Bücherbrief

Ein tiefes Zittern

08.05.2023. Die Frühjahrsbeilagen sind inzwischen erschienen: wir haben für diesen Bücherbrief eine Auswahl der meist- und bestbesprochenen Bücher zusammengestellt. Wem das nicht genügt: Alle Bücher aus den Beilagen finden Sie hier. Was also hat der Frühling zu bieten? Salman Rushdie lockt in das feministische Reich der Königin Pampa Kampana. Olga Tokarczuk lässt in einem Lungensanatorium die Empusen los. Eine Anthologie erkundet die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs. Howard French erzählt eine Globalgeschichte von Afrika und der Entstehung der modernen Welt. Dies alles und mehr in unseren besten Büchern des Monats Mai.
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Weitere Anregungen finden Sie in in der Lyrikkolumne "Tagtigall", dem "Fotolot", in den Kolumnen "Wo wir nicht sind" und "Vorworte", in unseren Büchern der Saison, den Notizen zu den jüngsten Literaturbeilagen und in den älteren Bücherbriefen.


Literatur

Salman Rushdie
Victory City
Roman
Penguin Verlag. 416 Seiten. 26 Euro

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Nur kurz vor dem Attentat, bei dem Salman Rushdie lebensgefährlich verletzt wurde, hat er diesen Roman fertiggestellt und doch liest nicht nur FAS-Kritiker Hernan Caró das Buch als Kampfansage gegen die Gewalt und für die Worte. Erzählt wird die Geschichte vom Aufstieg und Untergang des Königreichs Vijayanagara, zwischen 1343 und 1565 Hauptstadt des gleichnamigen untergegangenen Hindu-Reiches. Beherrscht wird es von der göttlich gesegneten Königin Pampa Kampana, ein Waisenmädchen mit der Gabe, den Menschen, die ebenso wie die Gebäude einfach aus dem Boden wachsen, Geschichten einzuflüstern, die sie dann für ihre eigene halten. Sie lässt ein feministisches Reich entstehen, indem Pazifismus und sexuelle Freiheit herrschen und die Frauen Kampfkünste lernen. Aber die Freude hält nicht lange. Rushdie schreibt gewohnt intensiv, verspielt und fantasievoll, versichert Caro, den die magische und intellektuelle Kraft des Romans beeindruckt. Als "Wunderwerk der Erzählkunst" preist in der FR auch Arno Widmann den Roman: Ein "Silvesterfeuerwerk an Einfällen", das neben beißendem Spott auch die leisen Töne beherrscht, meint er. SZ-Kritiker liest den Roman als meisterhaften Kommentar zur Gegenwart seit dem Mauerfall. Er erkennt unter anderem eine Analogie zwischen dem versunkenen Reich Viajayanagara und den USA: Was mit der Globalisierung hoffnungslos begann, befindet sich längst in einer Abwärtsspirale, meint er. Im Zeit-Interview spricht Rushdie darüber, welche Rolle der englische Kolonialismus im Roman spielt.

Olga Tokarczuk
Empusion
Roman
Kampa Verlag. 384 Seiten. 26 Euro

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Olga Tokarczuk hat sich für ihren ersten Roman nach dem Literaturnobelpreis von Thomas Manns "Zauberberg" inspirieren lassen. Sie führt uns an der Seite des 24jährigen schwindsüchtigen Mieczyslaw Wojnicz zwar nicht nach Davos, sondern in ein Sanatorium im schlesischen Görbersdorf des Jahres 1913. Hier treiben vor allem Männer ihr Unwesen, zusammengehalten werden sie durch hauseigenen Likör,  Tuberkulose und ihren Hass auf Frauen. Irgendwann schlagen die Empusen, weibliche Schreckgeister, zurück: Diese Vorboten der Apokalypse führen die Männer und ihre mörderische Lust vor, resümiert in der Welt Sigrid Löffler, die den Roman zwar "dick aufgetragen, aber unterhaltsam" findet. FAS-Kritikerin Susanne Romanowski ist zwar etwas unglücklich mit der Aufteilung in rationale Männer und mythisch-ungreifbare Frauen, angesichts des facettenreich ausbuchstabierten Personals kann sie der Autorin die "Räucherstäbchenhaftigkeit der Frauenfiguren" aber verzeihen. In der FAZ wiederum liest Marta Kijowska den Roman zwar nicht als feministisches Manifest, aber doch als große Erzählung, wozu auch der sich auswachsende Schrecken und vor allem die große Fähigkeit Tokarczuks, im Schreiben "eine andere Sichtweise auf die Welt" zu suchen, beiträgt. "Rätselklug" findet SZ-Kritiker Hubert Winkels den Roman, "ein wenig altmodisch, aber unterhaltsam".

