Philippe Lançon

Der Fetzen

Cover: Der Fetzen
Tropen Verlag, Stuttgart 2019
ISBN 9783608504231
Gebunden, 551 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Nicola Denis. Der Terroranschlag auf Charlie Hebdo hat das Leben von Philippe Lançon unumkehrbar in zwei Hälften gespalten. In eindringlicher Prosa arbeitet Lançon das Erlebte auf und sucht seinen Weg zurück in ein Leben, das keine Normalität mehr kennt. Als sich Philippe Lançon an einem Morgen im Januar spontan entscheidet, in der Redaktion von Charlie Hebdo vorbeizuschauen, gibt es kein Anzeichen dafür, dass sein Leben direkt auf eine Katastrophe zusteuert. Gemeinsam mit seinen Kollegen sitzt er im Konferenzraum, als zwei maskierte Attentäter das Gebäude stürmen. Kurz darauf sind die meisten seiner Freunde tot, ihm selbst wird der Unterkiefer zerschossen. Philippe Lançon wird nicht als Gastdozent nach Princeton gehen, wie es geplant war. Er wird seine Querflöte verschenken, die er nicht mehr spielen kann. Und er wird lange Zeit keine Redaktion mehr betreten. Stattdessen wird er siebzehn Gesichtsoperationen erdulden und versuchen, seine Identität zu rekonstruieren. So, wie das Attentat Frankreich in ein Davor und ein Danach gespalten hat, hat es auch das Leben Philippe Lançons auseinandergerissen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.03.2019

Sämtliche Preise, die Philippe Lançons Roman "Der Fetzen" in Frankreich bereits erhalten hat, sind berechtigt - und zwar "aus literarischen Gründen", versichert Rezensent Niklas Bender. Warum? Weil der Charlie-Hebdo-Kolumnist sowohl das Attentat als auch das Leben danach so dringlich wie drastisch beschreibt, den Moment greifbar macht, die Täter und ihre Motive aber als "verstörende Leerstelle" im Buch stehen lässt, meint der Kritiker, der Lançons Roman zudem eine gelungene Mischung aus "Verletzlichkeit und Distanz" attestiert. Mehr noch: Wie präzise der Autor Heilung und Rückschläge beschreibt, dabei neben Erinnerungen an sein früheres Leben immer wieder persönliche Erfahrungen mit Literatur (Houellebecq, Kafka), Musik (Bach) und Kunst (Velazquez) einflicht, findet Bender schlicht meisterlich. Und dass Lançon schließlich auch noch humorvolle Passagen gelingen, verschlägt ihm vollends den Atem.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.03.2019

Arno Widmann gesteht, dass er mit Scheu und einer gewissen Furcht an die Lektüre von Philippe Lançons Buch "Der Fetzen" herangegangen ist: "Ich wusste, ich werde ihm nicht gewachsen sein". Lançon ist einer der elf Verletzten, die den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo überlebt haben, allerdings mit schwersten Entstellungen, seine Mund- und Kinnpartie war zerfetzt und musste in 17 Operationen mit Transplantationen rekonstruiert werden, berichtet der Rezensent. Widmann ist erleichtert, dass der Autor das Geschehene nicht als lineare Geschichte erzählt, die sich anbahnt, passiert und dann irgendwann überstanden ist, sondern dass er vielmehr darüber reflektiert und auch den Leser zum Reflektieren bewegt, etwa über die Frage, wie weit man durch Empathie verstehen kann, was Lançon durchmachen musste. Nicht vor Entsetzen muss Widmann das Buch immer wieder beiseite legen, sondern weil ihn präzise Beobachtungen, Beschreibungen oder Bemerkungen zum Innehalten und Nachdenken anregten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 20.03.2019

Jan Jekal scheint tief beeindruckt von dem Überlebensbericht des Charlie-Hebdo-Kolumnisten Philippe Lançon. Lançon, der den Anschlag vom 7. Januar schwer verletzt überlebt hat, beschreibt darin laut Jekal in einer bei Kafka und Proust abgeschauten, zwischen Träumen und Wachen, Erinnerung und Tatsachen oszillierenden Bewegung, wie er das Attentat und die Folgen erlebt hat. Lançons Vorhaben, eine Verbindung zwischen seinem Ich vor dem Anschlag und dem nach dem Anschlag herzustellen, deutet Jekal als Selbsthilfe und Versuch, die Deutungshoheit über die eigene Geschichte wiederzuerlangen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 19.03.2019

Erschüttert hat Dina Netz dieses Buch gelesen, in dem Philippe Lançon das Attentat auf Charlie Hebdo verarbeitet. Lançon schrieb als Kritiker für Charlie und Libération, am Morgen des 7. Januar 2007 begab er sich kurzentschlossen zur Redaktionskonferenz, bei der zwölf seiner Kollegen ermordet wurden. Lançon überlebte schwer verletzt, sein Kiefer wurde zerschossen. Ein wichtiges Zeitdokument sieht Netz vor allem in den ersten hundert Seiten, auf denen Lançon nüchtern und bewegend das Attentat rekonstruiert. Wie er auf den folgenden vierhundert Seiten versucht, sein Überleben seelisch in den Griff zu bekommen, und dabei vor allem in Musik und Literatur Trost findet, hat die Rezensentin auch beeindruckt, denn Lançon schreibe mal bescheiden und selbstkritisch, mal hochtrabend oder aufbrausend, aber meist bemerkenswert luzide.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.03.2019

Als Zeugnis des Grauens und Durchhaltens empfiehlt Alex Rühle das Buch Philippe Lançons, der als Charlie-Hebdo-Autor das Attentat schwer verletzt überlebte. Auch wenn der Text kein Happy End hat und Lancons genauer Bericht der Ereignisse vom 7. Januar 2015 und von den siebzehn Operationen, die der schwer verletzte Autor danach über sich ergehen lassen muss, dem Rezensenten schwer zusetzt. Schönheit gewinnt der Text laut Rezensent durch die Reduktion der Perspektive auf das Nötigste, das Über- und Weiterleben, die Rekonstruktion der Identität. Der Tod, wie Lançon ihn beschreibt, lässt das Leben heller leuchten, meint Rühle tief bewegt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.03.2019

Rezensentin Julia Encke sieht Philippe Lançons Buch über das Attentat auf Charlie Hebdo als eine doppelte Rekonstruktion: Zum einen verfolge Lançon, wie ihm seine Chirurgin Chloé das Gesicht wiederherstellte, das ihm die Attentäter zerschossen haben, zum anderen, wie der Autor und Kritiker sein eigenes Leben wiedergewinnt. Encke liest dies auch als Geschichte von Wahnsinn und Vernunft, Härte und Zärtlichkeit, und als grandiose Erzählung der Selbstbehauptung gegenüber dem Tod. Was Lançon in seinem Buch schafft, betont die Rezensentin, ist "ergreifender, dichter und literarischer" als so mancher Roman in dieser Saison.