Essay

Es braucht Dialog

Von Dana Buchzik
02.07.2015. Apropos Leser: Eine digitale Zeitung muss sich, mehr noch als ein Printblatt mit Online-Ableger, darauf gefasst machen, dass eine bunte, lebendige und interessierte Leserschaft von sich hören lassen wird.
Dana Buchziks Artikel antwortet auf Wolfram Schüttes Plädoyer für eine Literaturzeitung im Netz. Hier alle Artikel der Debatte.
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Fahrenheit 451 muss die Stärken von Print ausspielen, vor allem aber Wurzeln im Neuen schlagen: Was im Printbereich seit Langem nicht mehr funktioniert, wird nicht plötzlich neu erblühen, nur weil man es in den digitalen Raum zerrt und das Beste hofft.

Dass immer weniger Rezensionen gedruckt werden, hat mit der Zeitungskrise zu tun, sicherlich, mit Geld- und daher auch mit Platznöten - nicht zuletzt aber hängt das Schrumpfen der Literaturseiten mit einem Schrumpfen ihrer Leserschaft zusammen. Wir bewegen uns nicht mehr in der BRD der 1970er oder 1980er Jahre, in der eine vergleichsweise kurze Arbeitswoche und überschaubare Medienkonkurrenz dem literarischen Lesen nichts anhaben konnte. Heute müssen wir länger arbeiten und mobiler sein. Leseangebote müssen sich diesen neuen Erfordernissen anpassen - in Form und Inhalt.

Der Perlentaucher ist so erfolgreich, weil er eben nicht "affiziert durch die Vielzahl der journalistischen Formen" schwärmerisch von einem Text zum nächsten streift, sondern weil er - im besten Sinn - thematischer Gatekeeper ist. Weil er sich auf zentrale Debatten fokussiert, Artikel gezielt und durchdacht lanciert und langatmige Buchrezensionen konzis zusammenfasst (und auch hier nicht alles zulässt, sondern nur Buchbesprechungen großer Qualitätszeitungen und auch diese erst ab einer bestimmten Länge mit einbezieht).

Und damit wären wir beim Kernproblem: der Literaturkritik selbst. Buchrezensionen werden heute wahlweise von etablierten Kritikern oder unterbezahlten Freien geschrieben. Die Etablierten sind mit mindestens drei Viertel des Betriebs freundschaftlich verbandelt, werden zu allen Messepartys eingeladen, essen mit den Verlegern Hirschbraten in gediegenen Etablissements und sprechen dabei betroffen über die Verlagskrise, die dringend Einsparungen notwendig macht, etwa bei Volontärsgehältern oder Honoraren für freie Mitarbeiter. Die kleinen "Freien" möchten all das auch erreichen, wenn sie einmal groß sind. Am Ende steht also: die Gefälligkeitsrezension. Die fehlende ehrliche Auseinandersetzung mit dem Text wird durch selbstgefällige Assoziationsketten kompensiert, durch vergeistigte Geschichten, die der Kritiker dem eigentlichen Textgegenstand Buch überstülpt, bis dieser nicht mehr erkennbar ist. Überzuckert wird das Ganze mit pathetischen Nullsätzen, die nur zu gern auf dem Buchrücken oder wenigstens in der Presseschau des Verlags landen möchten. Da ist auch der tausendste Wenderoman noch ein "Parforceritt" durch die deutsche Geschichte, und der zehntausendste Dachbodenfund erzählt "verstörend" und "ergreifend" davon, "dass man einen anderen Menschen nie wirklich kennen kann".

Kurz zusammengefasst: solche Texte sind erweiterte Verlags-PR und, so wie betrüblich viele Klappentexte, für einen tatsächlich an den Inhalten des Buchs interessierten Leser schlicht unbrauchbar. Bis 2019 wird laut einer aktuellen Cisco-Studie 80 Prozent der globalen Internetnutzung aus Video Content bestehen. Das Feuilleton, so, wie es jetzt ist, könnte nahtlos durch Katzenvideos ersetzt werden; das gäbe mehr Klicks und deutlich weniger Verdruss.

