen die Dinge manchmal anders als die Autoren, deren Werke sie besprechen. Kritiker irren sich gelegentlich. Sie als Lehrstuhlinhaber, Suhrkamp-Autor, als gefragter Redner und Diskussionsteilnehmer, der zudem selbst als Rezensent tätig ist, müssten doch die nötige Standfestigkeit besitzen, um einer Kritik gelassen, ja souverän zu begegnen.

Ihr öffentlicher Brief gibt leider ein anderes Bild:
- Sie fordern eine öffentliche Entschuldigung Burkhard Müllers.
- Sie erwarten, dass der verantwortliche Redakteur gegen ihn vorgeht.
- Sie zitieren ausführlich aus einer vier (!) Jahre zurückliegenden Rezension, die ein anderer Kritiker über ein früheres ihrer Bücher geschrieben hat, um von einer "Schande" des SZ-Feuilletons sprechen zu können.
- Sie führen viermal das Adjektiv "pöbelhaft" und dreimal das Nomen
"Pöbelei" ins rhetorische Feld.

Wer fühlt sich hier von niederem Volk verfolgt? Von welchem Katheder, aus welchem "Milieu" heraus spricht derjenige, der die Kritiker seiner Texte partout einem Pöbel zuweisen will? Wer wendet sich an den verantwortlichen Redakteur, den Chefredakteur und an viele Persönlichkeiten des Betriebes, die er kennt, um einen Druck auszuüben, über dessen "öffentlichen" Charakter sich nachzudenken lohnt?

Lieber Herr Hörisch, wenn ich nicht Gelegenheit gehabt hätte, Ihnen von Angesicht zu Angesicht zu begegnen und mit Ihnen zu sprechen, müsste ich Sie, auf der Grundlage Ihres Briefes und in Kenntnis von Burkhard Müllers Rezension, für einen überempfindlichen, hocheitlen, unangenehm machtbewussten und vor allem für einen dünkelhaften Zeitgenossen halten.

Mit freundlichen Grüßen
Georg Klein