Manfred Osten

Das geraubte Gedächtnis

Digitale Systeme und die Zerstörung der Erinnerungskultur
Cover: Das geraubte Gedächtnis
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783458172314
Kartoniert, 126 Seiten, 14,80 EUR

Klappentext

Als die Gefährten des Odysseus von den Lotophagen bewirtet werden, vergessen sie alles und denken nicht daran, in ihre Heimat zurückzukehren. Mit Gewalt müssen sie aufs Schiff gebracht werden, um die Heimreise fortzusetzen.
Dieser Mythos markiert den Beginn einer Geschichte des Vergessens, die die Geschichte der menschlichen Kultur als ihre andere Seite begleitet und heute mit der schwindenden Nachhaltigkeit digitaler Systeme und ihrer scheinbar unermeßlichen Speicherkapazität einen neuen Höhepunkt erreicht. Bereits Goethe rief dazu auf, der Destruktion des Gedächtnisses entgegenzuwirken, und im 19. Jahrhundert versuchte die Romantik, durch die Hinwendung zum Mittelalter das kulturelle Gedächtnis zurückzugewinnen, während die an der Zukunft orientierten Ideologien die Weltgesellschaft lediglich ökonomisch optimieren wollten - ein Konzept, das seine Geltung grundsätzlich bis zur globalen Wirtschaftsgesellschaft des 21. Jahrhunderts behalten hat und das in der Hirnforschung, in der Gerontologie und in der Gentechnik ganz neue Dimensionen gewinnt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.04.2005

Zu schwarzmalerisch findet Rezensentin Angela Gutzeit Manfred Ostens neue Publikation über "Das geraubte Gedächtnis". Es handelt vom drohenden Kollaps unseres kulturellen Langzeitgedächtnisses, ausgelöst durch Umwälzungen, welche die globale Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts mit sich bringe. Denn digitale Systeme trügen mitnichten zur Entlastung des Gedächtnisses bei, weshalb etablierte Speichermedien wie Bibliotheken, Museen etcetra dringend bewahrt werden müssen, lautet Ostens Mahnung. Gutzeit hält selbige zwar für "absolut notwendig", glaubt aber, der Autor habe einige wesentliche Aspekte unberücksichtigt gelassen, die dem Buch viel von seiner Untergangsstimmung hätten nehmen können. Vorschnell würde Osten das gute alte Buch zu Grabe tragen, zu gering sei sein Vertrauen in das Entwicklungspotenzial digitaler Speichermedien und zu wenig berücksichtige er den Einfluss erlernbarer Strategien zur Informationsselektion auf das Gedächtnis. "So bleibt nach der Lektüre der Eindruck haften, hier werde das Für und Wider zu wenig ausgeleuchtet", urteilt Gutzeit mit Bedauern über das ansonsten "blitzgescheite" Buch.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.02.2005

Etwas verhalten äußert sich Uwe Justus Wenzel über Manfred Ostens zwischen Unbehagen und Melancholie changierenden Essay über den Verlust der Erinnerungskultur. Zwar beeindruckt ihn Ostens Gang durch die Geschichte des Vergessens. So bescheinigt er dem Autor, über einen "großen Schatz trefflicher Worte und Wörter" zu verfügen  - von Homer über Goethe gehe es zu Nietzsche und Freud, zu Borges und Botho Strauss, Karl Heinz Bohrer und Odo Marquard. Zudem greife Osten eine Vielzahl von Themen auf, wie die nationalsozialistische Bücherverbrennung, digitalen Speichersysteme und ihre Haltbarkeitsprobleme oder die Hirnforschung. Aber eines stellt Wenzel dann doch unmissverständlich klar: "Zu einer Geschichte fügen sich die Fragmente dieser 'kleinen Geschichte' nicht". Auch eine "eigentliche Diagnose oder These" kann er nicht erkennen. Ob Osten die länger schon um sich greifenden, vergangenheitspolitisch verordneten Erinnerungsrituale als ein Gegengewicht zu dem Verlust der "anamnetischen Kultur" betrachtet, oder diese für eine letztlich verkleidete Formen des Vergessens hält, darüber etwa wird der Leser zu Wenzels Bedauern vom Autor im Unklaren gelassen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.12.2004

Florian Coulmas macht sich in der Kritik von Manfred Ostens Buch "Das geraubte Gedächtnis", in dem dieser die Digitalisierung beklagt, zum Verteidiger digitalisierter Datenträger. Zunächst räumt er ein, dass der Autor dem Leser bei seiner kulturpessimistischen Klage über die stete Beschleunigung des "Lebenstempos" und der Kommunikation durchaus "aus der Seele spricht". Coulmas erkennt auch an, wie "wunderbar gelehrt und stilistisch höchst elegant" Osten seine Lamentation über die "Erosion des kollektiven Gedächtnisses" vorbringt. Dennoch findet der Rezensent, dass Osten nicht bedenkt, dass Neuerungen von jeher mit Ablehnung bedacht worden sind - er weist kenntnisreich auf Platons "tiefes Misstrauen gegen die Schrift" hin - und er will ihm auch nicht in dem Gegensatz von "Gedächtnis" contra "Fortschritt" folgen. Trotzdem, so Coulmas überzeugt, trägt diese "gescheite" Abhandlung durchaus einiges zur Bewertung der veränderten Erinnerungskultur, wie sie durch die Digitalisierung von Daten eintritt, bei.
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