Christian Meier

Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns

Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit
Cover: Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns
Siedler Verlag, München 2010
ISBN 9783886809493
Gebunden, 100 Seiten, 14,95 EUR

Klappentext

Ein zentraler Glaubenssatz unserer Zeit lautet: Um eine Vergangenheit zu "bewältigen", muss man die Erinnerung an sie ständig wachhalten. Christian Meier, einer der bedeutendsten deutschen Historiker, stellt diese Geschichtsversessenheit in seinem brillanten Essay in Frage. Er weist nach, dass in früheren Zeiten nicht Erinnern, sondern Vergessen das Heilmittel war, mit einer schlimmen Vergangenheit fertigzuwerden. Christian Meier ist die Weltgeschichte durchgegangen, um herauszufinden, was die Menschen früher taten, wenn sie nach Kriegen oder Bürgerkriegen Versöhnung suchten. Sein Befund ist ebenso erstaunlich wie einfach: Die Welt setzte seit den alten Griechen auf Vergessen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.08.2010

Christian Meiers Schrift über das Erinnern und Vergessen wird als "weises kleines Buch" von Rezensent Claus Leggewie gelobt, der sich gleich mehreren Büchern widmet, die der in seinen Augen etwas erstarrten Erinnerungskultur neues Leben einhauchen. Sehr ausführlich geht Leggewie nicht auf das Buch ein, so dass man leider Meiers Gedankengang nicht nachvollziehen kann, demzufolge das Vergessen generell richtig ist, zum Beispiel im Falle DDR, nicht aber was die nationalsozialistischen Verbrechen betrifft. Leider findet eine ausführlich Erklärung dieser Einteilung in Leggewies knapper Darstellung keinen Raum, erscheint doch Meiers allein auf die Singularität von Auschwitz abzielende Kategorisierung für einen Historiker recht unhistorisch und willkürlich.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.08.2010

Andreas Kilb lernt hier einiges über die Tauglichkeit von Schlussstrich-Mentalitäten und Aufarbeitung angesichts historisch einmaliger Ereignisse. Die beiden im Band erhaltenen Essays des Historikers Christian Meier, einer zum deutschen Umgang mit dem Holocaust, der andere, kleinere, zur Wiedervereinigung und ihren Folgen, stellen diese Formen der Geschichtsbewältigung laut Kilb historischen Traditionen von Amnestie und Schuldtilgung gegenüber. Dass der Autor offenbar seine Hoffnung bestätigt findet, die Deutschen würden über die kritische Auseinandersetzung mit den Mechanismen von Strafe und Exkulpation schließlich zur Wahrheit über die Vernichtung der Juden gelangen, scheint für den Rezensenten eine mögliche positive Bilanz des Bandes zu sein.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.07.2010

Angeregt hat der Professor für Politische Wissenschaft in Aachen, Helmut König, Christian Meiers Aufsatzsammlung zum "Gebot" des Vergessens beziehungsweise Erinnerns vergangener Verbrechen von der Antike bis in die jüngere Vergangenheit gelesen. Es handelt sich überwiegend um überarbeitete Texte aus der Mitte der 90er Jahre, zu einem geringeren Teil aber auch um neue Aufsätze und einen Vortrag zur deutschen Wiedervereinigung von 2009, lässt der Rezensent wissen. Deutlich demonstriere der emeritierte Professor für Alte Geschichte seine Sympathie für umfassende Amnestien zum Beispiel im alten Rom, in denen er die Voraussetzung zur Wiederherstellung von "dauerhafter politischer Ordnung und Freiheit" sieht. Auf der anderen Seite betone er, dass es für das singuläre Verbrechen des Holocaust kein Vergessen geben darf und hier ein "Erinnerungsgebot" "unabweislich" sei, so der Rezensent weiter. Das allerdings sieht der Autor als "Ausnahme" zur Vergessensregel an, und hier zweifelt der Rezensent ein wenig. Überhaupt fragt sich König, ob das kollektive Vergessen und das Erinnern sich nicht viel näher stehen, als der Autor glaubt und das Erinnern als Versuch der Überwindung "schlimmer Vergangenheit" nicht sogar wirksamer ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.06.2010

Am Ende der Lektüre hat Ruth Fühner mehr Fragen als Antworten. Worauf genau der Althistoriker Christian Meier mit seiner bis ins antike Athen zurückreichenden Beweisführung hinaus will, kann Fühner nicht so recht erkennen. Zu zeigen, dass die Amnesie, das bewusste Vergessen, historisch wirksamer und besser geeignet ist, bösen Wiederholungen vorzubeugen, als die Pflicht zur Erinnerung, gelingt Meier laut Fühner auf die Art jedenfalls nicht. Zu schwammig scheint Fühner die hier verwendete Begrifflichkeit. Zu gering das Bewusstsein des Autors für den kategorialen Unterschied zwischen der Antike, dem Judenmord durch die Nazis und der deutsch-deutschen Geschichte nach 1989.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.06.2010

Beeindruckt zeigt sich Elisabeth von Thadden von der Fragestellung dieses Buchs, ihren Informationen zufolge eine Komposition aus zwei überarbeiteten Vorträgen des 81-jährigen Historikers. Kann Erinnerung einer Wiederholung des Schlimmen vorbeugen, oder bringe sie mit der Rache nur neues Schlimmes hervor?, fasst die Kritikerin die Fragestellung zusammen. Zu ihrer Beantwortung nehme Christian Meier nicht weniger als zweieinhalb Jahrtausende europäische Geschichte in den Blick, sowie geschichtspolitische Gepflogenheiten der europäischen Kulturen. Herausgearbeitet werde besonders der Zivilisationsbruch, den das Wort "Auschwitz" markiert, und von zwei Modellen ausgehend diskutiere Meier tragfähige Konzepte für eine Gedächtniskultur: dem Modell Ciceros, der für Amnestie zugunsten des gesellschaftlichen Friedens plädierte, und dem Richard von Weizsäckers, der Erinnern als Kur gegen neuerliche Ansteckungsgefahr empfahl. Meiers Argumentation nun besticht die Kritikerin, weil er jenseits von Erinnern und Vergessen sich für ein Maß stark macht, dass die Geschichtspolitik jeweils am Einzelfall orientieren will, und die jeweilige Berücksichtigung der Schwere historischer Vergehen empfiehlt.