Saul Friedländer

Die Jahre der Vernichtung

Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945
Cover: Die Jahre der Vernichtung
C.H. Beck Verlag, München 2006
ISBN 9783406549663
Gebunden, 869 Seiten, 34,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs erreicht auch die Geschichte des Holocaust im Jahr 1939 eine neue Dimension. Sie kann nicht mehr auf deutsche Politik, Entscheidungen und Maßnahmen begrenzt werden, sondern muss die Reaktionen (manchmal auch Initiativen) der sie umgebenden Welt und die Haltung ihrer Opfer miteinbeziehen. Das ist schon deshalb unausweichlich, weil das, was wir "Holocaust" nennen, einen Vorgang bezeichnet, dessen Totalität gerade in der Konvergenz all dieser Elemente besteht. Überall im besetzten Europa hing die Ausführung deutscher Maßnahmen von der Gefügigkeit der politischen Institutionen, der Unterstützung durch lokale Ordnungskräfte, der Passivität oder Mitwirkung der Bevölkerung und vor allem ihrer politischen und geistlichen Eliten ab. Sie war auch abhängig von der Bereitschaft der Opfer, den Weisungen Folge zu leisten, oft in der Hoffnung, diese abzumildern oder doch Zeit zu gewinnen und irgendwie dem deutschen Schraubstock zu entkommen. Eine Gesamtgeschichte des Holocaust muss alle diese Ebenen in den Blick nehmen und integrieren.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006

Als "Meisterwerk der Geschichtsschreibung" würdigt Klaus-Dietmar Henke diese Werk von Saul Friedländer. Die souveräne Verbindung einer umfassenden, nüchternen Darstellung der Vernichtung der europäischen Juden mit der sensiblen Vergegenwärtigung des Leidens und Sterbens der Opfer hat ihn tief beeindruckt. Er unterstreicht, dass es sich bei dem Werk um eine Gesamtdarstellung des Holocaust handelt, die die gnadenlose Durchführung des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms und die zentrale Rolle der antisemitischen Ideologie Hitlers ebenso in den Blick nimmt wie die europäische Dimension des Verbrechens sowie die Reaktionen und die Stimmen der Opfer. In ihrer Eindringlichkeit erinnert Henke diese Darstellung des Holocaust an das filmische Werk von Claude Lanzmann. Und so bescheinigt er Friedländers Werk auch die "Eindringlichkeit und Richtigkeit eines Kunstwerks".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.10.2006

Mit "tiefer Erschütterung" und "als Deutscher zugleich mit einem Gefühl der Beschämung", hat Rezensent Hans Mommsen dieses lang erwartete "epochale" Werk nach der Lektüre beiseite gelegt. Die in zehn chronologischen Abschnitten gegliederte Darstellung hat ihm ein aus vielen Perspektiven geschildertes Bild der Lage der europäischen Juden während des Krieges, den Auswirkungen von eskalierenden antisemitischen Maßnahmen und der Verflochtenheit der "beteiligten Politikfelder" vermittelt. Die historische Abhandlung werde immer wieder unterbrochen durch persönliche Zeugnisse, die dem millionenfachen Mord das "Abstrakte" nehmen, so der Rezensent. Mit Akribie verzeichne Friedländer Hitlers antisemitische Tiraden Hitlers ebenso wie "unendlich viele Zeugnisse" für die Akzeptanz der "NS-Judenpolitik" in der deutschen Bevölkerung oder schockierende Details aus dem Alltag des Massenmords. Und die "Fassungslosigkeit", von der Friedländer Mommsen zufolge in seiner Darstellung spricht, teilt sich auch ihm als Leser mit. Als Nachteil von Friedländers "narrativer Darstellungsform" und dem bewusster Verzicht auf "wissenschaftliche Distanz" empfindet er jedoch, dass die Funktion von Tätern und beteiligten bürokratischen Institutionen marginalisiert und hauptsächlich in Fußnoten abgehandelt wird, und auch Zäsuren in diesem Diskriminierungs- und Verfolgungsprozess, der ab 1942 in der systematischen Ermordung der Juden Europas mündet, für Mommsens Geschmack nicht scharf genug hervortreten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.10.2006

