Patrick Modiano

Place de l'Etoile

Roman
Cover: Place de l'Etoile
Carl Hanser Verlag, München 2010
ISBN 9783446233997
Gebunden, 189 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Elisabeth Edl. Ein junger Mann, Raphael Schlemilovitch, in Paris zur Zeit des Nationalsozialismus. In seiner fingierten Autobiografie ziehen kaleidoskopartig die Lebensentwürfe der Juden im besetzten Frankreich vorüber: Mal ist er "Kollaborationsjude" und Liebhaber von Eva Braun, mal "Feld-und-Flur-Jude" in der tiefsten Provinz, bald emigriert er mit falschen Papieren und wird der Judenverfolgung dennoch nicht entgehen. Bis er bei Doktor Freud auf der Couch liegt, der dem halluzinierenden Held eine "jüdische Neurose" attestiert. Modianos 1968 erschienenes Erstlingswerk über das von Deutschen besetzte Paris.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.08.2010

Unfassbar findet Rezensent Jürgen Ritte, dass Patrick Modianos überwältigender Debütroman "Place d'Etoile" erst 42 Jahre nach seiner Erscheinung ins Deutsche übersetzt wurde. Einzige Erklärung für den Rezensenten ist die Tatsache, dass dieser Roman, der bereits Modianos Grundthema - das Leben französischer Juden unter deutscher Besatzung - einleitet, im Vergleich zu den Nachfolgewerken zu sarkastisch war, um ihn dem deutschen Publikum zuzutrauen. Sein Protagonist Raphael Schlemilovitch erfülle trotz des sprechenden Namens nicht die Erwartung des verfolgten Juden im Kampf gegen die Nazis, sondern sei ein skrupelloser Mädchenhändler, der sich als selbst erklärter "Menschenfresser, der kleine Arierinnen verspeise" bei Adolf Hitler großer Beliebtheit erfreute. Die in rasantem Orts- und Zeitwechsel durch "antisemitische Klischees" springende Erzählung wurde in der zweiten Auflage durch den französischen Verleger mit einem Vorwort versehen, das sich wie die "Gebrauchsanweisung für gefährliche Geräte" lese, schreibt der Rezensent. Dass auch die deutsche Fassung ein derart "instruktives" Nachwort enthalte, findet Ritte zwar lobenswert, bedauert aber zugleich, dass das Buch offenbar auch heute nicht ohne Anleitungen gelesen werden könne.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 31.07.2010

Als "großen Solitär" feiert Jochen Schimmang seinen französischen Schriftstellerkollegen, und begrüßt hocherfreut die erste deutsche Ausgabe seines in Frankreich bereits 1968 erschienenen Debütromans. Dieser Erstling des "mit Literatur vollgestopften" 21-Jährigen unterscheidet sich aus Sicht Schimmangs sehr von Patrick Modianos folgenden Büchern. Denn diese Geschichte über einen jüdischen Kollaborateur im Nazi-besetzten Frankreich sei ein "postmoderner Roman avant la lettre". Modiano spiele mit Lektürefrüchten, verschmelze gekonnt Zeitebenen und variiere Biografien. Dabei persifliere und übertreibe er in seinem Protagonisten in einer nie endenden Spirale sämtliche antisemitischen Klischees. Gleichzeitig tauche in diesem Buch die gesamte Kollaborateursszene der Okkupationszeit auf, von Celine bis Maurice Sachs. Das "kenntnisreiche Nachwort" der Übersetzung findet Schimmang selbst für Kenner unverzichtbar.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.06.2010

Freudig begrüßt Andreas Isenschmid diesen mit 42-jähriger Verspätung nun endlich auf Deutsch erschienenen Erstling von Patrick Modiano aus dem Jahr 1968 als "Geniestreich". Modianos Protagonist Schlemilovitsch sei von Chamissos Peter Schlemihl inspiriert, lesen wir - ein Held, mit multipler Identität: mal jüdischer Dandy, mal Nazikollaborateur, Oberassimilant oder Israelreisender. Stets kokettiere der Held mit Klischees. Bereits auf Seite drei des Roman, so Isenschmid, bringe Modiano alle Vorstellungen über das Jüdischsein zum Tanzen, zimmere bei allem Ideenreichtum aber keinen festen Roman, sondern lasse seine Geschichte immer wieder zerfallen. Ebenso wechselhaft wie der Erzählstrom und die Identität des Schlemilovitsch sei auch Modianos unverwechselbarer Ton: mal Spott, mal Persiflage, mal Karikatur - immer wieder verschränkten sich verschiedene Stimmen ineinander. In heiterster und schwärzester Mischung aus Fakt, Frechheit und Fiktion sieht der Kritiker vom Helden des Romans europäische Kulturgeschichte durch den Kakao gezogen. Was auf diesem Weg entsteht ist für Isenschmid ein kühner, das Denken befreiender Traum.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.04.2010

Fraglos einer der wenigen großen Würfe der französischen Nachkriegsliteratur ist für Rezensentin Ina Hartwig dieser Debütroman, den Patrick Modiano 1967 im Alter von 22 Jahren fertigstellte. Er erregte damals gewaltiges Aufsehen, weil hier ein jüdischer Autor einen jüdischen Erzähler namens Raphael Schlemilovitch in der Besatzungszeit zum Nazispitzel werden lässt und auch in manch anderer Hinsicht die konventionellen Erwartungen auf den Kopf stellt. Nazi-Sympathisanten wie Jean-Louis Celine und Maurice Sachs sind die leicht erkennbaren Vorbilder für viele der überzeichnet dargestellten Figuren. Teils bis heute verstörend wirke, so Hartwig, der in diesem Buch ausführlich und mit viel Witz nachmodellierte Judenhass. Die Übersetzung ebenso wie das Vorwort von Elisabeth Edl kann die Rezensentin nur preisen, einzig die Entscheidung, die Übersetzung auf die von Modiano später überarbeitete Version zu stützen, kann sie nicht recht nachvollziehen.
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