Helga Hirsch

Ich habe keine Schuhe nicht

Geschichten von Menschen zwischen Oder und Weichsel
Cover: Ich habe keine Schuhe nicht
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002
ISBN 9783455093605
Gebunden, 207 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Teodor Müller stammt aus einer deutschen Fabrikantenfamilie in einem Städtchen mitten in Polen. Im Krieg arbeitet er mit der polnischen Untergrundarmee zusammen und wird dafür von der Gestapo eingesperrt. Nach 1945 sitzt er in einem polnischen Lager, weil er Deutscher ist. Wer war Müller in diesen wirren Zeiten? Ein Schindler, der verfolgte Polen schützte, oder ein Naziagent, der sie der Besatzungsmacht auslieferte? Acht Biografien zeichnet die Autorin nach, Schicksale von Polen, Juden und Deutschen, die fremd in der eigenen Heimat wurden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 25.06.2003

Ein hochinteressantes Buch hat die langjährige Warschau-Korrespondentin der "Zeit" vorgelegt, lobt Ulrich M. Schmid. Die Autorin geht acht Lebensschicksalen nach, die sich herkömmlichen - vor allem nationalen - Beschreibungskategorien entziehen. Eines der beschriebenen Schicksale hatte seinerzeit für Aufsehen gesorgt: ein katholischer polnischer Priesters, der erst nach seiner Priesterweihe erfahren hat, dass er eigentlich jüdischer Herkunft ist und als Waisenkind in einer polnischen Familie großgezogen wurde. Weder die katholische Kirche noch die jüdische Gemeinde zeigten sich von diesem Umstand sehr angetan, so Schmid. Hirschs Darstellung der verschiedenenen Schicksale macht für Schmid deutlich, wie wenig solche Kategorien wie "deutsch", "polnisch" oder "jüdisch" zur Erfassung vieler polnischer Schicksale taugen; erst eine übergreifende europäische Identität und Wertegemeinschaft könne da Abhilfe schaffen, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.09.2002

Die doppelte Verneinung des Titels ist typisch gewesen für das Deutsch der Deutschen im polnischen Lodz vor dem Zweiten Weltkrieg, klärt uns Gabriele Lesser gleich zu Anfang auf. Und widmet sich dann nacherzählend den "ethnischen Grenzgängern" zwischen Polen und Deutschland, um die es in Helga Hirschs Buch geht. Affirmativ kommt sie am Ende, so scheint es, zu demselben Schluss wie die Autorin: dass nicht "mangelnde Bildung oder Aufklärung" der Grund für die allfällige Rückkehr zu nationalistischem Denken sei, sondern dass es an "der menschlichen Psyche" liegt: an der Suche nach Sicherheit in einer fraglosen Zugehörigkeit. Ob die hier Portraitierten durch ihr Leben auch Anlass geboten haben, diese vorgebliche Sicherheit in Frage zu stellen oder ob sie unter ihrer doppelten Loyalität nur leiden mussten, darüber schweigt Gabriele Lesser leider. Das lässt den Eindruck entstehen, die in diesem Buch vorgestellten Leben hätten als Illustration einer These herhalten müssen - aber vielleicht ist dem gar nicht so...

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.06.2002

Das Buch der Publizistin und Politologin Helga Hirsch wird wohl manchen irritieren, vermutet Rezensent Hansjakob Stehle. Hier wird gezeigt, wie wenig die landläufigen Vorstellungen von nationaler Identität der Realität entsprechen, besonders dort, wo die Zahl der Grenzgänger zwischen Völkern, Kulturen und Religionen ständig zunimmt. Die Unsicherheit darüber , welcher Gruppe man sich zugehörig fühlen muss oder will, macht Hirsch am Beispiel von acht Biografien deutlich, die, wie Stehle anmerkt, zwar romanhaft wirken, aber gründlich erforscht und dokumentiert seien. Das Ergebnis dieser Biografien sei, dass es nicht "die" Deutsche, Russen oder Polen, sondern "nur gute und schlechte Menschen" gebe. Einziger Kritikpunkt an dem Buch ist für Stehle der fehlende Anmerkungsapparat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.04.2002

Die langjährige Polen-Korrespondentin Helga Hirsch hat "ein spannendes wie anrührendes" Buch über Deutsche, Juden und Polen geschrieben, lobt Thomas Urban. Die Autorin geht Einzelschicksalen nach, die "auf den ersten Blick" wie ein "Nebeneinander und Gegeneinander" vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg wirken, "auf den zweiten Blick" aber verdeutlichen, dass solche Zuschreibungen "zu simpel" sind, denkt der Rezensent. Die in diesem Buch porträtierten Menschen nämlich haben einen "hohen Preis" bezahlen müssen, berichtet Urban. Am Ende der Lektüre müsse der Leser feststellen, dass es "keine guten oder schlechten Völker" gebe, "sondern nur gutes oder schlechtes Handeln von einzelnen Menschen".
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