Kateryna Mishchenko (Hg.), Katharina Raabe (Hg.)

Aus dem Nebel des Krieges

Die Gegenwart der Ukraine
Cover: Aus dem Nebel des Krieges
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518029824
Kartoniert, 288 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind Tausende Menschen umgekommen, Hunderttausende haben Terror und Zerstörung erlitten, Millionen Bürger sind geflohen. Dennoch: unterstützt vom Westen, halten Staat und Gesellschaft stand. Aus dem Nebel des Krieges entsteht eine neue, ungewisse Zukunft. Die Autorinnen und Autoren des Bandes - Schriftsteller, Wissenschaftlerinnen und Aktivisten, Künstlerinnen und Journalisten - halten die Gleichzeitigkeit fest: die Ruinierung des Lebens und seiner Orte; die zivile und militärische Selbstbehauptung; den Willen, eine neue, friedliche Heimat zu schaffen. Sie beschreiben und analysieren die Situation der traumatisierten Menschen im Krieg - ihre tiefgreifende Veränderung, ihre Fähigkeit, sich in sehr unklaren Zeiten dennoch wiederzufinden.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.06.2023

Das "vielleicht wichtigste Buch zur Gegenwart" der Ukraine liest der schwer beeindruckte Rezensent Marcus Welsch mit diesem Sammelband persönlicher Perspektiven von Ukrainern und Ukrainerinnen auf das Kriegsgeschehen. Zunächst weist der Kritiker auf die hohe literarische Qualität aller hier versammelten Beiträge hin, die er als so erschütternd wie erhellend empfindet. So stockt ihm der Atem, wenn er beispielsweise Kateryna Mishchenkos Schilderung der ersten Kriegstage liest. Doch nicht nur die emotionale Situation der Betroffenen wird in diesem Band eindrücklich geschildert, auch eine soziologisch-politische Perspektive von der Ukraine als außergewöhnlichem "sozialem Mikrokosmos" eröffnet sich dem Kritiker. Positionen westlicher Intellektueller, wie Jürgen Habermas und Judith Butler, werden in verschiedenen Beiträgen erfolgreich auseinandergenommen, lesen wir. Diese Lektüre ist ein absolutes Muss, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 29.04.2023

Als Schutzraum versteht Rezensent Christian Thomas die von Kateryna Mishchenko und Katharina Raabe herausgegebene Anthologie. Denn alle Texte und Fotos, egal ob sie am heimischen ukrainischen Schreibtisch oder auf der Flucht entstanden sind, sind geprägt von dem Wunsch, etwas zu bewahren, meint der Kritiker. Gleichzeitig, so Thomas, werde aus der Gegenwart von Explosionen, Leichenhallen und Warteschlangen in Kiew, Charkiw oder Mariupol in die Zukunft und in die Vergangenheit geschaut - zum Beispiel mit der Erinnerung an ein friedliches Kinderzimmer. Essays und Reportagen bilden den Schwerpunkt der Sammlung, die darüberhinaus versuchten, die Hintergründe der russischen Invasion und das Wegducken der russischen Intellektuellen zu analysieren, so der Rezensent. In mehreren Texten werde die Rolle der Sprache thematisiert. Der Kritiker begreift die Gegenwart der Ukraine durch dieses Buch besser: Es gebe ihr Stimmen, mit denen "die Friedhöfe beginnen, dadurch, dass sie stumm anklagen, ebenfalls zu sprechen", schreibt er.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.04.2023

Rezensent Alex Rühle gratuliert Katharina Raabe und Kateryna Mishchenko dazu, eine Anthologie herausgegeben zu haben, die so spürbar ihre Zeit atmet. Denn die Texte der verschiedenen Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler, die vom Herausgeberinnenteam gleich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gebeten wurden, ihre Eindrücke und Erlebnisse festzuhalten, zeichnen sich einerseits durch eine staunenswerte inhaltliche Dichte und "analytische Schärfe" aus, so Rühle: Von der Tendenz zur "privaten Absolution" vieler Russen liest er etwa bei der nach Kasachstan geflohenen Alissa Ganijewa; von der Taktik hinter der Zerstörung der Stadt Mariupol wegen ihrer Symbolkraft für die Ukrainer bei Angelina Kariakina; vom Hinfälligwerden des Plans zur Desertation im Angesicht der Realität des Krieges bei Artem Chapeye. Andererseits, und trotz des Bemühens aller Texte, das Trauma "konstruktiv umzumünzen", gehe doch ein "tiefes Zittern" durch die Texte, denen ihre krisenhafte Entstehungssituation deutlich anzumerken sei - was sie für Rühle nur noch lesenswerter und wichtiger macht. Ein "großer Fund", meint er.
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