Dinçer Güçyeter
Unser Deutschlandmärchen
Roman
Mikrotext Verlag. 216 Seiten. 25 Euro

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Über den Leipziger Buchpreis für Dincer Güceter jubelte das gesamte Feuilleton. Eine kleine Rolle spielte dabei, dass der Preis an einen Außenseiter aus einem Klein-Verlag geht. Güçyeter ist nicht nur Lyriker, Verleger und Theatermacher - er ist auch nach wie vor als Gabelstaplerfahrer tätig. "Mit eigener Sprache und lyrischer Innovation der Romanform erzählt Dinçer Güçyeter die Geschichte seiner Familie", begründete die Jury ihre Entscheidung für den Roman, der über mehrere Generationen hinweg vom Leben und Aufwachsen in einer türkischen Gastarbeiterfamilie erzählt. Auch Dinçer muss wie seine Eltern bald in der Fabrik arbeiten, aber mit der Vorliebe seiner Kollegen für Bier und Pornos kann er nicht viel anfangen, lieber liest er Dostojewski, was ihm in der Gemeinde den Ruf einer "Schwuchtel" einbringt, resümiert in der Zeit Ronald Düker, der vor allem die Sprache dieses an Perspektiven reichen Romans lobt: Theaterdialoge wechseln sich mit "expressionistisch-bebender" Lyrik und nüchtern beschreibender Prosa ab. Ein außergewöhnliches Buch, das aufzeigt, wie toxische Männlichkeit und das Schweigen der überarbeiteten, sich aufopfernden Mutter ineinanderwirken und verhindern, dass die neue Heimat Deutschland zum erhofften Paradies wird, liest Paul Jandl in der NZZ. Und Jan Feddersen, dem es in der taz beim Lesen fast die Sprache verschlägt, schreibt: "Da ist einer durchs Leben gegangen und hat offenbar mit jeder Sekunde seines Lebens dieses selbst zum Beobachtungsobjekt gemacht: Ein Bildungsaufsteiger größter Charmanz und von teils bukolischem Humor, ohne je seine Herkunft zu verraten, was ihn im Übrigen von Autoren wie Didier Eribon oder Édouard Louis so unterscheidet wie die Venus vom Mars."

A. L. Kennedy
Als lebten wir in einem barmherzigen Land
Roman
Carl Hanser Verlag. 464 Seiten. 28 Euro

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Als "wütenden und tiefschwarzsehenden Abgesang" auf die britische Politik und Gesellschaft liest nicht nur Richard Kämmerlings in der Welt den aktuellen Roman. Kennedy schreibt über den Lockdown, den Brexit, die Klimakrise und über Armut - und die KritikerInnen sind hingerissen. Erzählt wird die Geschichte der Grundschullehrerin Anna McCormic, aus deren Vergangenheit plötzlich Buster auftaucht - ein psychopathischer V-Mann der Londoner Polizei, der sich einst in ihre linke Aktivistengruppe schlich, mit ihr eine Beziehung begann und nun eine Lebensbeichte in Briefen ablegt. Angelehnt ist jener Buster an Mark Kennedy, der in ganze Europa linke Gruppierungen unterwanderte, klärt uns Fokke Joel in der taz auf. Er bewundert vor allem die "Ironie" und den "Sarkasmus", mit denen die Autorin die großen Lebensfragen in einer wenig hoffnungsvollen Zeit angeht. Einen finsteren "Endzeit-Heimatroman", aber erschreckend nah an der Realität, liest Paul Jandl in der NZZ. Geniale Autorin, packendes Buch, hält Marcus Hladek in der FR fest.