Saul Friedländer habe es tatsächlich geschafft, seine "einzigartige" Darstellungsweise des ersten Bandes für die Jahre 1933-1939 auch in diesem Werk in differenzierter und übersichtlicher Manier fortzuführen, freut sich Norbert Frei. Der Autor habe die Holocaustforschung gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt, indem er auch die Stimmen der Opfer zu Wort kommen lasse. Insbesondere die deutsche Forschung, erinnert der Rezensent, habe hier Zurückhaltung geübt aus Zweifel am Wert des Erzählens. Der Großteil der Zeitzeugen, denen Saul Friedländer hier in gewisser Weise "Würde" und "Identität" zurückgibt, sind laut Rezensent zudem wenig bekannt im deutschsprachigen Raum. Durch diesen breiten Querschnitt werde nun anschaulich, dass die Opfer aus ganz Europa stammten und der "moralische Kollaps" den ganzen Kontinent betraf. In Hinblick auf die Verantwortung der deutschen Bevölkerung spreche Saul Friedländer von einem "Erlösungsantisemitismus". Auf die Debatten der akademischen Forschung hingegen, so der Rezensent, gehe Saul Friedländer ohne explizite Begründung nicht näher ein.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.09.2006

Schon Saul Friedländers Vorgängerbuch "Die Jahre der Verfolgung" über die Zeit bis 1939 wurde von den Kollegen nahezu einmütig als die beste Darstellung dieses Gegenstands gepriesen, bemerkt Ulrich Herbert zu Beginn. Der vorliegende Folgeband scheint diese ehrwürdige Tradition fortzusetzen. "Meisterhaft" insgesamt, "souverän und präzise" in der Beschreibung, analytisch einwandfrei, sicher im Urteil, stilistisch beeindruckend. Umfassender kann ein Lob nicht sein. Herbert schreitet die mannigfachen Stationen des Bandes ab, erlangt einen Gesamteindruck von der Ermordung der europäischen Juden zwischen 1939 und 1945 und erkennt schließlich Hitlers Antisemitismus als Zentrum von dessen Politik. Über allem aber bleibt der Eindruck der Stimmen aus den Aufzeichnungen der Opfer für den Rezensenten der stärkste. Nur für die wirtschaftliche Seite interessiert sich Herbert offenbar mehr als der Historikerkollege Friedlländer.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.09.2006

Tief beeindruckt und bewegt zeigt sich Rezensent Volker Ullrich vom zweiten Band von Saul Friedländers opus magnum "Das dritte Reich und die Juden", der Darstellung des Prozesses der Vernichtung der europäischen Juden zwischen 1939 und 1945. Schon den ersten Band "Die Jahre der Verfolgung" über die Zeit von 1933 bis 1939 galt der Kritik nach Auskunft Ullrichs einhellig als das beste Buch zum Thema, eine Einschätzung, die seines Erachtens auch für den zweiten Band zutrifft. Er betrachtet das Werk als die erste wirkliche, weil alle Dimensionen der Vernichtung einbeziehende Gesamtdarstellung des Holocausts, die auch die Stimmen der Opfer hörbar mache. Beeindruckt hat ihn das Vorgehen des Autors, innerhalb der drei großen, chronologisch angelegte Kapitel ständig die Ebenen zwischen Reflexion und detaillierter Schilderung, Analyse und Veranschaulichung zu wechseln. Im Blick auf die Holocaust-Forschung bescheinigt er dem Autor, alle wichtigen Werke aufgenommen und mit strittigen Fragen wie die nach der Entscheidung der "Endlösung der Judenfrage" differenziert diskutiert zu haben. Zustimmend äußert sich Ullrich über Friedländers Akzentuierung der Rolle Hitlers und dessen wahnhaften Judenhass als entscheidende Triebfeder des Holocausts sowie über dessen Kritik am Verhalten der Kirchen. Auch der breiten Darstellung der Kollaboration der besetzten Ländern im Blick auf die Vernichtung der Juden kann er nur zustimmen. Erschüttert hat ihn die genaue, stets um höchste Sachlichkeit bemühte Schilderung der unsäglich grausamen NS-Vernichtungsmaschinerie. Alles in allem kann er das Werk, er würdigt es als Friedländers "Lebenswerk", nur uneingeschränkt loben und zur Lektüre empfehlen.