Jörg Baberowski

Räume der Gewalt

Cover: Räume der Gewalt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015
ISBN 9783100048189
Gebunden, 272 Seiten, 19,99 EUR

Klappentext

Jede Erklärung der Gewalt sehnt ihr Ende herbei. Das Leben soll schöner werden und die Gewalt aus ihm verschwinden. Doch die Gewalt war und ist eine für jedermann zugängliche und deshalb attraktive Handlungsoption - und kein "Betriebsunfall" oder "Extremfall". Wer wirklich wissen will, was geschieht, wenn Menschen einander Gewalt antun, muss eine Antwort auf die Frage finden, warum Menschen Schwellen überschreiten und andere verletzen oder töten. Nach seinem preisgekrönten Buch über das stalinistische Gewaltsystem legt der Historiker Jörg Baberowski nun eine Studie über den sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Umgang mit Gewalt vor.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.05.2016

Uwe Justus Wenzel zweifelt mitunter an den aufklärerischen Intentionen des Osteuropahistorikers Jörg Barberowski, wenn der sich dem Thema Gewalt zuwendet. Dass er sich als Leser schlecht fühlen soll bei der Lektüre, sieht er nicht ein. Und auch die beschwörerische Verrätselung, in die der Autor seine Ausführungen mitunter kleidet, scheint Wenzel überflüssig, wenn nicht hinderlich, um die "Räume der Gewalt" zu erkunden. Historische Szenen aus der NS-Zeit, dem Bolschewismus,  dem Regime der Roten Khmer und aus Rwanda verbindet der Autor laut Wenzel mit sozialanthropologischen oder soziologischen essayistischen Reflexionen. Die Frage, wie die Eigenlogik und wie die Räume von Gewalt begriffen werden kann, umkreist Barberowski, so Wenzel weiter, mit Norbert Elias, Zygmunt Bauman oder auch Wolfgang Sofsky. Ob es allerdings hilfreich ist, Gründe und Ursachen von Gewalt bei dieser Erkundung auszublenden, wie der Autor es macht, bezweifelt Wenzel. Und statt der Skizzenhaftigkeit der Ausführungen hätte er sich mitunter eine bessere Ausarbeitung des Textes gewünscht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2016

Sönke Neitzel findet den essayistischen Ansatz von Jörg Baberowski okay. Dass der Autor mit seinen Einlassungen zur Gewalt nurmehr Pflöcke ins Themenfeld einrammt, Anregungen gibt und keine längeren Beweisführungen anbietet, scheint ihn nicht zu stören. Exzellent findet er nämlich, wie der Autor mit Verve gegen sozialwissenschaftliche Erklärungsmodelle von Gewalt anschreibt und erklärt: Ein Leben ohne Gewalt gibt es nicht. Und Ideologien reichen als Erklärung für Gewalt nicht aus. Wie die Situation auf Gewaltanwendung wirkt, vermag ihm Baberowski indessen prononciert wie kein zweiter plausibel zu machen, auch wenn er die Adlerperspektive einnimmt und atemlos von den Bürgerkriegen zur Ostfront 1944 und weiter auf die KZs blickt. Das ein oder andere leichtfertige Urteil kann Neitzel dem Autor nachweisen. Doch das Thema, etwa auch der Zusammenhang von Gewalt und Kultur, wie Neiztel eigens erwähnt, wird in seiner ganzen Breite sichtbar, meint der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.01.2016

Niemand geringerer als der Politologe Herfried Münkler bespricht diesen Band des Historikers Jörg Baberowski, der durch Forschungen über den Stalinismus und kritische Äußerungen über die Ukraine bekannt wurde. Um das Wesen von Gewalt zu ergründen, so Münkler, setze sich Baberowski im wesentlichen mit den Theorien Nobert Elias' (den Münkler als Aufklärungsopimtisten darstellt) und Zygmunt Baumans (laut Münkler ein postmoderner Pessimst), sowie Johan Galtungs und Wolfgang Sofskys auseinander. Münkler verweist auch auf die "Räume", die für Baberowski eine Rolle spielen - und da werden auch die Gegenden genannt, in denen der Zweite Weltkrieg am düstersten tobte. Ob Baberowski sich hier mit Timothy Snyder auseinandersetzt, der durch Forschungen über die "Bloodlands" (also Gewalträumen) und solidarische Äußerungen über die Ukraine bekannt wurde, teilt Münkler nicht mit. Am Ende macht er Baberowski das leicht vergiftet klingende Argument, dass er "auf große Theorien und einfache Lösungsvorschläge" verzichte.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 31.10.2015

Martin Ebel rät, dieses Buch nicht vorm Schlafengehen zu lesen. Das Albtraumhafte ist ihm eingeschrieben, aber auch Wahrheiten, vor denen wir die Augen nicht verschließen sollten, meint er. Dass der Historiker Jörg Baberowski über Gewalt und ihre Voraussetzungen (Räume) apodiktisch schreibt, nicht etwa fragend, gefällt Ebel zwar weniger gut. Den teils beschreibenden, teils reflektierenden Ausführungen des Autors zur Unumgänglichkeit der Gewalt folgt er aber dennoch mit einer Mischung aus Faszination und Grauen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.10.2015

Gustav Seibt lernt das Gruseln mit Jörg Baberowskis Buch über die Unbedingtheit der Gewalt. Was der Historiker in seiner Studie an Gewaltexzessen, Terror und Verbrechen, Massenmördern und Opfern versammelt, lässt Seibt das Blut in den Adern gefrieren. Vor allem, da der Autor sprachlich nicht eben zimperlich vorgeht und auch keine Hoffnung hegt, Zivilisation, Affektdämpfung oder Empfindsamkeitssteigerung könnten Gewalt verhindern. Auch von ideologischen Motiven und entwicklungsgeschichtlichen Ableitungen hält der Autor nichts, stellt Seibt entsetzt fest. Gewalt als dauernde Möglichkeit planmäßig eröffneter Räume! In der Ambivalenz zwischen geordnetem und ungeordnetem Gewaltraum und der Idee, dass jede Ordnung gefährdet und im schlimmsten Fall sogar besonders geeignet ist, Gewalt hervorzubringen, sieht Seibt eine besonders finstere Erkenntnis des Autors.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2015

Hannes Hintermeier kann sich Jörg Baberowskis auf jeder Seite dieses Essays erkennbaren Pessimismus die menschliche Gewaltbereitschaft betreffend nur damit erklären, dass der Historiker warnen möchte: Die Abwesenheit von Gewalt sei ein ständig zu verteidigendes Gut! Dafür erträgt der Rezensent lesend sogar die vom Autor aufgelisteten Gräuel der Menschheitsgeschichte: Schlachten, Kriege, Suizide, Hitler, Mao, Stalin, Pol Pot, Jugoslawien, Ruanda, Syrien. Deprimierend und beunruhigend findet Hintermeier die Lektüre, denn der Autor macht dem Leser keine Hoffnung, dass etwa Erziehung oder die Umstände zu Gewalt führten und diese also kontrollierbar wäre. In kühlem, manchmal apodiktischem Ton erteilt er der Ursachenforschung eine Abfuhr und öffnet stattdessen die "unsichtbaren Räume" der Gewalt, erkennt der Rezensent mit Schrecken.
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