Benjamin von Stuckrad-Barre
Noch wach?
Roman
Kiepenheuer und Witsch Verlag. 384 Seiten. 24 Euro

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Für Benjamin von Stuckrad-Barre hätte es nicht besser laufen können: Nur wenige Tage vor Veröffentlichung seines als Springer-Schlüsselroman geltenden Buches veröffentlichte die Zeit eine epische Recherche über private Nachrichten von Mathias Döpfner. Die Zeitungen stürzten sich entsprechend auf den Roman, den sie zum Teil zweimal - und äußerst kontrovers besprachen. Sehr schön nachzuvollziehen ist das an den beiden Zeit-Kritiken: Wenn der Autor, der einst selbst bei Springer schätzungsweise 40.000 Euro pro Monat verdiente, mit Döpfner, Reichelt und Weinstein abrechnet, ist Volker Weidermann gerührt: So zärtlich, so verständnisvoll und lauter gehe der Autor mit den Frauen um, die Reichelts Opfer wurden und die sich ihm - oder dem Ich-Erzähler - anvertrauten, lobt er. Iris Radisch dagegen wird sauer: Die Transformation des Erzählers zum "sanften Frauenversteher" hält sie für höchst unglaubwürdig, die Frauen im Roman erscheinen als hilflose Dummchen und das "gnadenlos durchironisierte Figurenpersonal" verhindere eine ernsthafte Debatte über Machtmissbrauch, wie man es von dem so rezipierten "MeToo-Buch" erwartet hätte, ärgert sie sich. Ähnlich urteilt Miriam Zeh im Dlf, während Julia Encke in der FAS betont, der Autor schwinge sich keinesfalls zum Retter der betroffenen Frauen auf: Das "Beste, was man derzeit lesen kann", meint sie. Weitere Resümees der Kommentare sowie des Spiegel-Interviews mit Stuckrad-Barre: hier und hier.


Sachbuch

Katharina Raabe, Kateryna Mishchenko (Hg.)
Aus dem Nebel des Krieges
Die Gegenwart der Ukraine
Suhrkamp Verlag. 288 Seiten. 20 Euro

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Einen "großen Fund" und hochaktuellen Band empfiehlt uns Alex Rühle in der SZ. Kurz nach dem Angriff auf die Ukraine baten die Herausgeberinnen Katharina Raabe und Kateryna Mishchenko Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler, ihre Eindrücke und Erlebnisse festzuhalten. Herausgekommen ist diese Anthologie, die sich durch eine staunenswerte inhaltliche Dichte und "analytische Schärfe" auszeichnet, so Rühle: Von der Tendenz zur "privaten Absolution" vieler Russen liest er etwa bei der nach Kasachstan geflohenen Alissa Ganijewa; von der Taktik hinter der Zerstörung der Stadt Mariupol wegen ihrer Symbolkraft für die Ukrainer bei Angelina Kariakina; vom Hinfälligwerden des Plans zur Desertion im Angesicht der Realität des Krieges bei Artem Chapeye. Andererseits, und trotz des Bemühens aller Texte, das Trauma "konstruktiv umzumünzen", gehe doch ein "tiefes Zittern" durch die Texte, denen ihre krisenhafte Entstehungssituation deutlich anzumerken sei - was sie für Rühle nur noch lesenswerter und wichtiger macht. Auch Christian Thomas (FR) legt uns den Band, in dem er von Explosionen, Leichenhallen und Warteschlangen in Kiew, Charkiw oder Mariupol, aber auch von Erinnerungen aus der Vergangenheit liest, nahe: In den Essays und Reportagen werde auch versucht, die Hintergründe der russischen Invasion und das Wegducken der russischen Intellektuellen zu analysieren, meint Thomas. Im SWR2 empfiehlt Judith Leister den Band.

