Bücher der Saison

Herbst 2003 - russische Bücher

Romane und Lyrik / Biografien / Sachbücher / Kinder- und Jugendbücher / russische Bücher

Russland-Schwerpunkt

Uns ist nicht aufgefallen, dass bei dem Russland-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse viele neue Autoren entdeckt worden wären. Der Polen- und der Ungarn-Schwerpunkt waren seinerzeit fruchtbarer.

Groß besprochen wurde Wladimir Sorokins Roman "Ljod - Das Eis" (bestellen), in dem es um eine New Age-Sekte im heutigen Russland geht. Das schwächste Buch Sorokins, meint allerdings Karl-Markus Gauß in der NZZ, "schrill und schräg", freute sich Herrmann Wallmann in der FR, allzu ernst gemein, kritisiert Jochen Jung in der Zeit, eine "moderne Fortsetzung" von Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita", findet Thomas Steinfeld in der SZ. Einig ist sich die Kritik also nicht.

Fragt man Irina Denezkina, worüber sie schreibt, erhält man die knappe Antwort: "Maltschiki", also "Jungs". Zehn Geschichten über junge Petersburger, die von Party zu Party ziehen, erzählt die russische Autorin in "Komm" (bestellen) . FR-Rezensent Dirk Fuhrig hat sich herzlich erfreut an "Denezkinas frischem Stil", mit dem sie das Lebensgefühl der zwischen "Pepsi, Pager, MTV" heranwachsenden Jugendlichen eingefangen hat.

Boris Schitkows Roman "Wiktor Wawitsch" (bestellen) ist wohl die einzige wirkliche literarische Entdeckung des Schwerpunkts - aber sie betrifft einen Roman, der bereits in den dreißiger Jahren geschrieben wurde, von der Revolution im Jahr 1905 handelt, und durch Stalinismus und Kriegswirren auch in Russland in Vergessenheit versank, wo er erst 1999 wieder herauskam. Kein Wunder, dass der Roman unter Stalin verboten wurden, denn sein größte Provokation liegt laut Sonja Zekri in der SZ, darin, dass auch die Revolutionäre aus "Dummheit, Feigheit und verletztem Stolz" handeln. Alxandra Kedves nennt das Buch in der Zeit eines der besten über die russische Revolution, und erstklassig übersetzt sei es auch.


Die besten Bücher des Russland-Schwerpunkts waren Sachbücher.

Anne Applebaums monumentale Studie "Der Gulag" (bestellen) wurde in höchsten Tönen gelobt. Endlich ist die "fehlende Synthese" zum Thema nun erschienen, schreibt Ulrich Speck in der FR. Und Manfred Hildermeier lobt in der Zeit vor allem auf Grund der "ebenso akribischen wie engagierten Lektüre aller erreichbaren Memoiren" die beklemmende Darstellung der Lebensaspekte der Gefangenen - "ein Buch, das man nicht so leicht vergisst".

Ossip Mandelstam, einer der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts, ist 1938 in Stalins Gulag elend verreckt. Ralph Dutli, Herausgeber der wunderschönen Mandelstam-Ausgabe bei Ammann (bestellen) hat nun nach Jahren der Arbeit eine große Biografie (bestellen) über den Dichter herausgebracht. Ulrich M. Schmid freut sich in der NZZ, dass auch der fröhliche, sinnliche, manchmal auch alberne Dichter Mandelstam hier gebührend dargestellt wird, und preist das Buch als mustergültige Dichterbiografie. Andreas Isenschmid schreibt in der Zeit über die tragische Seite: "Noch nie ist einem deutschen Publikum dieser Tod und jede Einzelheit des Weges zu ihm so genau und taktvoll, so kenntnis- und ideenreich beschrieben worden wie in Dutlis Biografie."

Natascha ist die junge Fürstin Rostowa aus Tolstois "Krieg und Frieden", die trotz aller französischen Erziehung urplötzlich auf bäuerische Weise zu tanzen beginnt, so erfahren wir aus Natascha Freundels Besprechung in der FR. Dem Autor dient das Bild der tanzenden Natascha als Zeichen für das grundlegende Spannungsfeld, in dem russische Identität sich vom 18. bis ins 20. Jahrhundert hinein verortet und krisenhaft hergestellt hat. Freundel ist überwältigt vom "zeitgeschichtlichen Panorama", das der Londoner Historiker Orland Figes in "Nataschas Tanz" (bestellen) auffaltet. Auch Karl Schlögel empfiehlt in der Zeit die elegante, anmutige Synthese der russischen Kulturgeschichte in diesem Buch.

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