Harry Graf Kessler

Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880-1937

Zweiter Band: 1892 - 1897
Cover: Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880-1937
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004
ISBN 9783768198127
Gebunden, 777 Seiten, 58,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Roland S. Kamzelak und Ulrich Ott. Anzukündigen ist die erste vollständige und wissenschaftlich aufgearbeitete Ausgabe des legendären, 57 Jahre hindurch geführten Tagebuchs des Schriftstellers, Diplomaten und Kunstmäzens Harry Graf Kessler. Kessler war eine einzigartige Erscheinung in einem besonders bewegten Abschnitt der europäischen Zeit- und Kunstgeschichte. Sein Tagebuch ist eine unvergleichliche Quelle zur politischen Geschichte, zur Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte seiner Zeit. Es ist fortlaufender Zeitbericht und Zeitkommentar, geschrieben von einem unerbittlich scharfen Beobachter, sensiblen Denker und homme de lettre. Band 2, mit dem die Edition beginnt, setzt ein mit einem frühen Höhepunkt - Kesslers Weltreise (1892) nach Nordamerika, Japan, China, Indien und Ägypten, gefolgt von Notizen von seiner Mexiko-Reise, Grundlage für Kesslers erstes selbständiges Buch.

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

Harry Graf Kessler (1868-1937) hat Tagebuch geführt. Von 1880 bis 1937. Harry Graf Kessler gehörte zur europäisch-amerikanischen Elite seiner Zeit. Er kannte fast jeden, der in Politik, Wirtschaft und Kultur eine Rolle spielte. Er kannte die, die das Sagen hatten, und er kannte die, deren Bedeutung erst die Nachwelt erkannte. Er war ein Förderer zeitgenössischer Kunst und Literatur, und er war selbst ein Künstler und Literat. Es gibt in Deutschland keinen Autor, dessen Tagebücher mit den seinen zu vergleichen sind. Das hat zwei Gründe: Es gibt keinen Autor, dessen Leben auch nur annähernd mit dem Kesslers zu vergleichen wäre. Kesslers Schriftstellerdasein ging fast ganz in die Arbeit an den Tagebüchern. Hier ist zu beobachten die glückliche, auf fast jeder Zeile anregende Verbindung einer niemals ermüdenden Neugier auf die Welt und ihre Interpretation mit der von der eigenen Wahrnehmungslust begeisterten Formulierungsfreude eines Autors, der zu reich war, um wirklich Schriftsteller zu werden...
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.08.2004

Auf insgesamt neun Bände ist die Gesamtausgabe der Tagebücher von Harry Graf Kessler projektiert, von denen bisher nur der zweite aus den Jahren 1892 bis 1897 vorliegt. Über 57 Jahre hinweg habe Kessler Tagebuch geführt, staunt der Rezensent und wundert sich noch mehr darüber, dass sich Kessler bei seinen ausgedehnten Reisen, die ihn nach Nordamerika, Mexiko, Japan, Indien oder Ägypten führten, nie über praktische Dinge ausließ: etwa wie man im Himalaja ein Hotel findet, in welcher Währung man bezahlt oder in welcher Sprache man sich durchfragt. Auch wovon solche Reisen finanziert werden, scheint nie in Frage gestellt gewesen zu sein, schlussfolgert Süselbeck, schließlich sei Harry Graf Kessler ein Hamburger Bankierssohn gewesen. Stattdessen produzierte Kessler hochtrabende philosophische Exkurse, entwickelte bereits erste Thesen seiner Rezeptionstheorie, besuchte für die Zeitschrift 'Pan' Künstler wie Munch oder Liebermann, das alles im Wechsel mit Reiseschilderungen oder gelegentlichen Ausflügen in die internationale High Society oder ins Theater. Ein Teil des zweiten Bandes widmet sich Kesslers Soldatenleben als preußischer Offiziersanwärter; an diesem Punkt wundert sich Süselbeck allerdings über die Auslassungen des Co-Herausgebers Günter Riederer, der Kesslers homoerotische Neigungen seiner Meinung nach herunterzuspielen versucht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 25.05.2004

Auf neun dicke Bände wird sich die Gesamtedition der Tagebücher von Harry Graf Kessler belaufen, teilt Hanno Helbling mit. Der erste wird als letzter erscheinen, weiß Helbling, dafür liegt nun der zweite Band aus den Jahren 1892 bis 1897 vor. 450 Seiten Text umfasst das Buch, hinzukommen 225 Seiten Namensregister, so Helbling, der dieses Seitenverhältnis höchst aufschlussreich findet: zum einen weist es darauf hin, dass Kessler viele Menschen kannte, deren Namen noch heute erwähnenswert ist, zum anderen sind die Erläuterungen in das Personenregister integriert, ein Umstand, den der Rezensent herzlich begrüßt, weil auf die Lektüre erschwerende Fußnoten fast gänzlich verzichtet wird. Ob nun die heutigen Leser alles wissen müssen, was Kessler notiert, hält Helbling für durchaus fraglich. Doch jene für ihn typische Mischung aus Gesellschaft und Bildung kann man halt nicht in Reinform haben, gibt er seufzend zu. Kessler war ein höchst diskreter Mensch, stellt der Rezensent fest: kein Hinweis auf seine Homosexualität, was wohl damit zu erklären ist, dass sie damals noch unter Strafe stand, wenig Tratsch, sondern mehr Protokoll des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, das erst in Ansätzen, meint Helbling, erkennen lasse, dass Kessler sich später der künstlerischen Avantgarde zurechnen und zuwenden wird.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.04.2004