Wer die Literaturkritik retten will, muss

1) seinen Lesebegriff weiter fassen. Nicht nur von E-Literatur erzählen, sondern viel öfter (und ohne elitäres Naserümpfen) auch von Unterhaltung und Genre. Von elektronischen Singles, von Poetry-Slams, von Performancekunst. Von Filmen und Games.

2) sich kurz fassen.

3) neue Formate ausprobieren. Kurze, lebendige Buchvorstellungen per Video, Listicles, Schwarmbuchbesprechungen (von der SZ bereits getestet), Skype-Lesesalon mit Redakteuren, Autoren und Lesern.

Apropos Leser: Eine digitale Zeitung muss sich, mehr noch als ein Printblatt mit Online-Ableger, darauf gefasst machen, dass ihre Leser von sich hören lassen werden. Götz Hamann hat in der Zeit zu Recht darauf hingewiesen, dass Journalisten sich heute nicht mehr beispielhaft öffentlich empören müssen - das haben längst die Leser übernommen. Es geht also darum, mehr denn je durchdachten und gut recherchierten Journalismus zu liefern und die Energie der Leser ins Produktive zu kanalisieren. YouTube-Stars machen es uns längst vor: Sie geben ihren Zuschauern nicht das Gefühl, bloß Kunden und Klicklieferanten zu sein, sondern sie wenden sich an ihre Fans, konzipieren an Zuschauerwünschen orientierte Formate und Inhalte und ermöglichen nicht zuletzt direkte Begegnung.

Eine durchdachte digitale Zeitung bietet Platz für Gastbeiträge, für von Bloggern bespielte Kolumnen und lädt regelmäßig zu Diskussionsabenden ein, zu Themen, für die sich Leser mehrheitlich entschieden haben. Vielleicht wird es Rubriken für alle größeren Städte geben, die den Lesern ermöglichen, Zeitungsbotschafter zu sein, kulturelle Veranstaltungen anzukündigen und von ihnen zu berichten, Fotos und Videos zu posten. Leser können mehr sein als Trolle im Kommentarspaltenabgrund. Wenn man sie lässt.

Leser, die sich beteiligen, die produktiv an "ihrer" Zeitung mitwirken und sie als Mehrwert im eigenen Alltag erleben, sind auch bereit, für diesen Mehrwert zu bezahlen. Diese Unterstützung seitens der Leser sollte die Haupteinnahmequelle des Projekts darstellen. Es ist illusorisch zu glauben, dass Leser einer Zeitung inhaltliche Unabhängigkeit abnehmen, wenn Unternehmen, die in Artikeln thematisiert werden, auch großformatige Anzeigen schalten. Zu oft hat sich erwiesen, dass die Unabhängigkeit, auch bei großen Qualitätsblättern, aufgrund solcher Anzeigen nicht unangetastet geblieben ist.

Um Vertrauen zu schaffen, braucht es Dialog. Eine Seite, die ihren Leser ungefragt mit bunten Bannern und lärmenden Werbevideos bombardiert, ist vor allem eins: unsympathisch. Man kann seinem Leser Wahlmöglichkeiten eröffnen: wahlweise ein deutlich vergünstigter Zugang, der allerdings personalisierte Werbung mit sich bringt, oder ein Aufpreis, der konzentrierte, störungsfreie Lektüre ermöglicht.

Eine digitale Zeitung darf eben nicht, wie Wolfram Schütte vorschlägt, "digitales Imitat des einstigen Printprodukts" sein. Um zukunftsfähig zu sein, reicht es jedoch, sich der Grundwerte des Journalismus zu erinnern: Journalisten müssen schnell reagieren, aber dabei immer sauber recherchiert haben und sie müssen Relevanz anbieten - Relevanz, die sich nicht an Vorstellungen von Redakteuren über 50 orientiert, sondern an Realitäten. An der bunten, lebendigen und interessierten Leserschaft, die es dort draußen längst gibt.

Dana Buchzik

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