Franziska Grillmeier
Die Insel
Ein Bericht vom Ausnahmezustand an den Rändern Europas
C.H. Beck Verlag. 220 Seiten. 24 Euro

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Für ihre Recherchen ist die Journalistin Franziska Grillmeier im Jahr 2018 auf die griechische Insel Lesbos gezogen - und was sie aus den Flüchtlingslagern berichtet, ist erschütternd, versichern die KritikerInnen. Wir erfahren von den katastrophalen Zuständen auf Lesbos und der Brutalität der Maßnahmen, mit denen Menschen an der Einreise in europäische Länder gehindert werden sollen, aber auch von der Rolle der Medien oder Ereignissen wie ein plötzlicher Wetterumsturz, der die Zelte der Bewohner unter Wasser setzt und die hygienischen Bedingungen weiter verschlechtert. Vor allem aber schätzen die Rezensenten, dass die Autorin die Geflüchteten selbst zu Wort kommen lässt, die sowohl von ihren traumatischen Erfahrungen berichten als auch von ihrem Willen, anderen in ähnlichen Situationen zu helfen. Dass Grillmeier eindringlich und empathisch schreibt, ohne die Fakten aus dem Blick zu verlieren, lobt Tom Schimmeck im Dlf, als deprimierendes und eindrucksvolles Zeugnis vom "moralischen Versagen Europas" empfiehlt Rene Wildangel in der SZ das Buch. In der taz weist Christian Jakob allerdings daraufhin, dass, anders als es die Autorin andeutet, ähnliche Strukturen auch schon vor dem "EU-Türkei-Deal" im Jahre 2016 existierten, somit war Moria nicht "singulär im Ausmaß seiner Entrechtung".

Howard W. French
Afrika und die Entstehung der modernen Welt
Eine Globalgeschichte
Klett-Cotta Verlag. 512 Seiten. 35 Euro

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Der Westen konnte nur durch die Ausbeutung Afrikas und den Sklavenhandel reich werden - diese These vertritt der New-York-Times-Journalist Howard D. French in seinem aktuellen Buch und in zahlreichen Interviews. Im SZ-Interview (Unser Resümee) mit Jörg Häntzschel spricht er etwa von einem zweifachen "Genozid": Den amerikanischen Ureinwohnern in Brasilien und Karibik sei das Land entrissen worden, während sich die verschleppten afrikanischen Sklaven auf den Plantagen innerhalb von fünf Jahren zu Tode arbeiteten. Augenöffnend nennen die Rezensenten das Buch einstimmig: Wenn French bei den ersten Expeditionen der Portugiesen an der Westafrikanischen Küste 1471 ansetzt, um zu zeigen, dass Afrika vor der europäischen Kolonialisierung alles andere als ein 'Kontinent ohne Geschichte' war, lernt Dlf-Kultur-Kritikerin Katharina Döbler einiges in diesem, wie sie findet "elegant" geschriebenen Buch dazu: Im Gegenteil gab es beispielsweise schon in vorchristlicher Zeit große Städte mit florierender Wirtschaft und Kunstgewerbe wie Djenné in Mali oder Timbuktu. In der FAZ hebt der Afrikanist Andreas Eckert vor allem hervor, dass French seine so "provokanten wie plausiblen" Thesen sowohl mit Klassikern der Forschungsliteratur wie Eric Williams und C.L.R. James als auch mit einer großen Bandbreite neuerer Studien belege. Im Wechsel von "klaren Analysen" und epischen Passagen gelingt French, der sich vor allem auf Studien afroamerikanischer Historiker stützt, eine Umdeutung eurozentristischer Narrative, meint auch Martin Hubert im Dlf