Als "große Grundurkunde deutscher Zeitgeschichte" und "brillantes Protokoll von Personen, Ereignissen, Lektüren, Atmosphären" würdigt Rezensent Gerhard Schuster die legendären Tagebücher von Harry Graf Kessler, von denen nun, zuerst erschienen, der zweite Band 1892-1897 vorliegt. Das fast 800 Seiten starke Werk bietet zur Freude Schusters einiges: Kesslers Weltreise 1892, seine Expedition durch Nordamerika und Mexiko 1896/97, Jura-Studium und Militärdienst, die Mitgründung der Kunstzeitschrift "Pan", die Bekanntschaft mit der Philosophie Nietzsches und die Reflexionen über Henri de Regnier. Allerdings erstreckt sich Schusters Begeisterung für Kessler nicht auf die Herausgeber der vorliegenden Ausgabe. Allzuviel muss er hier nämlich bemängeln: Die Einleitung bleibt für ihn hinter dem Forschungsstand ebenso zurück wie der gesamte Band hinter anderen mustergültigen Tagebuch-Ausgaben. Schmerzlich vermisst Schuster vor allem einen eingehenden Stellenkommentar. Aber auch der Verzicht auf eine Rekonstruktion der Lebensbeziehungen Kesslers sowie auf eine Zusammenführung und Auswertung seiner so reichen Korrespondenz erscheint Schuster nicht eben überzeugend. Das Register schließlich findet er bestenfalls unübersichtlich, eher aber chaotisch. Nichtsdestoweniger zeigt er sich dankbar dafür, dieses Tagebuch endlich lesen zu können, zumal jede Zeile eine "aufregende Lektüre" bietet.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.04.2004

Am liebsten würde Fritz J. Raddatz "applaudieren", hat man doch endlich seinen und die vielen anderen Rufe nach "Mehr, bitte mehr" von Harry Graf Kessler erhört. Für den zweiten Band des Tagebuches einer der "farbigsten Figuren" des ausgehenden 19. Jahrhunderts hätte nicht nur Kessler selbst, sondern auch die Herausgeber Lob verdient, schreibt der Rezensent. Zwar werde in dieser Edition, die eine "vor Jahren unsorgfältig zusammengestellte Auswahl" bei weitem übertreffe, die Frage nach Harry Graf Kesslers Homosexualität "fast indigniert" beiseite geschoben, doch der Grund dafür sei ein lobenswerter. Die Herausgeber wollen ein Bild Kesslers zeichnen, das "auf Fakten und Daten eingeschränkt", aber nicht beschränkt sei, und so liege die Größe des Werks in seiner "Vornehmheit". Nicht ganz sicher ist sich der Rezensent, ob er das Streben nach "akribischer Vollständigkeit" kritisieren soll oder nicht. Zwar wünsche man sich manchmal, gewisse "langweilige Petitessen", die den Charme und Esprit des Werks "totbuchstabieren", wären weggelassen worden, doch dem Vorwurf, der Zensur so den Weg zu ebnen, will er sich auch nicht aussetzen. Hier findet der Rezensent keine "Lösung"; doch sein Gesamturteil fällt eindeutig positiv aus. So positiv, dass er den Herausgebern am liebsten eine Kiste Champagner schicken würde. "Verdient hätten sie es."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.04.2004

Verschenkt! Für Stephan Schlak ist die neue Herausgabe der Kessler-Tagebücher eine Enttäuschung. Was die Herausgeber als "Hybridedition" und "Typus einer neuen Quellenedition" priesen, sei in Wahrheit nichts anderes als ein "gewaltiges Tagebuchmassiv", schreibt Schlak, das der Leser ohne historischen Stellenkommentar zu bewältigen habe. Wer würde sich besser als der für seine Zeit im höchsten Maße unkonventionelle Kessler für eine interdisziplinäre Musteredition eignen, fragt Schlak. Kesslers Moderne sei heute selbst historisch, das heißt "kommentarbedürftig geworden", bedauert der Rezensent. Ansonsten macht er für Kesslers Tagebücher die Devise geltend: auch "Dagegen-Sein hieß erst einmal Dabeisein". Kessler, später auch "der rote Graf genannt", hatte Lust an der Beobachtung gesellschaftlicher Rollenspiele, bourgeoiser Rituale; ähnlich wie Georg Simmel, meint Schlak, wollte Kessler nicht denunzieren, sondern erkunden. Alles, was im Wilhelminismus Rang und Namen gehabt hätte, fände sich dementsprechend bei Kessler wieder. Von den Zerwürfnissen und Katastrophen, die sich am Ende der Weimarer Republik anbahnten, sei dieser Band der Tagebücher noch frei, in dem sich Harry Graf Kessler als "leidenschaftlicher Kultureuropäer" erweise, resümiert Stephan Schlak.