Oliver Bullough
Der Welt zu Diensten
Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde
Antje Kunstmann Verlag. 320 Seiten. 26 Euro

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Begleitend zur Lektüre von A. L. Kennedys neuem Roman (siehe oben) empfiehlt sich sicher dieser Band von Oliver Bullough. Der britische Journalist legt dar, wie Großbritannien nach der Suezkrise zu einem der zentralen Orte der globalen Offshore-Ökonomie und zum Handlanger der Oligarchen, Kleptokraten und Kriminellen dieser Welt wurde. SZ-Kritikerin Viola Schlenz wusste durchaus, dass russische Oligarchen und arabische Autokraten ihre Milliarden in London parken. Neu ist ihr allerdings, wie im Grunde genommen das ganze ehrenwerte britische Finanz- und Rechtssystem umfunktioniert wurde zu einer Steueroase, um halbseidenenen Superreichen bessere Geschäften zu ermöglichen. Diesen Systemwechsel schildert ihr Bulloughs zugleich plausibel und unterhaltsam. Dass sich die Amoralität in einem schrulligen Gebaren und in "kauzigen Traditionen" kleidet, macht sie für die Rezensentin besonders abstoßend. Zutiefst deprimierend findet Tim Adams im Guardian das Buch, das ihm zeigt, wie wenig sich die britischen Regierungen für die schmutzigen Geschäfte vor ihren Augen interessierten. In akribischer Recherche legt Bullough etwa dar, wie alte Kolonialisten eine neue Nische fanden, indem sie die entfernten Außenposten des Imperiums - die selbstverwalteten Protektorate der Britischen Jungferninseln, die Caymans, Gibraltar - zu Zufluchtsorten für Plünderer umbauten. Mehr in der New Republic und in unserer Magazinrundschau.

Timothy Garton Ash
Europa
Eine persönliche Geschichte
Carl Hanser Verlag. 448 Seiten. 34 Euro

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Erwartungsgemäß viel Lob gab es für diese, wie der Verlag bereits im Untertitel erklärt, "persönliche" Geschichte von Timothy Garton Ash. Dieser "Supereuropäer" war einfach immer zur rechten Zeit am rechten Ort, schreibt etwa Gustav Seibt in der SZ: Er lernte noch den sowjetischen Kreml vor Gorbatschow kennen, begleitete die Wiedervereinigung, traf Putin in den Neunzigern und unterrichtete Orban in Oxford. Seibt sieht das Buch irgendwo zwischen "staatsmännischer Memoirenliteratur und Geschichtsschreibung". Und doch wird ihm mulmig zumute bei der Lektüre. Das liegt nicht an Garton Ash, der so schreibe, als würde er vor einem Kaminfeuer erzählen, versichert der Kritiker. Aber von der Hoffnung und dem Aufbruchsgeist, mit der die europäische Geschichte der letzten Jahrzehnte bei Garton Ash beginnt, ist heute nicht mehr viel übrig: Der Autor legt Seibt etwa dar, wie Putin bereits im Schatten der westlichen Auseinandersetzung mit den Folgen des 11. Septembers sein Land zur Diktatur umbaute. Ash schreibt aus einer "engagierten Teilnehmerperspektive", meint taz-Kritiker Micha Brumlik, etwa wenn der Autor das Auseinanderbrechen Jugoslawiens mit eindringlicher "Drastik" schildere. Das Auftreten politischer Akteure wie Margaret Thatcher und Václav Havel macht das Buch für Mara Delius in der Welt zu einem lesenswerten "Gesellschaftsporträt des 20. Jahrhunderts". Viele von Ashs Meinungen und Positionen kennt man allerdings zur Genüge, räumt Paul Ingendaay in seiner ausführlichen FAZ-Kritik ein. Und dem NZZ-Rezensenten Thomas Zaugg bleiben Ashs Träume von einer europäischen Zukunft mitunter zu anekdotisch.
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